Neue Einsichten in den Ausreifungsprozess von Blutstammzellen   

erstellt am
11. 01. 11

Graz (universität) - Weltweit arbeiten Forschergruppen daran, reife Zellen zu reprogrammieren, um Stammzellen zu erhalten, die für therapeutische Zwecke eingesetzt werden können. Nicht weniger interessant ist aber auch die umgekehrte Frage: Welche Faktoren führen dazu, dass aus einer Stammzelle eine ganz spezifische Zelle wird? Einer niederländisch-österreichischen Arbeitsgruppe unter Beteiligung des Grazer Hämatologen Univ.- Prof. Dr. Albert Wölfler gelang es nun, diesen Prozess bei Blutstammzellen ein Stück weit zu enträtseln. In ihrer Studie, die in der führenden hämatologischen Zeitschrift ‚Blood' veröffentlicht wurde, stellten die Forscher fest, dass entscheidende Weichenstellungen schon auf einer sehr frühen Entwicklungsstufe stattfinden, diese Entwicklung aber noch umkehrbar ist. Offensichtlich haben die Vorstufen der verschiedenen Blutzellen eine höhere Plastizität, als bisher angenommen wurde.

Charakteristisch für jede Zellreifung ist, dass im Laufe der Entwicklung verschiedene Gene angeschaltet werden, die so genannten Transkriptionsfaktoren produzieren. Dabei handelt es sich um Proteine, die an die DNA binden und dadurch die Aktivität anderer Gene kontrollieren. Einige dieser Faktoren sind offenbar von besonderer Bedeutung: werden sie hochgefahren, wird die Entwicklung der Zelle in eine ganz bestimmte Richtung angestoßen. Man spricht daher auch von Masterregulatoren.

Obwohl das blutbildende Gewebe im Knochenmark zu den am besten untersuchten hierarchisch organisierten Zellsystemen gehört, ist bisher wenig darüber bekannt, wie und wann hier spezifische Transkriptionsfaktoren aktiv werden. Blutstammzellen haben noch die Fähigkeit, über mehrere Zwischenstufen alle Blutzellen des Körpers zu bilden. Einer der wichtigsten Faktoren, die darüber entscheiden, ob sich eine Stammzelle zu einem weißen Blutkörperchen, roten Blutkörperchen oder Blutplättchen entwickelt, ist C/EBP, ein Masterregulator für Granulozyten (eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen). "C/EBP ist auch deswegen interessant, weil das zugrundeliegende Gen Cebpa in einem bestimmten Prozentsatz bei akuten myeloischen Leukämien mutiert ist'', erklärt Prof. Wölfler. "Wenn das Gen verändert ist, können die Zellen sich nicht mehr zu fertigen Granulozyten differenzieren und bleiben unreif.'' Um mehr über die Funktionsweise von C/EBP im lebenden Organismus zu erfahren, entwickelten die Forscher ein so genanntes Reporter-Mausmodell, in dem die Aktivität des Gens sichtbar gemacht wurde. Der Kunstgriff: Bei den verwendeten Knock-In-Mäusen wurde ein Cebpa-Allel durch ein Gen für ein bakterielles Enzym ersetzt. Statt C/EBP wurde also während der Reifung der Blutzellen das Enzym exprimiert, das dann über einen Zwischenschritt zur Produktion eines fluoreszierenden Proteins in der Zelle führte. Fluoreszenz signalisierte demnach, dass der Cebpa-Genort angeschaltet war.

Mit Hilfe dieses Modells stellten die Hämatologen fest, dass bereits ca. 15% der Blutstammzellen C/EBP exprimierten. Dieser Prozentsatz nahm in der Zelllinie, die sich zu Granulozyten entwickelte, während der Ausreifung ständig zu und erreichte bei fertigen Granulozyten fast 100%. "Bisher dachte man, dass die Stammzellen in dieser frühen Phase der Blutbildung noch einheitlich sind'', erläutert Prof. Wölfler. "Wir konnten zeigen, dass die Zellen bereits zu diesem Zeitpunkt heterogen sind und eine erste Festlegung auf eine bestimmte Zelllinie schon sehr früh stattfindet.'' Aufschlussreich war überdies, dass C/EBP nicht nur in den Vorläuferzellen der Granulozyten zu finden war, sondern auch in einem geringen Prozentsatz in den anderen Zelllinien exprimiert wurde. Die Expression eines Masterregulators in diesem frühen Stadium der Blutzellreifung führt also nicht zu einer absoluten, sondern nur zu einer relativen Festlegung der weiteren Entwicklung.

"Man glaubt heute, dass es auf der Ebene der Stammzellen eine Art Wettbewerb von Transkriptionsfaktoren gibt'', fasst Prof. Wölfler die Studienergebnisse und den derzeitigen Wissensstand zusammen. Mit anderen Worten: Zu Beginn wird eine Reihe von Faktoren in sehr geringen Mengen gebildet. Im Laufe der Reifung gewinnen dann einzelne Transkriptionsfaktoren immer mehr an Bedeutung. Noch ist nicht geklärt, ob zelleigene Mechanismen darüber entscheiden, welche Faktoren in einer Zelle die Oberhand gewinnen, oder ob hier äußere Einflussfaktoren im Spiel sind. Je stärker bestimmte Masterregulatoren exprimiert werden, umso geringer wird die Plastizität der Zellen. Aber auch wenn eine bestimmte Entwicklungsrichtung schon vorgezeichnet zu sein scheint, können außergewöhnliche Umstände noch eine Zeitlang dazu führen, dass sich die Zelle doch noch in eine andere Richtung entwickelt. Als Beispiel für diese Plastizität führt Prof. Wölfler schwere Infektion an: "Wenn plötzlich ein großer Bedarf an weißen Blutkörperchen entsteht, können Zellen, die sich unter normalen Umständen nicht unbedingt zu weißen Blutkörperchen entwickelt hätten, noch zu solchen werden.'' Nach dieser Vorstellung wird trotz früher Festlegung, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll, der absolute ‚point of no return', ab dem eine Differenzierung in eine bestimmte Richtung unumkehrbar ist, in der Blutzellentwicklung erst relativ spät erreicht.
     
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