Festakt im Parlament erinnert an das Lebenswerk
des Gewerkschafters Johann Böhm
Wien (pk) – Der 125. Geburtstag Johann Böhms gibt Anlass, um seinem Schaffen in der Gewerkschaft,
als Zweiter Präsident des Nationalrats und in der Sozialversicherung zu gedenken. Im Rahmen eines Festakts
im Hohen Haus würdigten Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, VertreterInnen von Regierung und Sozialpartnerschaft
sowie WissenschaftlerInnen die Rolle Böhms als Begründer der heimischen Sozialpolitik. An der Feierstunde
nahmen zahlreiche aktive und ehemalige PolitikerInnen teil, darunter auch Bundespräsident Heinz Fischer.
Prammer: Für soziale Sicherheit gilt es beständig einzutreten
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer stellte im Rahmen einleitender Worte fest, dass das Zitat Helmut Schmidts,
wonach soziale Sicherheit das Vermögen der "kleinen Leute" darstelle, die Lebensphilosophie Johann
Böhms adäquat umschreibe. Böhm, der die Abschaffung der Demokratie hautnah miterleben musste, würde
heute mit Zufriedenheit auf jene Zeit blicken, in der er maßgeblich zur Konstituierung der Zweiten Republik
beitragen konnte. Für soziale Sicherheit gelte es aber beständig einzutreten, führte die Nationalratspräsident
aus. Die letzten 20 bis 30 Jahre hätten schließlich auch eine Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen
mit sich gebracht, von der vor allem auch Frauen betroffen sind.
Auch stehe es, wie Prammer ausführte, außer Frage, dass gute Lebensverhältnisse die Voraussetzung
für Teilhabe am gesellschaftlichen und demokratischen Leben bilden. PolitikerInnen hätten dementsprechend
dafür einzutreten, dass es, was soziale Sicherheit anbelange, zu einer "Spirale nach oben" statt
nach unten, komme. Entsolidarisierung sei das Ende der Demokratie: Wo Solidarität fehle, wäre schließlich
Hetze und Ausgrenzung Tür und Tor geöffnet. Es gelte deshalb nicht nur das Erbe Böhms zu würdigen,
sondern es auch fortzusetzen, schloss Prammer.
Johann Böhm – Leidenschaft, Augenmaß und Vehemenz
Brigitte Kepplinger (Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik, Linz) ging im Rahmen der historischen
Würdigung der Person Johann Böhms auf den Werdegang des berühmten Gewerkschafters ein. Er sei der
Typus des sozialdemokratischen Politikers gewesen, der – aus einfachen Verhältnissen stammend – seine Karriere
der österreichischen Arbeiterbewegung verdankte. Böhm habe dabei nie den Kontakt zu seinen Wurzeln verloren
und wäre, wie Kepplinger hervorhob, der einfachen Arbeiterschaft verbunden geblieben.
Die Historikerin umriss sodann die wichtigsten Lebensstationen des Sozialpolitikers: Johann Böhm wurde 1886
als Kind einer "Kleinhäuslerfamilie" geboren. In Wien erlernte er das Maurerhandwerk und trat 1903
der Gewerkschaft der Maurer bei, wo er bald verschiedene Funktionen übernahm. Der Erste Weltkrieg habe, wie
Kepplinger ausführte, einen wesentlichen Einschnitt im Leben Böhms bedeutet: Er rückte ein, wurde
verwundet und kehrte schließlich 1918 aus dem Lazarett zurück nach Hause.
In der Ersten Republik übernahm Böhm, der sich nicht für eine revolutionäre Umwälzung
nach Ende der Monarchie begeistern konnte, politische Ämter. Außerdem fungierte er als Geschäftsführer
des Arbeitsamtes für das Baugewerbe in Wien. Zwischen 1930 und 1934 war er schließlich Mitglied des
Nationalrats.
Der Austrofaschismus sollte seiner Tätigkeit allerdings ein jähes Ende setzen: Am 12. Februar 1934 wurde
Johann Böhm verhaftet und für mehrere Monate im Anhaltelager Wöllersdorf interniert. Nach seiner
Freilassung schlug er sich mit schlecht bezahlten Arbeiten durch und betätigte sich in der illegalen Gewerkschaftsbewegung.
