Mittelfristige Prognose bis 2015
Wien (wifo) - Mitte 2009 kam der stärkste Wirtschaftseinbruch seit der Weltwirtschaftskrise
der 1930er-Jahre zum Stillstand. In erster Linie als Folge einer stark expansiven Geld- und Fiskalpolitik verbesserte
sich die Weltkonjunktur seither. Diese Impulse konnten aber in den Industrieländern noch keinen selbsttragenden
Aufschwung auslösen. Dafür sind insbesondere die Verschlechterung der Staatsfinanzen in einzelnen Euro-Ländern
(Griechenland, Irland) und der sprunghafte Anstieg der Anleihezinssätze dieser Länder maßgebend,
aber auch die weltweiten Leistungsbilanzungleichgewichte, insbesondere das Defizit der USA und der Überschuss
von China, sowie der neuerliche Anstieg der Rohstoffpreise.
Die Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft wird wesentlich davon abhängen, wie diese Entwicklungen weiter verlaufen.
Für die europäische Wirtschaft ist die Bewältigung der Schuldenkrise von besonderer Bedeutung. Nach
Ausbruch der Finanzmarktkrise endete nämlich die fast 10-jährige Phase weitgehend einheitlicher Zinssätze
für Staatsanleihen im Euro-Raum, die Unterschiede nach Ländern nahmen immer mehr zu. Dieser Prozess wurde
durch die Wechselwirkung zwischen dem Markt für Staatsanleihen und für "credit default swaps"
(CDS) verstärkt. Mit diesem Derivat können Finanzinvestoren auf einen Staatsbankrott spekulieren, indem
sie sich gegen eine Prämie die Bedienung von Staatsanleihen versichern lassen. Diese CDS-Geschäfte bieten
in einer akuten Krise große Gewinnmöglichkeiten, ihre Nutzung treibt allerdings gleichzeitig das Zinsniveau
des attackierten Landes in die Höhe
Die Bemühungen der Politik, einen weiteren, massiven Zinsanstieg in Portugal, Spanien oder Italien zu verhindern,
werden erschwert, weil einerseits die Finanzkrise "echte" Probleme geschaffen bzw. offenkundig gemacht
hat (etwa die geringe Konkurrenzfähigkeit der portugiesischen Wirtschaft oder die hohe Arbeitslosigkeit in
Spanien) und andererseits die Finanzinvestoren ja lediglich ihrem Gewinnstreben im Rahmen der herrschenden "Spielregeln"
folgen. Die Beschlüsse des Europäischen Rates vom Dezember 2010 spiegeln diese Problematik wider. Durch
Umwandlung der "European Financial Stability Facility" ("Euro-Schutzschirm") in einen permanenten
"European Stability Mechanism" soll ein klares Signal gesetzt werden, dass die EU ihre Mitgliedsländer
vor spekulativen Attacken schützen wird. Gleichzeitig werden aber die Möglichkeiten der Finanzinvestoren,
auf eine weitere Verschlechterung der Staatsfinanzen in Portugal oder Spanien zu spekulieren (wie es 2010 wie im
Fall von Griechenland oder Irland geschah), in keiner Weise eingeschränkt
Dieses Dilemma dürfte die Wirtschaft im Euro-Raum auch in den kommenden Jahren beeinträchtigen. Die vorliegende
Prognose nimmt deshalb an, dass sich der Wechselkurs des Euro bis 2012 auf 1,20 $ abschwächen wird. Die dämpfenden
Effekte der Euro-Krise würden demnach zunächst stärker ausfallen als die den Dollar schwächenden
Effekte der Auslandsverschuldung der USA. Je öfter sich allerdings spekulative Attacken auf einzelne Euro-Staaten
wiederholen, desto gründlicher werden die Gegenmaßnahmen der EU ausfallen. Mit Inkraft- treten des "European
Stability Mechanism" im Jahr 2013 sollte sich daher der Wechselkurs des Euro erholen (bis 2015 auf 1,35 $).
Seit Mitte 2010 stiegen die Rohstoffpreise um etwa 25%. Entsprechend dem mittel- und längerfristigen Trend
verteuerte sich Erdöl überdurchschnittlich (Anfang Juli 72 $ je Barrel der Marke Brent, Ende Dezember
2010 94 $). Die Prognose nimmt an, dass sich Rohstoffe weiterhin stärker verteuern als Industriewaren, allerdings
dürfte die Differenz schrumpfen. Gleichzeitig sollten die Erdölpreise bis 2015 merklich stärker
anziehen als jene der anderen Rohstoffe (+6,1% pro Jahr gegenüber +3,7% pro Jahr). Nicht zuletzt als Folge
zunehmender Konkurrenz auf dem Weltmarkt sowie steigender Produktionskapazitäten dürften die Industriewarenpreise
kaum steigen (+0,5% pro Jahr).
Übersicht 1 fasst die wichtigsten Prognoseergebnisse zusammen. Der Welthandel dürfte zwischen 2010 und
2015 um 7½% pro Jahr wachsen, merklich rascher als im Durchschnitt des letzten Jahrzehnts. Besonders kräftig
wird sich der Außenhandel der Industrieländer beleben, ihre Exporte und Importe sollten um 7% pro Jahr
expandieren. Die Exporte der USA werden stärker zunehmen als ihre Importe, Länder mit hohem Leistungsbilanzüberschuss
wie Deutschland, China, Russland und die OPEC-Länder werden hingegen ihre Importe stärker ausweiten als
ihre Exporte. Dementsprechend sollten sich die Leistungsbilanzungleichgewichte bis 2015 deutlich verringern.
Die Weltproduktion wird sich ab 2012 merklich erholen und mittelfristig um 4,5% pro Jahr wachsen. In den Industrieländern
wird die Dynamik wesentlich geringer ausfallen (+2,4% pro Jahr). In den USA wird die Gesamtproduktion weiterhin
rascher expandieren (+2,7% pro Jahr) als im Euro-Raum und in Japan (jeweils +1,9% pro Jahr). In den sechs großen
neuen EU-Ländern sollte die Dynamik mit +3,7% pro Jahr erheblich höher sein als im EU-Durchschnitt (+2,2%
pro Jahr). China und Indien werden weiterhin das höchste Wirtschaftswachstum realisieren (+8,9% bzw. +8,6%
pro Jahr). In den anderen Entwicklungs- und Schwellenländer dürfte das BIP bis 2015 um etwa 5% pro Jahr
zunehmen. |