Glawischnig: Allen Kindern alle Rechte
Von grüner Seite gibt es nun auch ein neues Verhandlungsangebot
Wien (grüne) - Eva Glawischnig kritisierte bei einer Pressekonferenz, dass "Problembereiche"
wie Armutsgefährdung, Bildungschancen, Gesundheit, Jugendwohlfahrt oder die "Differenzierung" von
Kindern mit und ohne österreichischen Reisepass bei der geplanten Umsetzung der Verankerung der Kinderrechte
ausgespart würden. Dass alles, was nun nicht verankert werde, schon abgesichert sei, sei eine "glatte
Lüge".
Kinder- und Jugendsprecherin Tanja Windbüchler-Souschill kritisierte außerdem, dass es keine Einbindung
von Kinder- und Jugendorganisationen und keine Enquete zum Thema gegeben habe.
Entwurf "verstümmelt"
Für die Grünen ist der Entwurf der Regierungsparteien "verstümmelt", sie wollen die gesamte
UN-Kinderrechtskonvention in der Verfassung verankert sehen. Das "Übelste" ist für Glawischnig
aber der vorgesehene Gesetzesvorbehalt, durch den etwa straf- oder fremdenrechtliche Maßnahmen einzelne Rechte
eines Kindes beschränken können.
Von grüner Seite gibt es nun auch ein neues Verhandlungsangebot: Man könne sich eine Zustimmung vorstellen,
wenn der Gesetzesvorbehalt fällt und es nach zwei Jahren eine Evaluierung gibt, erklärte Glawischnig.
Gefragt, ob sie glaube, dass sich die Regierungsparteien diesbezüglich noch bewegen werden, meinte Glawischnig,
man werde sehen. Es sei sicher für die Regierung eine "sehr schlechte Optik", sich bei so einem
Grundrechtewerk auf die "rechte Seite" zu lehnen. Dass der Gesetzesvorbehalt wirklich fällt, ist
dem Vernehmen nach aber sehr unwahrscheinlich. |
Verfassungsausschuss: Zweidrittelmehrheit im NR-Plenum scheint gesichert
Wien (pk) - Nach einer jahrelangen öffentlichen Diskussion um die Verankerung der Kinderrechte
in der Verfassung sowie nach einem gescheiterten ersten Anlauf der Koalitionsparteien im Vorjahr aufgrund des geschlossenen
Oppositionsboykotts im Nationalrat einigten sich die Mitglieder des Verfassungsausschusses am 13.01. mehrheitlich
auf einen Text. Grundlage dafür war ein neuerlicher Antrag der Koalitionsparteien betreffend ein Bundesverfassungsgesetz
über die Rechte von Kindern, der vom Ausschuss am 9. November 2010 vertagt worden war und nun unter Berücksichtigung
eines Abänderungsantrags von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ angenommen wurde. Damit stehen die
Chancen für die nötige Zweidrittelmehrheit und somit für die Beschlussfassung des Gesetzesantrags
bei der kommenden Nationalratssitzung am 20. Jänner gut.
Der Vorschlag sieht unter anderem einen Rechtsanspruch von Kindern auf Schutz und Fürsorge, ein Recht auf
gewaltfreie Erziehung, altersgerechte Mitspracherechte und ein Verbot von Kinderarbeit vor. Kinder sollen außerdem
grundsätzlich Anspruch auf regelmäßigen Kontakt zu beiden Elternteilen haben. Allerdings ist eine
gesetzliche Beschränkung von Kinderrechten aus bestimmten Gründen möglich, wobei in den Erläuterungen
konkret z.B. straf- und fremdenrechtliche Maßnahmen und berücksichtigungswürdige Elterninteressen
genannt werden.
Durch den Abänderungsantrag wird der Anspruch des Kindes auf bestmögliche Entwicklung durch den "Anspruch
auf Entfaltung, sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit"
erweitert. Darüber hinaus wird die Bedeutung des familiären Umfelds für die Kinder besonders unterstrichen.
In einer - ebenfalls gegen die Stimmen der Grünen mehrheitlich angenommenen - Ausschussfeststellung wird festgehalten,
dass das Ziel des Artikel 5 der Schutz jeden Kindes unter anderem vor körperlicher Bestrafung ist.
