Mediengipfel in Lech   

erstellt am
13. 12. 10

Ungarn präzisiert in Lech die Schwerpunkte seines EU Vorsitzes
Lech (promedia) - Mit prominent besetzten Diskursen über Europa ging am 09.12. die vierte Auflage der Veranstaltungsreihe „Mediengipfel am Arlberg – Auslandskorrespondenten diskutieren in Lech“ in Szene. Bis 11.12. tauschen sich in der frisch verschneiten Gemeinde Lech Zürs führende internationale Medienvertreter zum Thema „Europäischer Traum – Europäisches Trauma“ aus. Erwartet werden in Lech u.a. noch der ungarische Staatssekretär Gergely Pröhle sowie Österreichs Außenminister Michael Spindelegger.

Rund 60 Auslandskorrespondenten und Meinungsführer versammelten sich am Abend des 09.12. im *****Superior Hotel Aurelio in Lech zum Auftakt des diesjährigen Mediengipfels. Ist die europäische Währungsunion in Gefahr oder findet die EU künftig eine politische Stimme? Wie entwickelt sich der europäische Geist angesichts anhaltender wirtschaftlicher Erschütterungen? Diesen Themen widmete sich der mit Spannung erwartete Dialog zwischen dem deutschen Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger und Andreas Braun, dem intellektuellen Kopf der Swarovski Kristallwelten. Enzensberger, der von Braun launig als selbstständiger Anarchist vorgestellt wurde, bekannte eingangs, dass er Brüssel betrachtend zur Skepsis neige. Zweifellos habe die EU viel Positives gebracht, doch die permanenten Mechanismen der Vergrößerung, sowie die Tatsache, dass im Laufe der Zeit ganz unterschiedliche Volkswirtschaften zusammengespannt wurden, habe zu immer größeren Problemen geführt. Enzensberger riet dazu nicht alternativlos über die Zukunft Europas nachzudenken. Das Motto „Augen zu und durch“ bzw. nicht in Szenarien zu denken, käme einer Beleidigung der menschlichen Vernunft gleich. An der Überdehnung seien historisch betrachtet etliche Weltmächte zerbrochen, das Schrumpfen auf ein gesundes Maß müsse auch im europäischen Kontext ein Denkmodell sein. Enzensberger und Braun plädierten für ein Europa der Abschattungen, die dem real existierenden Europa der unterschiedlichen Regionen und Geschwindigkeiten entspräche. Enzensberger warnte mit Blick auf die Geschichte Europas vor den Gefahren einer eindimensionalen Harmonisierung des Kontinents. „Auch das Phänomen der ‚Blase‘ ist nichts Neues“, zeigte Enzensberger mit Blick auf die aktuellen wirtschaftlichen Verwerfungen in Europa auf. Staatsbankrotte sind in der Geschichte immer wieder vorgekommen. Allerdings sei die Dimension der wirtschaftlichen Schieflage einzelner Volkswirtschaften in gesellschaftspolitischem Kontext höchst problematisch. Dadurch entstehe eine neue Spezies, eine Masse junger Menschen, die quasi „überflüssig“ ohne Jobperspektive seien.

Vor diesen sozialen Sprengsätzen warnte auch eine prominent besetze Diskussion im Anschluss an den Dialog Enzensberger/Braun. Unter der Leitung von Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, diskutierten führende Medienmacher Europas – u.a. Markus Spillmann (CR NZZ - Neue Zürcher Zeitung), Bernard Maissen (CR der Schweizer Depechen Agentur), Ambros Kindel (Ressortchef Außenpolitik der APA – Austria Presse Agentur), der ehemalige ORF-Informationsdirektor Elmar Oberhauser, sowie Hendrik Schott vom südafrikanischen Medienkonzern Naspers. Spillmann betonte, dass man sich im europäischen Kontext den drohenden Staatsbankrott einzelner Länder nicht leisten könne. Viel zu viele Individuen seien in Folge vom sozialen Abstieg betroffen, es sei gefährlich, wenn Menschen in die Arbeitslosigkeit quasi hineingeboren würden. Einig zeigte sich die Runde in ihrem Bekenntnis zum europäischen Gedanken und warnte in diesem Zusammenhang auch vor allzu viel Pessimismus. Europa sei keineswegs am Ende, betonte etwa Kindel, die EU sei aber zweifellos in einer selbstverschuldeten Krise. Das europäische Projekt sei – mit dem Abstand eines südafrikanischen Korrespondenten betrachtet – ein sehr positives Projekt, so Schott. Und Oberhauser bekräftigte: „70 Jahre kein Krieg in Europa – allein diese Tatsache rechtfertigt alles!“ Einig zeigte sich die hochkarätige Medienrunde auch in der Einschätzung der europäischen Repräsentanten: Die EU habe kaum charismatische Persönlichkeiten, in Folge wären auch Themen aus Brüssel an die Medienkonsumenten kaum vermittelbar. Obwohl rund 70% der Gesetze in Brüssel „vorgekocht“ würden, sei die EU-Berichterstattung nicht sexy!
   

