Entdeckung wirft neues Licht auf Strahlenschäden
Innsbruck (universität) - Einen neuen Ionisationsvorgang haben Physiker der Universität
Innsbruck erstmals beobachtet. Sie berichten in der Fachzeitschrift Physical Review Letters, dass die vom Niederländer
Frans Michel Penning 1927 entdeckte Form der chemischen Ionisation auch mehrfach hintereinander auftreten kann.
Diese überraschende und grundlegende Entdeckung könnte wesentlich zu einem besseren Verständnis
von biologischen Strahlenschäden beitragen.
Dringt ionisierende Strahlung in Materie ein, gibt sie Energie an die umgebenden Atome oder Moleküle ab. Dabei
werden Elektronen aus den Atomhüllen geschlagen und chemische Bindungen aufgebrochen, wobei reaktionsfreudige
Radikale entstehen, die ihrerseits wieder Schäden hervorrufen können. Für Lebewesen können
solche Strahlenschäden mitunter lebensbedrohlich sein. Physiker um Prof. Paul Scheier vom Institut für
Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck haben nun im Labor erstmals einen bisher unbekannten
chemischen Ionisationsvorgang beobachtet, der bei der Entstehung von Strahlenschäden in biologischen Geweben
eine bedeutende Rolle spielen könnte. Der Niederländer Frans Michel Penning hatte 1927 erstmals davon
berichtet, dass durch die Übertragung von Anregungsenergie von einem Teilchen auf ein anderes ein Elektron
aus dessen Atomhülle geschlagen werden kann. Diese Form der chemischen Ionisierung kann, wie die Innsbrucker
Physiker nun belegen, auch mehrfach hintereinander ablaufen. "Dabei sammelt ein ursprünglich gebildetes
Ion Anregungsenergie aus einer weiten Umgebung. Es ist denkbar, dass dieser Mechanismus in biologischen Systemen
die Auswirkung von Strahlenschäden verstärkt", erklärt Paul Scheier.
Ultrakaltes Versuchslabor
Entdeckt haben die Physiker den chemischen Ionisationsvorgang in einem Laborexperiment an der Universität
Innsbruck. Dabei stellen die Forscher flüssige Heliumtröpfchen her, die mit Teilchen wie Iodmethan dotiert
werden. Die nur wenige Nanometer großen Tröpfchen haben eine Temperatur von 0,38 Kelvin und bilden eine
ideale Plattform für die Untersuchung von Ionisationsvorgängen mittels Massenspektroskopie. Mehrere Heliumatome
dieses Tröpfchens werden mithilfe eines Elektronenstrahls angeregt. Dies löst den von Penning beschriebenen
Ionisationsvorgang aus, bei dem Anregungsenergie von einem Heliumatom auf ein Iodmethan-Molekül übertragen
wird. Das Molekül wird dadurch gespalten, ein Elektron herausgeschlagen, und es entsteht ein positiv geladenes
Ion. "Das für uns Überraschende war nun, dass sich dieser Ionisationsvorgang wiederholt", erzählt
Scheier. "Das bereits ionisierte Iod zieht ein weiteres angeregtes Heliumatom an, und dieses gibt erneut Anregungsenergie
an das Iod ab, das ein weiteres Elektron verliert." Theoretische Berechnungen von schwedischen Forscherkollegen
zeigen, dass die Polarisierbarkeit des angeregten Heliumatoms 200-Mal größer ist als von normalen Heliumatomen.
"Dies ist der Grund, warum das Ion so attraktiv für das angeregte Heliumatom ist", sagt Paul Scheier.
"Dieser Mechanismus führt zu einer beträchtlichen Energieanreicherung, die in biologischen Systemen
zu erheblichen Schädigungen mit Folgen für den Organismus führen kann."
Weitere Experimente notwendig
Die Wissenschaftler wollen den neu entdeckten Ionisationsvorgang nun weiter untersuchen. "Grundsätzlich
lässt sich das hier erprobte Experiment mit allen chemischen Elementen und auch mit Molekülen in beliebigen
Flüssigkeiten durchführen", betont Scheier. "Die energetischen Verhältnisse von Elementen
wie Lanthan lassen sogar eine dreifache Penning-Ionisation erwarten." Unterstützt werden die Physiker
bei ihren Forschungen vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und durch die Nachwuchsförderung der
Universität Innsbruck. |