Den Grünen geht das alles nicht weit genug. Sie fordern, die UN- Kinderrechtskonvention vollständig in
den Verfassungsrang zu heben. Diese Intention ist auch Inhalt ihres Entschließungsantrags zu diesem Thema,
der ebenfalls auf der Tagesordnung stand, jedoch von den anderen mit dem Argument abgelehnt wurde, die UNO-Kinderrechtskonvention
sei einfachgesetzlich und nunmehr auch verfassungsgesetzlich in Österreich voll umgesetzt. Außerdem
gelte die Konvention für über 190 Staaten, mit sehr unterschiedlichen Standards, die oft weit hinter
dem österreichischen Recht liegen. Vieles sei innerstattlich selbstverständlich, wie z.B. unentgeltlicher
Besuch der Grundschule, in Österreich herrsche sogar Schulpflicht, was über das Recht auf Bildung hinausgehe.
Außerdem gebe es in der Konvention Hinweise auf islamisches Recht, sodass eine wortwörtliche Übernahme
zu absurden Rückschlüssen führen und Irritationen hervorrufen würde, wie Staatssekretär
Josef Ostermayer ausführte.
Experten Grabenwarter und Hesse beurteilen Gesetzesvorschlag positiv
Dem Beschluss im Ausschuss ging ein Expertenhearing voran, zu dem Sektionschef Gerhard Hesse (Verfassungsdienst
des Bundeskanzleramts), Universitätsprofessor Christoph Grabenwarter (Mitglied des Verfassungsgerichtshofs
und Universitätsprofessor für Öffentliches Recht, Wirtschaftsrecht und Völkerrecht am Institut
für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht der Wirtschaftsuniversität Wien),
Dietmar Payrhuber (Verein Kindergefühle), Helmut Sax (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte und
Netzwerk Kinderrechte) und Martin Stiglmayr (Verein "Väter ohne Rechte") eingeladen waren.
Die beiden Verfassungsexperten Hesse (BKA) und Grabenwarter (VfGH) bewerteten die Gesetzesvorlage positiv. Hesse
sprach von einem "bemerkenswerten verfassungsrechtlichen Schritt", Grabenwarter von einem "sinnvollen
Schritt der Weiterentwicklung der Grundrechte", auch im Hinblick auf die europäische Rechtslage, wie
sie durch den Lissabon-Vertrag und die Grundrechts-Charta geschaffen wurde. Beide hielten der Kritik an den Vorbehalten
im Artikel 7 entgegen, dieser sei dem Artikel 8 der EMRK nachgebildet und auch die Grundrechts-Charta enthalte
einen ähnlichen Vorbehalt. Sogar in der UN-Kinderrechtskonvention gebe es Gesetzesvorbehalte, bemerkten sie.
Hesse und Grabenwarter zeigten sich auch überzeugt davon, dass dieses neue Bundesverfassungsgesetz Auswirkungen
auf einfachgesetzliche Regelungen haben wird, wie zum Beispiel auf die Jugendwohlfahrt oder auch auf Obsorgeregelungen
im ABGB. Die Bestimmungen würden nicht nur Maßstab für Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshof
sein, sondern auch Einfluss auf die Familiengerichtsbarkeit haben, insbesondere hinsichtlich des Sorgerechts. Für
beide stand fest, dass die nun formulierten Grundrechte die Gebietskörperschafen binden, ausreichend Vorsorge
für eine effiziente Jugendwohlfahrt zu treffen.
Grabenwarter betonte, dass es weder verfassungsrechtlich noch völkerrechtlich geboten sei, die gesamte UN-Konvention
in Verfassungsrang zu heben. Nicht jede Regelung passe in das österreichische Rechtssystem, sagte er, und
weniger könne oft mehr sein. Der Rechtsexperte bedauerte zwar, dass die ohnehin zersplitterte Grundrechtssituation
in Österreich nun durch ein weiteres Bundesverfassungsgesetz fortgesetzt werde, gleichzeitig meinte er, es
sei positiv, wenigstens die Kinderrechte in einem geschlossenen Gesetz zusammenzufassen als diese verstreut in
unterschiedlichen Gesetzesmaterien zu verankern. Grabenwarter bestätigte auch aus seiner Sicht, dass der Text
der Kinderrechtskonvention nicht mehr ganz neu sei, sogar älter als alle Minderjährigen heute, wie er
feststellte, und dass daher einige Bestimmungen unter den gegenwärtigen Standards bleiben. Er verlieh in seinem
Statement auch der Hoffnung Ausdruck, dass durch die Kinderrechte das Rechtsbewusstsein und das Verfassungsbewusstsein
gestärkt wird. Dies werde viel eher der Fall sein, wenn die Bestimmungen einen "österreichischen
Maßanzug" erhalten.