Ungarn präzisiert in Lech die Schwerpunkte seines EU Vorsitzes
Nach dem erfolgreichen Auftakt u.a. mit dem deutschen Intellektuellen Hans Magnus Enzensberger definierte der ungarische Staatssekretär Gergely Pröhle beim Mediengipfel in Lech im Rahmen einer spannenden Podiumsdiskussion führender internationaler Auslandskorrespondenten die Stoßrichtungen seines Landes für den Vorsitz in der ersten Jahreshälfte 2011. Den Abschluss fand die hochkarätig besetze Veranstaltungsreihe am Samstag mit einem exklusiven Pressebrunch mit Österreichs Außenminister Michael Spindelegger.

Unter der Leitung der ARD-Korrespondentin Susanne Glass diskutierten Freitag Abend mit dem ungarischen Staatssekretär Gergely Pröhle u.a. Charles Ritterband (NZZ) , Michael Frank (Süddeutsche Zeitung), Pierre Feuilly (AFP Wien), der Schauspieler Alexander Goebel, sowie der niederländische Korrespondent in Berlin, Laurens Boven. Der ungarische EU-Vorsitz werde ab Jänner insbesondere Fragen der Energiesicherheit, der Erweiterung, der Donaustrategie und der östlichen Partnerschaft in den Mittelpunkt stellen, erklärte Pröhle in Lech. Ungarn habe im Gegensatz zu manchen anderen EU-Staaten eine stabile Regierung, merkte Pröhle in der Diskussion mit den Auslandskorrespondenten an. Diese Stabilität werde Budapest einsetzen, um in der EU als ehrlicher Makler zu agieren. Insgesamt, so betonte Pröhle, sei die Erweiterung der EU ein zentrales Anliegen. Die europäische Politik müsse den Fokus auf die weitere Stabilisierung des Westbalkans legen. Zudem müsse man sich innerhalb der europäischen Union klar überlegen, was an den Außengrenzen geschehe. Pröhle ließ in Lech durchblicken, dass es im Rahmen des ungarischen EU Vorsitzes dazu auch einen Gipfel der Staats- und Regierungschefs geben könnte. Dabei sollte es um die östlichen Partnerschaften der EU mit Ländern wie der Ukraine, Georgien oder der Republik Moldau gehen. Kritische Fragen zur innenpolitischen Situation in Ungarn kommentierte Pröhle in Lech ebenso. Kritik am geplanten ungarischen Mediengesetz, bei dem eine Behörde auch über die unabhängigen Medien wachen soll, ließ der Staatssekretär dabei nicht gelten. In diesem Zusammenhang bestünden „zahlreiche Missverständnisse“. Zudem sei das Gesetz noch nicht beschlossen, zum anderen existierten auch in anderen europäischen Ländern vergleichbare Regelungen. „Die Rechtsstaatlichkeit bröckelt nicht“, erklärte Pröhle. Es gäbe dadurch auch keine Beeinträchtigung des ungarischen EU-Vorsitzes oder der europäischen Werte.