Nach 1938 verschärfte sich die Situation zusehends: Böhm versuchte jedoch auch in dieser Zeit, seine
Verbindung zur Sozialdemokratie aufrechtzuerhalten.
Nach Wiedererrichtung der Republik berief Staatskanzler Karl Renner ihn als Staatssekretär für soziale
Verwaltung in die Provisorische Regierung. Böhm engagierte sich nach 1945 vor allem für den Österreichischen
Gewerkschaftsbund, den er mitbegründete und dessen erster Präsident er war. Von 1945 bis zu seinem Tod
1959 fungierte Johann Böhm als Nationalratsabgeordneter, Zweiter NR-Präsident und Mitglied des SPÖ-Vorstands.
Böhm gilt heute als einer der "Väter" der österreichischen Sozialpartnerschaft und trug
maßgeblich zur Gestaltung der Fundamente der österreichischen Sozialpolitik bei.
In Erinnerung wären vor allem sein legendäres Verhandlungsgeschick, seine rhetorische Begabung, seine
Vehemenz und sein langer Atem geblieben, führte Kepplinger aus. Dabei habe er – trotz aller politischer Leidenschaft
– nie das erforderliche Augenmaß verloren, schloss sie.
Faymann: Demokratie und soziale Sicherheit gehören zusammen
Den Reigen der Festreden eröffnete Bundeskanzler Werner Faymann, der feststellte, dass er Böhm
zwar nicht persönlich kennengelernt habe, aber bereits als junger Politiker mit diesem großen Vorbild
konfrontiert war. Seinen Werten und Prinzipien käme auch heute noch Gewicht zu: Die Wirtschafts- und Finanzkrise
habe schließlich gezeigt, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Der aktuell
zu verzeichnende Anstieg bei den prekären Arbeitsverhältnissen verdeutliche außerdem, dass es sozialen
Zusammenhalt brauche. Ihn müsse man aber immer wieder erkämpfen, zeigte sich Faymann überzeugt.
Ein "glühender Demokrat" könne nur zum Schluss kommen, dass soziale Sicherheit ein maßgeblicher
Faktor ist. Das wechselseitige Ausspielen dieser Pole hielt Faymann deshalb für wenig zielführend. Man
müsse den Menschen Vertrauen in ihre Fähigkeiten geben und die Sozialpartnerschaft verteidigen, stand
für ihn außer Frage.
Die Verabschiedung des ASVG, an dessen Entstehung Böhm maßgeblich beteiligt war, bezeichnete Faymann
als "Meilenstein". Diesen Erfolg hätte der Sozialpolitiker aber nicht alleine errungen: Die Rolle,
die der Christlich-Soziale Bundeskanzlers Julius Raab dabei spielte, habe schließlich auch Böhm immer
wieder hervorgehoben.
Foglar: Erfolg der Gewerkschaftsbewegung gibt Böhm Recht
ÖGB-Präsidentin Erich Foglar nutzte seine Festansprache, um festzuhalten, dass das Leben Johann Böhms
vom Engagement und politischen Kampf für die Mitbestimmung der Arbeiterschaft am gesellschaftlichen Leben
bestimmt war. Durch diese reiche Erfahrung war es ihm möglich, bereits in den letzten Apriltagen des Jahres
1945 daran mitzuwirken, die österreichische Gewerkschaftsbewegung auf eine neue Grundlage zu stellen. Er sei
es schließlich auch gewesen, der das Modell eines einheitlichen, unabhängigen Gewerkschaftsbunds konzipiert
habe, an dem man seither festhalte. Der Erfolg der österreichischen Gewerkschaftsbewegung in der Zweiten Republik
hätte Böhm recht gegeben, meinte er.
