Jahrhundertirrtum der Wissenschaft durch Salzburger Forscher aufgedeckt
Salzburg (universität) - Wissenschaftlern der Universität Salzburg gelang in der Muskelforschung
ein markanter Durchbruch. Bislang hatte man angenommen, dass energiesparende Halteleistungen von Muskeln auf dem
Arretieren der krafterzeugenden Moleküle beruhen. Das Forscherteam um Stefan Galler erbrachte nun aber an
Muscheln den Beweis, dass hierfür eigene Haltemoleküle zuständig sind.
Beim Wettstreit um die stärksten Muskeln im Tierreich belegen erstaunlicherweise die Muscheln seit Jahrmillionen
den ersten Platz. Ihre Überlegenheit ist frappierend; doch noch verblüffender ist, dass ausgerechnet
diese Muskeln kaum Energie benötigen, wenn sie die Muschelschalen mit unglaublicher Kraft geschlossen halten.
Für die tierische Konkurrenz blamabel - für die Wissenschaft ein Rätsel! Nach 50 Jahren Forschungsarbeit
glaubte man in den 1960er Jahren des Rätsels Lösung gefunden zu haben. Nun aber – also weitere 50 Jahre
später – fand das Forscherteam um Stefan Galler vom Fachbereich Zellbiologie heraus, dass die bisherigen Annahmen
falsch sind. Diese neue Erkenntnis ist wegweisend für die gesamte Muskelforschung; denn energiesparende Halteleistungen
geringerer Ausprägung sind bei Tier und Mensch weit verbreitet.
Wie funktionieren Muskeln eigentlich? Muskelzellen enthalten Milliarden hochgeordneter Eiweißmolekülfäden
(Aktin- und Myosinfilamente). Verkürzt sich ein Muskel, gleiten diese Fäden aneinander vorbei. Flexible
Querverbindungen (Myosinköpfchen) verursachen dieses Gleiten durch energieaufwendige Ruderbewegung. Übt
ein Muskel nur Haltefunktion aus, unterbleibt die Gleitbewegung; die Ruderbewegungen laufen jedoch weiter und sorgen
unter Verbrauch von Zellenergie für anhaltende Muskelspannung. Geht den Muskelzellen die Energie aus, können
sich die Querverbindungen nicht mehr lösen und der Muskel fällt in Totenstarre.
Da Muschelmuskeln im Haltezustand kaum Energie benötigen, glaubte man, dass hier die Ruderbewegungen – ähnlich
der Totenstarre – beinahe zum Stillstand kommen. Stefan Galler und seine Jungmitarbeiter Julia Litzlbauer und Markus
Kröss schalteten die Querverbindungen mittels neu verfügbarer Hemmstoffe aus und beobachteten trotzdem
einen hohen Haltewiderstand. Dieser Widerstand kann also nicht auf arretierten Querverbindungen beruhen. Er wird
vielmehr durch eigene Haltemoleküle – also Brückenverbindungen, die sich nur beim Halten ausbilden –
verursacht. Deren Natur ist unklar, und so bleibt das Rätsel um die energiesparende Muskelspannung weiterhin
spannend.
Was nützt uns diese Grundlagenforschung? Nun, energiesparende Haltezustände geringerer Ausprägung
treten auch in den Muskeln unserer Blutgefäße auf, und krankhafte Veränderungen des Blutgefäßsystems
gehören bekanntlich zu den häufigsten Todesursachen. Wie die Geschichte der Naturwissenschaften lehrt,
ergaben sich die bedeutendsten medizinischen Fortschritte meist durch das Studium tierischer Modellorganismen,
die bestimmte Grundfunktionen des Lebens besonders deutlich zeigen. |