Podiumsdiskussion über das Phänomen des Nichtwählens
Wien (pk) - Das "unbekannte Wesen Nichtwähler" stand am Abend des 13.01. im Zentrum
einer Podiumsdiskussion, zu der Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ins Pressezentrum des Hohen Hauses
geladen hatte. Dass sich im vergangenen Jahrzehnt die Zahl jener Bürgerinnen und Bürger, die von ihrem
Wahlrecht nicht Gebrauch machen, nahezu verdoppelt hat, gebe schließlich Anlass, diesem Thema mehr Aufmerksamkeit
zu widmen, zeigte sich auch Moderatorin Claudia Dannhauser (Die Presse) überzeugt.
Was diese Menschen davon abhält, zur Wahlurne zu schreiten, ob sie für die Politik überhaupt noch
erreichbar sind und wie sie von Motivforschung und Statistik betrachtet werden – das waren nur einige von vielen
Fragen, denen sich Stefan Bachleitner (Leiter der Kampagne zur Wiederwahl von Bundespräsident Heinz Fischer
und Managing Partner von The Skills Group), Fritz Plasser (Dekan der Innsbrucker Fakultät für Politikwissenschaft
und Soziologie, Koordinationsplattform Österreichische Wahlforschung), Robert Stein (Bundesministerium für
Inneres/Wahlangelegenheit) und Eva Zeglovits (Fakultätszentrum für Methoden in den Sozialwissenschaften,
Universität Wien) stellten.
Prammer: Über das Kernrecht Wählen gilt es ausgiebig zu diskutieren
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gab im Rahmen einleitender Worte zu bedenken, dass dem heute zu diskutierenden
Thema immer nur spontan – und dabei meist unmittelbar nach Wahlen – Aufmerksamkeit geschenkt werde. Es bedürfe
aber, wie sie ausführte, einer grundlegenden Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Nicht- bzw. ungültig
Wählens, zumal das Wahlrecht historisch betrachtet hart erkämpft worden sei. Die heutige Podiumsdiskussion,
mit der die neue Veranstaltungsreihe des Parlaments eingeläutet werde, biete dazu Gelegenheit. Was die Veranstaltungsreihe
"Medien.Macht.Demokratie" selbst anbelange, nehme sie es sich zum Ziel, aktuelle Themen spontan und kurzfristig
aufzugreifen, schloss Prammer.
Der Faktor "Wahlnorm"
Eva Zeglovits kam zunächst auf die Problematik der wissenschaftlichen Messbarkeit des diskutierten
Phänomens zu sprechen: Gehe es um die Festlegung der Zahl der NichtwählerInnen, werde schließlich
gerne zu empirischen Instrumenten wie Umfragen gegriffen. Da es sich beim Nichtwählen aber um ein sozial unerwünschtes
Verhalten handle, komme der Faktor "Wahlnorm" zum Tragen, weshalb auch Menschen, die nicht zur Wahl gegangen
sind, mitteilten, ihre Stimme abgegeben zu haben. Dadurch käme es zu Verzerrungen, vor allem dann, wenn die
Befragten ein höheres Bildungsniveau aufwiesen oder es sich um eine besonders wichtige Wahl handle. Andere
Messinstrumentarien stünden den ForscherInnen allerdings kaum zur Verfügung, schloss sie.
Der Politikwissenschaftler Fritz Plasser hielt den Faktor Wahlnorm, der einst für eine höhere Wahlbeteiligung
gesorgt habe, aber für rückläufig. Der Generationenwechsel und die Abschwächung der Bedeutung
familiärer Integrationsnetzwerke ließen diese Richtschnur in den Hintergrund treten, zeigte er sich
überzeugt.
"Negative campaigning" hat Vor- und Nachteile
Stefan Bachleitner kam vor dem Hintergrund seiner beruflichen Erfahrung auf die Phänomene des "negative"
und "dirty campaigning" zu sprechen. Ersteres sei in Österreich zwar stark negativ konnotiert, werde
aber kaum betrieben. "Dirty campaigning" wäre hingegen, wie Bachleitner ausführte, stark ausgeprägt.
Das sei nicht nur auf die politische Kultur, sondern auch auf mangelnde Dialogorientierung und Wettbewerbsethik
zurückzuführen, hielt der Experte fest. Dass auf diesen Gebieten einiges falsch laufe, müsse man
auch den im Parlament vertretenen Parteien anlasten, zeigte er sich überzeugt. Es sei außerdem eine
fatale Entwicklung, wenn Kampagnen zur Demobilisierung der WählerInnen anderer Parteien immer mehr Gewicht
zukomme. Vor dem Hintergrund der verbreiteten Negativaussagen über die EntscheidungsträgerInnen des Landes
gelte es an der Reputation der Politikbranche zu arbeiten. Die Parteien müssten positiver und selbstbewusster
auftreten, stand für ihn fest.
