"Zu viel über die Kirche, zu wenig über die Gottesfrage"   

erstellt am
25. 01. 11

Kardinal Schönborn bei Diskussion mit Marketing-Experten: "Auch die Gesellschaft soll über die Kirchenaustritte nicht zur Tagesordnung übergehen"
Linz (pew) - „Wenn es um die Zukunft der Kirche geht, sind nicht nur die Bischöfe, sondern alle getauften und gefirmten Christen gefragt“: Dies betonte Kardinal Christoph Schönborn bei einer Begegnung mit dem „Marketing Club Linz“ im Stift St. Florian. Es werde zu viel über „die Kirche“ gesprochen und zu wenig über die Gottesfrage. In diesem Zusammenhang nahm der Wiener Erzbischof auch zu den Kirchenaustritten Stellung. Es sei ein „großer Schaden“, wenn – wie im Vorjahr – 87.000 Menschen aus der Kirche austreten. Kardinal Schönborn wörtlich: „Ich habe nie die These der kleinen Herde vertreten. Ich bin entschieden für die Erneuerungsbewegungen, die ‚movimenti‘. Aber ich liebe meine Volkskirche. Ich wünsche mir absolut nicht, dass es sie nicht mehr gibt“.

Über die Kirchenaustritte des Vorjahrs könne man nicht „zur Tagesordnung übergehen“, so der Kardinal. Auch die Gesellschaft sollte das nicht tun, betonte der Wiener Erzbischof bei der Veranstaltung in St. Florian, an der mit den Bischöfen Ludwig Schwarz und Maximilian Aichern auch der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer teilnahm. Es brauche einen gesellschaftlichen Diskurs über den „Stellenwert des Glaubens“, diese Frage betreffe das ganze Land, „nicht nur die Kirche“. In anderen Ländern werde darüber viel mehr diskutiert: „Wir sind heute in Europa zum Beispiel alle mit dem Islam konfrontiert, der massiv die Gottesfrage stellt“.

In den USA werde gezeigt, dass man „säkular und gläubig“ sein kann, erinnerte Kardinal Schönborn: „Europa ist ein Sonderphänomen, dass Säkularität und Religion nicht zusammengehen“. Möglicherweise liege das daran, dass Religion in Europa aus der Geschichte her „sehr stark obrigkeitsorientiert“ sei. Gerade in Oberösterreich sei man aber auf Grund der historischen Erfahrung viel weniger obrigkeitsorientiert.

Zur innerkirchlichen Diskussion betonte der Wiener Erzbischof: „Die Glaubensgemeinschaft setzt auf Synergie und Symphonie. Das Prinzip ist der Konsens. Nun werden Sie fragen: Sind nicht viele zum Beispiel für die Freistellung des Zölibats? Es gibt aber Kriterien in der Kirche, die nicht demokratisch bestimmt sind. Zudem ist die überwiegende Mehrheit weltweit für die Beibehaltung des Zölibats“. Insgesamt gebe es ein zu sehr auf den Klerus zentriertes Kirchenbild, „weit hinter dem Zweiten Vatikanischen Konzil“. Jeder Christ und jede Christin hätten eine Seelsorgsaufgabe. Wörtlich meinte Kardinal Schönborn im Hinblick auf die innerkirchliche Diskussion: „Eine Verflachung wird sicher nicht eine Neubelebung bringen, eine Verengung kann es auch nicht sein. Es kann nur eine Vertiefung sein. Kirche muss ein Ort sein, wo Antworten gefunden werden“.

Bei der Begegnung in St. Florian berichtete der Wiener Erzbischof, dass seine Entscheidung für das Priestertum mit elf Jahren gefallen sei. In seiner Jugend habe es dann durchaus Krisen gegeben. Von großer Bedeutung sei für ihn die Begegnung mit der Tradition des christlichen Ostens, aber auch mit dem Werk des französisch-algerischen Philosophen Jacques Derrida, später auch mit dem Werk des Heiligen Thomas von Aquin geworden: „Ich wollte weniger Oberflächlichkeit, mehr das Bewusstsein der großen Tradition der Christenheit“.
     
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