Hat der berühmte Chemiker Carl Auer von Welsbach
ganz nebenbei die radioaktive Neutronenaktivierung entdeckt?
Innsbruck (universität) - Bahnbrechende Umwälzungen ereigneten sich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts
in der Wissenschaft. Erkenntnisse aus Physik und Chemie wirbelten das Weltbild durcheinander. Zu den bedeutenden
Forschern dieser Zeit gehört Carl Auer von Welsbach, ein österreichischer Chemiker, der seine Ausbildung
an der Technischen Universität Wien begann, bevor er zu Professor Bunsen nach Heidelberg wechselte. Auer von
Welsbach wurde einerseits durch die Erfindung von damals revolutionären Glühlampen bekannt, andererseits
durch die Entdeckung von mehreren chemischen Elementen. Dr. Georg Steinhauser vom Atominstitut der TU Wien hat
allerdings beim Nachlesen alter Originaltexte festgestellt, dass Auer von Welsbach offenbar auch als Erster das
kernphysikalische Phänomen der Neutronenaktivierung beobachten konnte. Diese erstaunliche Entdeckung soll
nun genauer untersucht werden. Gemeinsam mit Historikern will Steinhauser herausfinden, ob mit Auer von Welsbachs
Laborausrüstung so eine Beobachtung tatsächlich möglich war. Für dieses Projekt wird am 17.
Jänner 2011 von der österreichischen Akademie der Wissenschaften der Bader-Preis für die Geschichte
der Naturwissenschaften vergeben.
„Ansteckende“ Radioaktivität?
Ob ein Atom radioaktiv ist oder nicht kann von der Anzahl seiner Neutronen abhängen. Viele chemische Elemente
haben stabile Isotope, die durch das Einfangen eines Neutrons zu einem instabilen, radioaktiven Isotop werden.
Durch Beschuss mit Neutronen kann also ein Material radioaktiv gemacht werden. Genau so eine Beobachtung erwähnte
Auer von Welsbach in einer seiner Schriften, ganz nebenbei: „Kurz erwähnen will ich ferner“, schrieb er im
Jahr 1910, „daß viele Beobachtungen dafür sprechen, daß das Jonium andere ihm chemisch nahestehende
Körper bei längerem Kontakt zu radioaktiven Emissionen anzuregen vermag.“ Das von Auer von Welsbach als
„Jonium“ bezeichnete Material kennt man heute als „Thorium-230“. Allerdings kann man sich auf die historischen
Material-Angaben nur in eingeschränktem Maß verlassen:
Die Reinheit, mit der die chemischen Elemente damals hergestellt werden konnten, war damals noch vergleichsweise
gering, und so besteht immer die Möglichkeit, dass die beobachteten Effekte durch Verunreinigungen und Beigaben
entstanden sind, und nicht durch das Element, das man eigentlich untersuchen wollte.
Woher kommen die Neutronen?
Noch ungeklärt ist die Frage, wie es in Auer von Welsbachs Labor zu so hohen Neutronenflussdichten gekommen
sein kann, um tatsächlich eine Neutronenaktivierung zu verursachen. „Dazu gibt es schon Ideen, aber Gewissheit
kann man nur haben, wenn man die historischen Experimente tatsächlich nachbaut“, erklärt Georg Steinhauser.
Fest steht nur: Von Neutronen konnte Auer von Welsbach noch keine Ahnung haben – die wurden erst zwei Jahrzehnte
später entdeckt.
Bader-Preis für die Geschichte der Naturwissenschaften
Das Forschungsprojekt an der Schnittstelle zwischen Geschichte und Naturwissenschaft wird nun von der österreichischen
Akademie der Wissenschaft mit einem Förderpreis von USD 18.000 unterstützt. Damit kann der Biographie
des großen Forschers und Entdeckers Carl Auer von Welsbach ein spannendes neues Kapitel hinzugefügt
werden – die Geschichte vom Chemiker, der unversehens auch zum Kernphysiker wurde. Das verbindet ihn mit dem Preisträger
Georg Steinhauser: Auch er begann mit Chemie und landete schließlich bei der Strahlenphysik – am Reaktor
des Atominstitutes an der TU. Im Gegensatz Auer von Welsbach war das bei Steinhauser allerdings kein Zufallsprodukt,
sondern ein bewusst gesetzter Schritt. |