Brüssel (ec.europa) - Die Europäische Kommission hat am 04.02.
eine öffentliche Konsultation eingeleitet, die zur Entwicklung eines kohärenten Ansatzes für den
kollektiven Rechtsschutz in der Europäischen Union beitragen soll. Als Behörde, die mit hoheitlicher
Gewalt ausgestattet ist, und als Hüterin der EU-Verträge wendet die Kommission EU-Recht an und setzt
es durch. Verbraucher und Unternehmen können die ihnen durch EU-Recht verliehenen Rechte auch vor den Gerichten
der Mitgliedstaaten geltend machen. In manchen Fällen kann ein Verstoß gegen EU-Recht eine Vielzahl
von Einzelklagen nach sich ziehen. Das EU-Recht sieht im Verbraucherrecht bereits die Möglichkeit vor, dass
mehrere Personen gemeinsam klagen, aber die Regelungen sind auf nationaler Ebene je nach Bereich – Finanzmärkte,
Wettbewerb, Umweltschutz usw. – sehr unterschiedlich. Noch größere Unterschiede stellen sich beim kollektiven
Rechtsschutz, wenn ein Fall mehrere Mitgliedstaaten betrifft und eine Gruppe von Verbrauchern oder Unternehmen
Schadenersatz in derselben Sache geltend machen will. Die Kommission will im Rahmen ihrer öffentlichen Konsultation
versuchen, gemeinsame Rechtsgrundsätze für den kollektiven Rechtsschutz in der EU zu ermitteln (z. B.
das Gebot von Wirksamkeit und Effizienz, Recht auf Information und Schutz vor Klagemissbrauch). Wie die Konsultation
ausgehen wird, ist völlig offen. Beiträge können bis Ende April 2011 eingereicht werden.
Der kollektive Rechtsschutz ist ein umfassender Begriff, der sowohl Unterlassungsverfügungen als auch Schadenersatz
einschließt. Er ist klar von den Sammelklagen („class actions“) nach US-amerikanischem Recht zu unterscheiden.
Die kollektiven Rechtsschutzverfahren sind in Europa sehr unterschiedlich ausgestaltet: Sie umfassen Klagen vor
Gericht, außergerichtliche und alternative Streitbeilegungsverfahren sowie Verbandsklagen.
Der kollektive Rechtsschutz ist für die EU kein neues Konzept. Auf Unterlassung gerichtete kollektive Verfahren
sind im EU-Verbraucherrecht gang und gäbe und auch im EU-Umweltrecht nicht unbekannt. Kollektive Schadenersatzverfahren
gibt es hingegen nicht in allen Mitgliedstaaten. Die Kommission startet deshalb eine breit angelegte öffentliche
Konsultation mit Blick auf die "Entwicklung eines kohärenteren EU-Ansatzes für den kollektiven Rechtsschutz".
Ziel dieser Konsultation ist es unter anderem, gemeinsame Rechtsgrundsätze zu ermitteln für den Fall,
dass die Kommission eine Legislativinitiative zum kollektiven Rechtsschutz ausarbeitet, und zu überlegen,
wie diese Grundsätze in das Rechtssystem der EU und die 27 Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten integriert
werden könnten. Dabei stellt sich auch die Frage, in welchen Bereichen der kollektive Rechtsschutz (auf Schadenersatz
und/oder Unterlassung gerichtet) einen Mehrwert in Bezug auf eine bessere Durchsetzung des EU-Rechts oder einen
besseren Schutz der Geschädigten darstellen könnte.
Gleichzeitig wendet sich die Kommission entschieden gegen die Einführung von Sammelklagen („class actions“)
nach US-amerikanischem Muster oder Bestimmungen, die Klagemissbrauch Vorschub leisten.
Die öffentliche Konsultation wird der Kommission Anhaltspunkte für ihre eigene Position in der Frage
des kollektiven Rechtsschutzes liefern. Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nichts entschieden. Bei der Überlegung,
ob es überhaupt sinnvoll ist, im EU-Recht eine Regelung für den kollektiven Rechtsschutz vorzusehen,
wird die Kommission alle Meinungen berücksichtigen und den Grundsätzen der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit
und der Effektivität Rechnung tragen. Zum Abschluss der Konsultation wird eine Anhörung stattfinden.
Die Ergebnisse werden anschließend von der Kommission in einer Mitteilung vorgestellt. Die Entscheidung,
ob eine neue EU-Regelung erforderlich ist, wird letztlich von den Ergebnissen der Konsultation abhängen und
gegebenenfalls von einer ausführlichen Folgenabschätzung, in der alle Optionen geprüft werden.
Hintergrund
Die Kommission arbeitet seit einigen Jahren an europäischen Normen für den kollektiven Rechtsschutz im
Bereich des Verbraucher- und Wettbewerbsrechts. 2005 legte sie ein Grünbuch über Schadenersatzklagen
wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts vor, dem 2008 ein Weißbuch folgte. Beide Texte enthalten ein Kapitel
über den kollektiven Rechtsschutz. 2008 veröffentlichte die Kommission zudem ein Grünbuch über
kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher. Vizepräsidentin Reding, Vizepräsident Almunia
und Verbraucherkommissar Dalli erörterten die Probleme, die sich beim kollektiven Rechtsschutz stellen, während
einer Grundsatzdebatte in der Kommissionssitzung vom 12. Oktober 2010. Auf dieser Grundlage wird heute die öffentliche
Konsultation eingeleitet. |