Foglar führte aus, dass Böhm in den ersten Jahren der Zweiten Republik als Gewerkschaftspräsident
maßgeblich für die Lohn- und Preisabkommen mitverantwortlich und dabei nicht unumstritten war. Er habe
damit den Grundkonsens mitgestaltet, auf dem die erfolgreiche österreichische Sozialpartnerschaft bis heute
beruhe. Insbesondere eine für alle zugängliche Gesundheitsversorgung sei Böhm ein zentrales Anliegen
gewesen. Der ÖGB werde sich deshalb für die Erhaltung des international einzigartigen und vorbildlichen
österreichischen Gesundheitssystems einsetzen, bekräftigte Foglar.
Schelling: Die Sozialpartnerschaft ist ein stabiles Fundament
Hans-Jörg Schelling, Verbandsvorsitzender des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger,
meinte, Johann Böhm habe ein Lebenswerk hinterlassen, das seinesgleichen suche. Es sei symbolträchtig,
dass es der Maurer Johann Böhm und der Baumeister Julius Raab waren, die ein stabiles Fundament für die
Sozialpartnerschaft und damit für die Zweite Republik schufen. Es lasse sich feststellen, dass österreichische
Regierungen stets dann am erfolgreichsten agiert hätten, wenn sie die Sozialpartner hinter sich wussten, sagte
Schelling.
Zum Erbe Böhms, zu dem er sich bekenne, gehöre die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger,
die Konzeption des ASVG und das Prinzip, dass Parteipolitik in der Sozialversicherung nichts verloren habe. Von
Johann Böhm könne man auch heute noch lernen, wie man vielfältige Probleme meistern könne,
ohne dabei je das große Ganze aus dem Auge zu verlieren, schloss Hans-Jörg Schelling seine Würdigung
Johann Böhms.
Neugebauer: Anliegen der Menschen mit Mitteln des Dialogs vertreten
Zweiter Nationalratspräsident Fritz Neugebauer sah im Zentrum des erfolgreichen politischen Wirkens
Johann Böhms die Sorge um die Anliegen der Menschen, für deren Durchsetzung er das Mittel des Dialogs
eingesetzt habe. In Julius Raab hätte er dafür einen kongenialen Partner gefunden. Das besondere am österreichischen
Modell der Sozialpartnerschaft sei das Konzept des sozialen Dialogs, ein Begriff, der nun auch in die Präambel
des Vertrags von Lissabon aufgenommen wurde, hielt Neugebauer fest.
Johann Böhm sei ein politischer Pragmatiker gewesen, der seine nicht unbeträchtliche Machtfülle
stets mit Sorgfalt einzusetzen verstanden habe. Er hätte dabei stets den Dialog und das Miteinander in den
Vordergrund gestellt und könne damit auch heute noch als politisches Vorbild fungieren, schloss Neugebauer.
Politikwissenschaftler Anton Pelinka präsentiert Festschrift
Der Politologe Anton Pelinka präsentierte die von Guenther Steiner (wissenschaftlicher Mitarbeiter
des IKF) verfasste Festschrift zu Ehren Johann Böhms. Diese leiste, wie der Redner ausführte, einen wichtigen
Beitrag zum Verständnis der politischen Bedeutung des geehrten Sozialpolitikers.
Böhm und Raab wären, so Pelinka, maßgeblich für die Erfolge der unmittelbaren Nachkriegszeit
verantwortlich gewesen, auf denen die politische Tätigkeit Bruno Kreiskys aufbauen konnte. Der Sozialpolitiker
Böhm hätte schließlich auch dafür Sorge getragen, dass Österreich eine andere politische
Entwicklung als seine östlichen Nachbarländer genommen habe.
Reischl: Demokratie braucht auch heute Kompromisse
Ingrid Reischl, Vorsitzende der Trägerkonferenz des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger,
hob Böhms Engagement für die heimischen Krankenkassen hervor. Sein politisches Credo "Demokratie
braucht Kompromisse" gelte auch für die aktuelle Diskussion um das Gesundheitssystem. Wolle man hier
das Beste herausholen, müsse man sich zur Kooperation bekennen, schloss sie.
Moderiert wurde der Festakt von Danielle Spera, für die entsprechende musikalische Umrahmung sorgte das Streichquartett
"String Fizz". |