Sektionschef Hesse befürwortete den Gesetzesvorschlag auch deshalb, weil er nicht nur dem Kernbestand der
UN- Kinderrechtskonvention, sondern auch dem Lissabon-Vertrag und dem Ergebnis des Österreichkonvents entspreche.
Zentrale Bedeutung maß er der Bestimmung des Artikel 1 bei, wonach bei allen Maßnahmen, die Kinder
betreffen, das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen müsse. Das Recht der Kinder auf Partizipation und Berücksichtigung
halte er für einen bedeutenden Fortschritt, denn dieses Recht stünde nun bereits auch kleineren Kindern
entsprechend deren Alter und Entwicklung zu. Hesse hob weiters die Bedeutung des Gleichbehandlungsgebots für
behinderte Kinder hervor.
Payrhuber und Stiglmayr: Recht der Kinder auf beide Elternteile
Auf die Bedeutung beider Elternteile für die psychologische und soziale Entwicklung des Kindes wiesen insbesondere
Dietmar Payrhuber (Verein Kindergefühle) und Martin Stiglmayr (Verein "Väter ohne Rechte")
hin. Die Folgen der Trennung der Eltern und das Fernhalten des Kindes von einer Bezugsperson zeigten sich durch
Angst- und Panikzustände und tiefgreifende Entwicklungsstörungen bei den betreffenden Kindern, die auch
unter Loyalitätskonflikten litten. Payrhuber nannte dies eine "Sonderform des Kindesmissbrauchs".
Stiglmayr seinerseits plädierte dafür, den Begriff Kindeswohl genauer zu definieren und unterstrich das
Recht der Kinder auf Familienleben. Konkret forderte er eine gemeinsame Obsorge. Grundsätzlich erwartete sich
Stiglmayr durch das Verfassungsgesetz eine Trendwende in dieser Frage und sah in der Verankerung eigenständiger
Grundrechte von Kindern einen richtigen Weg, auch wenn ihm das Recht auf Gesundheit und Bildung, sowie der Schutz
vor Kinderarmut im Text fehlen.
Sax: Entwurf ist unvollständig und unzureichend
Im Gegensatz zu seinen Vorrednern lehnte Helmut Sax (Netzwerk Kinderrechte) den vorliegenden Entwurf als unvollständig
und unzureichend ab. Darin würden nur einzelne Kinderrechte aufgenommen, wichtige Rechte, wie jenes auf Gesundheit
und materielle Absicherung fehlten jedoch, kritisierte er. Außerdem wandte er sich strikt dagegen, dass etwa
das Recht auf Partizipation und Gleichbehandlung sowie der Vorrang des Kindeswohls einem Gesetzesvorbehalt ausgesetzt
sind, was Sax als unsachlich bewertete. Er vermisste auch eine Diskussion über eine effektive Umsetzung dieses
Verfassungsgesetzes. Die UN- Kinderrechtskonvention gehe von einem ganzheitlichen Ansatz aus und sollten daher
uneingeschränkt verfassungsrechtlich verankert werden, hielt er aus seiner Sicht fest.
SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ: UN-Konvention ist in Österreich voll umgesetzt
In der Diskussion zeigten sich die Abgeordneten von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ zufrieden mit der
vorliegenden Einigung. Die Abgeordneten Wilhelm Molterer (V), Peter Wittmann (S) und Angela Lueger (S) führten
ins Treffen, dass die UN-Kinderrechtskonvention durch einfachgesetzliche Regelungen und nun auch durch das Verfassungsrecht
umgesetzt ist. Man werde nichts finden, was nicht bereits österreichischer Rechtslage entspricht, betonte
der Ausschussvorsitzende Wittmann. Die Forderung nach einer wortwörtlichen Übernahme der Konvention lehnte
er mit dem Hinweis ab, dass die Standards der Konvention oft hinter das innerstaatliche Niveau zurückgehen.