Angesichts der gegenwärtigen Krisen in Europa plädierte Frank in Summe für mehr Gelassenheit. Die EU habe eine stürmische Kindheit mit starkem Wachstum hinter sich und sei jetzt in der Pubertät gelandet. „Mit dieser Phase muss man nun im europäischen Geist umgehen lernen“, betonte Frank. Das brauche einerseits klare gemeinsame Spielregeln, aber auch das Verständnis, dass die Vielfalt Europas eine große Tugend sei. Boven zeigte im Rahmen der Diskussion deutlich auf, dass durch die Wirtschaftskrise Staaten wie Deutschland derzeit profitieren würden. Die Solidarität und das Verständnis der Bürger in Europa für Länder wie Griechenland und Irland seien aber endlich. Boven stellte in diesem Zusammenhang die Frage: „Sollte man solche Länder bankrott gehen lassen?“ Die europäische Politik habe enorme Kommunikationsprobleme, stellte Goebel fest. Die positiven Entwicklungen müssten an die Bevölkerung mit Emotion vermittelt werden. Dabei könnten gerade die europäischen Kulturschaffenden einen enormen Beitrag leisten und als Übersetzer fungieren. In eine ähnliche Kerbe schlug Feuilly, in dem er feststellte, dass die Bürger enorm weit von Europa entfernt seien. Und auch große europäische Nationen würden aktuell wieder mehr nach eigenen nationalen Interessen vorgehen und europäische Interessen nach hinten reihen. Einig zeigten sich die Auslandskorrespondenten in der Frage, dass man in Europa klare Regeln für Mitglieder brauche, die allzu oft nicht mit der Wahrheit operieren. Im Vertrag von Lissabon sei kein Verfahren geregelt, wie man Länder auch wieder aus der Gemeinschaft ausschließen könne. Für Ritterband ist der Prozess der europäischen Einigung ein „umgekehrter Turmbau zu Babel“. Aus unterschiedlichsten Kulturen kommend habe man zwar ein stabiles Bauwerk geschaffen, das zu Frieden und Wohlstand beigetragen habe. Nun werde der Turm aber für viele zu hoch. Die kritische Frage sei, ob man in zu kurzer Zeit zu viele Länder nach Europa holt?

Ein leidenschaftliches Plädoyer für den europäischen Einigungsprozess hingegen hielt Österreichs Außenminister Michael Spindelegger beim Pressebrunch Samstagvormittag im *****Superior Hotel Aurelio in Lech. „Wir dürfen uns vom europäischen Weg nicht abbringen lassen.“ Die Krisenbewältigung in Europa sei erfolgversprechend, dazu trage auch eine stärkere und koordinierte Wirtschaftsaußenpolitik bei. Natürlich müsse man laufend weiterlernen, wie 27 Länder miteinander agieren können. Wo die Grenzen Europas im Sinne der fortschreitenden Erweiterung verlaufen, könne man derzeit noch nicht abschätzen. "Rein geographisch ist das nicht zu beurteilen, aktuelle Integrationsbestrebungen sind als Prozess zu betrachten. Europa ist jedenfalls nicht vollständig ohne die Länder des Westbalkans." Das sei auch zuletzt bei der Balkankonferenz in Berlin, von der Spindelegger direkt nach Lech kam, deutlich geworden. Die Erweiterung brauche aber eine andere Kommunikation, die viel deutlicher die positiven Auswirkungen zeige. In Österreich habe man dazu eine neue Initiative gesetzt. In rund 200 Gemeinden gäbe es mittlerweile sogenannte Europagemeinderäte, die eine stärkere regionale und lokale Verankerung des europäischen Gedankens unterstützen können. Spindelegger appellierte in Lech für eine wachsende Europäische Gemeinschaft, die aber auch gemeinsame Werte noch stärker in den Vordergrund stellen sollte. Derzeit konzentriere man sich angesichts der Herausforderungen stark auf koordinierte Außen- und Wirtschaftspolitik, doch auch ein gemeinsamer Wertekatalog sei wichtig. Wer gegen zentrale europäische Werte verstoße, müsse mit Widerstand rechnen. Spindelegger überzeugt: „Das hat Wirkung, wenn man auf europäischer Ebene scharf kritisiert wird!“
     
zurück