Die Vorteile eines wohl dosierten "negative campaigning" führte Eva Zeglovits ins Treffen: Ihr zufolge
könne die von einer Partei an der anderen geübte Kritik zur besseren Unterscheidbarkeit der Angebote
für die Wählerschaft beitragen und damit mobilisierend wirken. Zu wenig Information und Überblick
über die Positionen, die von politischen AkteurInnen vertreten werden, hielten schließlich viele Menschen
von der Teilnahme an Wahlen ab, zeigte sie sich überzeugt.
Auch Politikwissenschaftler Fritz Plasser konnte der Sichtweise, dass "comparative campaigning" einen
Nutzen für die WählerInnen zeitige, etwas abgewinnen. In Österreich dominiere aber, wie Bachleitner
treffend ausgeführt habe, die harte Form des "negative campaigning", die auf die BürgerInnen
eine demoralisierende Wirkung habe und sie von den Wahlurnen fernhalte. Über die Wahlkampfführung zu
reflektieren sei deshalb eine "Denkaufgabe", die man den Parteien nur dringend empfehlen könne,
schloss Plasser.
Unterschiedliche Positionen in Hinblick auf die Briefwahl
Unterschiedliche Positionen bezogen die DiskutantInnen beim Thema Briefwahl: Während Bachleitner eine Verwässerung
der Bedeutung des Wahltages, eine Abwertung des Wahlakts und ein Sinken der Wahlbeteiligung durch die Öffnung
dieses Wahlkanals befürchtete, sprachen sich Fritz Plasser und Robert Stein sogar explizit für die Abschaffung
der Bestimmung des Artikel 26,6 B-VG, der die Anforderung einer Wahlkarte nur in besonderen Fällen vorsieht,
aus. Tatsächlich sei ein solcher Verhinderungsgrund zur reinen Formsache geworden, führte der Vertreter
des Innenministeriums aus.
Stein zufolge stehen in Österreich vier von insgesamt sechs möglichen Wahlkanälen zur Stimmabgabe
zur Verfügung. Nicht umgesetzt habe man bislang das sogenannte "Wählen auf Depot" und die umstrittene
Stimmabgabe auf elektronischem Wege. Letztere könnte aber, wie er einräumte, durchaus eine spezifische
Gruppe unter den NichtwählerInnen ansprechen. Die Rahmenbedingungen spielen in Hinblick auf die Mobilisierung
von WählerInnen insofern eine Rolle, als sie dazu imstande wären, die persönlichen "Kosten"
der Stimmabgabe zu erhöhen oder zu senken. Eine Personalisierung des Wahlrechts spreche zwar mehr WählerInnen
an, mache aber auch den Stimmzettel komplizierter, gab Stein in diesem Zusammenhang zu bedenken.
Strategien und Lösungsansätze für das Problem des Wählerschwunds
Die zunehmende Bedeutung der neuen Medien und die mobilisierende Wirkung anderer Netzwerke gelte es stärker
im Zuge von Wahlkampfkampagnen zu berücksichtigen, stand für Fritz Plasser außer Frage. Der Bürger
müsse außerdem das Gefühl haben, dass er mit seiner Stimme etwas bewegen könne, zeigte sich
Robert Stein überzeugt: Betrachte man die verschiedenen Wahlbeteiligungen, so könne man ersehen, dass
die Menschen eher zur Wahlurne schritten, wenn sie dieses Gefühl verspürten.
Stefan Bachleitner hielt es beim Einsatz von Wahlkarten für unerlässlich, dass diese noch am Wahltag
ausgezählt würden. Sonst mache sich in der Wählerschaft, die diesen Kanal gewählt habe, Frustration
breit. Als gute Idee bewertete er auch die Einführung eines "Superwahlsonntags", den Nationalratspräsidentin
Barbara Pammer als Idee in die öffentliche Diskussion eingebracht hatte.
Eva Zeglovits plädierte in diesem Zusammenhang für die Beseitigung von Informationsdefiziten der Wählerinnen
und Wähler, die derzeit nur in Hinblick auf die Gruppe der 16-Jährigen diskutiert würden.
Im Anschluss debattierten die geladenen ExpertInnen und Nationalratspräsidentin Barbara Prammer mit den zahlreich
erschienen Gästen über Vor- und Nachteile eines Mehrheitswahlrechts, Politikverdrossenheit als Folge
mangelnder Repräsentation und die Chancen, die sich durch die Einführung des erwähnten "Superwahlsonntags"
eröffnen könnten. |