Wer für eine uneingeschränkte Übernahme der Konvention ist, der habe diese nicht gelesen, bemerkte
Abgeordneter Wilhelm Molterer (V). Darin gebe es etwa Hinweise auf die islamische Rechtsordnung, was nicht in unserem
Interesse liegen könne. Molterer meinte auch, dass etwa die freie Meinungsäußerung ohne Einschränkung
dazu führen werde, dass das Verbotsgesetz für unter 18-Jährige nicht gelte. Er sah in diesem Zusammenhang
auch Probleme in Hinblick auf die Religionsfreiheit. Grundsätzlich hielt er den KritikerInnen des Gesetzes
entgegen, Österreich sei keine "terra inkognita" bei den Kinderrechten und weise diesbezüglich
ein respektables Niveau auf.
Diese Auffassung wurde auch von Abgeordnetem Ewald Stadler (B) geteilt. Es sei vernünftig, das zu regeln,
was für unser Land adäquat ist, sagte er, die Regelung für unsere Gesellschaft lebensferner Sachverhalte
hat für ihn wenig Sinn.
Stadler hob in seiner Wortmeldung aber insbesondere die Bedeutung der Staatszielbestimmungen hervor, die nicht
zu unterschätzen sei. Hätte es das Verfassungsgesetz schon vor zwei Monaten gegeben, hätte man nicht
verhindern können, dass ein dreijähriges Kind brutal erschlagen wird, erklärte er. Aber durch die
vorliegenden Staatszielbestimmungen seien die Gebietskörperschaften nun verpflichtet, ausreichend Mittel für
die Wohlfahrt zur Verfügung zu stellen, um präventiv eingreifen zu können, stellte er fest. Auch
der Hinweis auf die Generationengerechtigkeit werde sich auf die einfache Gesetzgebung auswirken, zeigte sich der
Mandatar überzeugt. Er halte es auch für richtig, dass aufgrund der nun zu beschließenden Bestimmungen
im Rahmen des Außerstreitgesetzes Kinder unter 8 Jahren adäquat in das Verfahren einbezogen werden müssen.
Auf mögliche Konsequenzen für das Sorgerecht machte Abgeordneter Harald Stefan (F) aufmerksam. Er verteidigte
auch die Gesetzesvorbehalte als richtige Maßnahme, da Kinder oft missbraucht würden, um Druck auszuüben.
Stefan meinte damit insbesondere die Gefahr, ohne derartige Schranken das Asylrecht mit Hinweis auf das Kindeswohl
aushebeln zu können.
Mit dem Verfassungsgesetz setze man ein gesellschaftspolitisches Zeichen bekräftigte Abgeordnete Angela Lueger
(S). Die nächste Aufgabe werde es nun sein, zu analysieren, welche Schritte dem Verfassungsrecht nun folgen
müssen. Der Kritik von Abgeordneter Tanja Windbüchler-Souschill (G), man habe die Kinder- und Jugendorganisationen
bei der Erarbeitung des Antrags nicht gehört, wies Lueger mit dem Hinweis zurück, dass die VertreterInnen
der Organisationen mehrmals im Verfassungsausschuss geladen waren. Dies wurde auch von Abgeordneter Silvia Fuhrmann
(V) sowie vom Ausschussvorsitzenden Peter Wittmann (S) bekräftigt.
Grüne: Gesetzesantrag ist verstümmelte Version der UN-Konvention
Dieser positiven Beurteilung konnten sich die beiden G- Abgeordneten Tanja Windbüchler-Souschill und Alev
Korun in keiner Weise anschließen. Für Korun stellt der vorliegende Gesetzesantrag eine "verstümmelte
Version" der UN- Kinderrechtskonvention dar. Der Entwurf sollte daher weiter diskutiert werden. Beide Mandatarinnen
plädierten für eine vollständige Aufnahme der Konvention in Verfassungsrang.
Sie übten insbesondere harte Kritik am Gesetzesvorbehalt und machten geltend, dass im Österreich-Konvent
ein solcher Vorbehalt nicht vorgesehen war. In diesem Zusammenhang zitierten sie den Generalsekretär von Amnesty
International Heinz Patzelt aus dem gestrigen Petitionsausschuss, der gemeint hatte, Österreich setze Kinderrechte
nur dort um, wo man es wolle.
Korun und Windbüchler-Souschill fehlten auch Begleitmaßnahmen zur Umsetzung der Kinderrechte sowie ein
Monitoring und eine entsprechende Evaluierung. Es bleibe auch die Frage, welche Auswirkungen der Gesetzestext nun
auf Abschiebungen und das Bleiberecht hat, bemerkten sie. |