Akzeptanz statt Toleranz   

erstellt am
30. 11. 10

SchülerInnen von Integrationsklassen zu Gast im Hohen Haus
Wien (pk) - SchülerInnen von Integrationsklassen der Sekundarstufe I hatten am 29.11. die Gelegenheit, im Plenarsaal des Parlaments Redebeiträge zu präsentieren, in denen sie von ihrem (schulischen) Alltag, ihren Zukunftsplänen und Wünschen berichten. Die heutige Lesung der besten Beiträge des Redewettbewerbs "Gemeinsam sind wir Klasse" illustrieren in vielfältiger Weise, dass Inklusion mehr sein muss als die bloße "Duldung" von Menschen mit Behinderung.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer zeigte sich erfreut, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Anliegen heute im Sitzungssaal des Nationalrats darbringen. Es sei schließlich dieser Ort gewesen, an dem man 2008 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert habe. Und auch der bevorstehende internationale Tag der Menschen mit Behinderung, der am 3. Dezember begangen werde, gebe Anlass, über Inklusionspolitik in Österreich zu diskutieren. Dabei gelte es nicht nur über Erfolge, sondern auch über jene Schritte zu sprechen, die man noch zu setzen habe. Dass sich das Hohe Haus nicht barrierefrei präsentiere, sei, so Prammer, bedauerlich. Im Zuge der Generalsanierung des Parlaments werde man aber darauf Bedacht nehmen, weitestgehende Barrierefreiheit herzustellen. Die provisorischen Lösungen, auf die man derzeit setze, dürften schließlich nicht zur Dauereinrichtung werden, schloss die Nationalratspräsidentin.

Unterrichtsministerin Claudia Schmied, die zusammen mit Prammer zur Veranstaltung geladen hatte, hob den Stellenwert des Themas Inklusion hervor. Es sei ihr eine besondere Freude, dass die Präsentation der Beiträge des Redewettbewerbs im Hohen Haus stattfinden könne. Zu danken gelte es aber auch V-Abgeordnetem Franz-Joseph Huainigg, der mit seinem Team maßgeblich zur Vorbereitung dieser Veranstaltung beigetragen habe. Die zu Wort kommenden SchülerInnen bezeichnete die Unterrichtsministerin als "BotschafterInnen einer barrierefreien Zukunft".

A steht für Achtung – Die Beiträge der SchülerInnen
Rainer Rosenberg, der als Moderator durch die Veranstaltung führte, kam zunächst auf den Entstehungskontext der heute präsentierten Beiträge zu sprechen: Es habe sich zwar um einen Redewettbewerb gehandelt, schlussendlich gebe es aber keine Reihung der SiegerInnen, sondern nur besonders interessante Beiträge, hielt er fest. Was das Ziel, gemeinsam und gleichberechtigt in dieser Welt zu leben, anbelange, sei es oft nicht so leicht zu erreichen, schloss er.

In einem ersten Beitrag griffen sechs SchülerInnen der HS Zell am See das Thema Stärken und Schwächen auf. Dabei gebe es, so das Resümee, niemanden, der nur Defizite habe – weshalb es immer auch nach den Stärken zu fragen gelte. Darüber hinaus reflektierten die SchülerInnen über ihre Klassengemeinschaft, deren Miteinander auf der "ABC-Regel" beruhe: A stehe für Achtung, B für Bereitschaft und C für Coaching.

Die KMS Klusemannstraße (Graz) war mit zwei Beiträgen vertreten: Im Zentrum der ersten Präsentation stand die Einsicht, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung in vielerlei Hinsicht die gleichen Bedürfnisse und Probleme haben wie ihre Altersgenossen ohne Einschränkungen. Die drei Schülerinnen sprachen sich außerdem gegen die Abschottung von behinderten Menschen in Sonderschulen und –einrichtungen aus. Sie wollen schließlich ein Teil der "realen Welt" sein.

Eine weitere Schülerinnengruppe der KMS Klusemannstraße machte auf das Unverständnis, das behinderten Kindern und Jugendlichen häufig entgegenschlage, aufmerksam. Zwar könne man durch die Installation eines Klassenrats bereits viele alltägliche Probleme des Miteinanders selbst in den Griff bekommen, dass manche LehrerInnen auf die Bedürfnisse von Integrationskindern nicht bis gar nicht eingehen, bleibe aber ein Kritikpunkt.

Eine Schülerin der HS Frankenfels erzählte in ihrem Beitrag außerdem von den vielen alltäglichen Herausforderungen, denen sie sich als Jugendliche mit Behinderung zu stellen habe.

Reaktionen und Diskussion
Unterrichtsministerin Claudia Schmied beglückwünschte die SchülerInnen zu ihren Beiträgen. Diese authentischen Schilderungen seien schließlich wertvoller als alle Studien und Expertenberichte, stellte sie fest. Die "ABC-Regel" sollte allgemeine Gültigkeit besitzen, der damit geforderte Respekt stehe auch Politikerinnen und Politikern gut an. Auch gelte es zu erkennen, dass jeder und jede Einzelne Stärken besitze, bei denen man im schulischen Kontext ansetzen müsse. Die von den SchülerInnen gewünschte Möglichkeit, ihre LehrerInnen zu benoten, werde sie als Anregung gerne mitnehmen, schloss Schmied.

Lisa Hörnler, Radio-Moderatorin und ehemalige Schülerin einer Integrationsklasse, meinte, es sei wichtig, über das Thema Behinderung und die damit verbundenen Vorurteile offen zu sprechen. Der Appell, etwas zu verändern, gehe an die Gesellschaft und jedes Individuum. Dabei sei, so Hörnler, totaler Einsatz gefragt. Sich zu verstecken, wäre der falsche Weg, denn man solle "alles, nur nicht still sein". Es gehe schließlich darum, nicht mehr toleriert – geduldet -, sondern akzeptiert – angenommen zu werden.

Auch Marianne Schulze, Vorsitzende des Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, zeigte sich von den Beiträgen der SchülerInnen beeindruckt. Inklusion helfe, Schwächen zu überwinden, stand für sie fest. Ein inkludierendes, förderndes Schulsystem trage dazu bei. Was die ABC-Regel anbelange, so könne A auch für die Angst der Betroffenen, B für ihren Ruf nach Barrierefreiheit und C für das Ziel der Chancengleichheit stehen, hielt Schulze fest. Gerade letzter Punkt sollte im Parlament hochgehalten werden. Setze man die UN-Konvention vollständig um, so dürfe auch die Vorstellung eines Bundespräsidenten mit Behinderung niemanden mehr erschrecken, illustrierte sie.

In der Diskussion, an der sich ExpertInnen und Publikum beteiligten, wurde unter anderem der Wunsch nach Öffnung der Lehrerausbildung für Menschen mit Behinderung geäußert. Dies könne, so Hörnler, wesentlich dazu beitragen, dass mehr Sensibilität für SchülerInnen mit Handicap aufgebracht werde. Desweiteren zeigten sich die DiskutantInnen darüber einig, dass Inklusion kein "Anhängsel" der Sonderpädagogik sein bzw. bleibe dürfe. Derzeit laute das Motto aber nicht immer "Wir sind Klasse", sondern vielmehr "Wir sind Kaste", kritisierte ein betroffener Vater. Auch gelte es, Fortbildungen für Lehrende in Integrationsklassen vorzusehen, da es nicht sein könne, dass SchülerInnen mit Behinderung und ihre UnterstützungslehrerInnen "leise" und im Hintergrund bleiben müssen.
     
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