Der Dombau von St. Stephan   

erstellt am
11. 02. 11

Ausstellung im Wien Museum von 11.03. bis 21.08.11
Wien (wienmuseum) - Die Architekturzeichnungen von St. Stephan aus dem Spätmittelalter sind einzigartig: Von keinem gotischen Dombau in Europa hat eine derart große Zahl von Planrissen auf Pergament und Papier die Jahrhunderte überlebt. Der Bestand umfasst 294 Planrisse, von denen die Akademie der bildenden Künste Wien 285 und das Wien Museum weitere 9 Stück besitzt.

Insgesamt handelt es sich um 440 Zeichnungen, da über die Hälfte der wertvollen Pergamente und Papiere auf beiden Seiten benützt wurde. Diese detaillierten Pläne, nach denen die Dombaumeister und Steinmetze arbeiteten, finden sich seit 2005 auf der UNESCO-Liste des Weltdokumentenerbes. Sie stehen im Zentrum der Ausstellung, zum Beispiel ein fünf Meter hoher Aufriss des nie vollendeten Nordturms aus der Sammlung des Wien Museums.

Mehr als 300 Jahre wurde am Stephansdom gebaut. «Hoch hinauf» lautete die Devise der gotischen Sakralbauten, die enorme Höhe des gigantisches Turms war auch ein Ausdruck von «Stadt-Marketing» und Symbol kirchlicher wie weltlicher Macht. Nach seiner Fertigstellung im Jahr 1433 stand in Wien der höchste Turm Europas. Mehrere gleichzeitig laufende Turmbauprojekte zielten damals darauf, das Wiener Vorbild zu übertreffen. Lediglich dem Nordturm des Straßburger Münsters sollte dies gelingen. Der monumentale Dom mit dem bunt gedeckten Dach war von weitem sichtbar und wurde zur symbolische Mitte Wiens: St. Stephan fungierte auch als Repräsentationsbau der Landesfürsten, Pfarrkirche und später als Bischofssitz.

Die Planzeichnungen stammen von den berühmtesten Baumeistern der Zeit. Ausgeführt wurde das Werk von unzähligen Handwerkern und Hilfskräften, die von weither nach Wien strömten. Und das in einer Zeit, als Europa von Umweltkatastrophen, Epidemien und Kriegen heimgesucht wurde. Ausgehend von den Originalplänen behandelt die Ausstellung verschiedene Themen: Wie wurde der Dombau finanziert? Welche Rolle spielte dabei das Wiener Bürgertum? Wer plante? Wie funktionierte eine mittelalterliche Bauhütte? Woher kam das Baumaterial?

Im Wien Museum befinden sich wertvolle Bauskulpturen von St. Stephan, etwa die Fürstenfiguren. Im 19. Jahrhundert wurden diese am Dom durch Kopien ersetzt, die Originale kamen – wie auch die gotischen Glasfenster – ins Museum. Diese einzigartigen Kulturschätze ergänzen die Ausstellung, ebenso wie eine «Bildgeschichte» des Steffls als Wiener Stadtikone von 1500 bis heute, u. a. mit frühen Kupferstichen, Veduten von Rudolf von Alt, Ansichtskarten oder das Manner-Logo. Dazu kommt die interaktive Station «Achtung Baustelle!», in der Bautechniken des Mittelalters vermittelt werden. Zudem gibt es einen Erkundungspfad durch die Dauerausstellung zu zahlreichen Exponaten mit Bezug zum Stephansdom.

Die Anfänge und das Aussehen der Stephanskirche im 12. Jahrhundert sind kaum zu rekonstruieren, so etwa ist es ungewiss, ob die Kirche bereits ein Westturmpaar hatte, dessen Mauerwerk in den unteren Geschossen der heutigen Heidentürme erhalten geblieben ist. Wer letztlich der Initiator des großen Bauvorhabens war - der Landesfürst, der Bischof von Passau, zu dessen Bistum Österreich damals zählte, oder die Wiener Pfarrgemeinde - ist bis heute ebenfalls nicht geklärt. Gesichert ist, dass die frühgotische Kirche (der Westbau mit den mehrgeschossigen Heidentürmen, das Riesentor und Teile der Westempore des heutigen Domes) 1263 geweiht wurde.

Anfang des 14. Jahrhunderts initiierten die Wienerinnen und Wiener einen großangelegten Chorneubau ihrer Pfarrkirche, danach war es der ehrgeizige Landesfürst Herzog Rudolf IV. (1339-1365), der St. Stephan seinen Stempel aufdrückte: Die folgende Erweiterung umfasste unter anderem die Errichtung der Herzogsgruft und die Aufstellung seines prächtigen Grabmales direkt im Zentrum des Mittelchors, das zukunftsweisend als Grabstätte der Habsburgerherrscher gedacht war. Rudolf IV dürfte auch der Initiator zur Errichtung eines hohen Turmes gewesen sein, der Südturm wurde schließlich 1433 fertig gestellt, womit Wien – zumindest vorerst – den Wettlauf um den höchsten Turm gewann.

Während seiner Errichtung wurde auch mit dem Neubau eines modernen, größeren Langhauses begonnen, dessen Eindeckung mit den berühmten farbigen Ziegeln ab 1449 erfolgte. Schon kurz nach der Fertigstellung prägte das Erscheinungsbild der Kirchensüdseite – das hohe Dach und der Turm – die Silhouette der Stadt und wurde bereits im 15. Jahrhundert auf zahlreichen Stadtansichten malerisch festgehalten. Dies trug wohl wesentlich zur Identitätsbildung der Wienerinnen und Wiener bei. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begann man mit dem Bau des Nordturmes, der bekanntlich unvollendet blieb. 1511 wurden die Arbeiten eingestellt. Kaiser Friedrich III. (1415-1493) gelang es, vom Papst eine Bistumserhebung zur erlangen, die 1480 in einem feierlichen Akt bekundet wurde.

Die finanzielle Last wurde in erster Linie von bürgerlichen Stiftungen, Einkünften aus Grundbesitz und vor allem Ablassgeldern getragen. Über mittelalterliche Urkunden lässt sich ein massives Ansteigen der Spenden von Wiener BürgerInnen für St. Stephan ab etwa 1300 belegen, wobei die Stifter vorerst explizit den Chorbau fördern wollten. Auch zahlreiche Ablassurkunden, die speziell für dieses Bauvorhaben ausgestellt wurden, wurden mitunter von einer ganzen Reihe von Erzbischöfen und Bischöfen gemeinsam ausgestellt.

Anders als die meisten der großen Kathedralen Frankreichs oder auch der Kölner Dom, ist der Wiener Stephansdom nicht nach einem einheitlichen, bis zur Vollendung festgeschriebenen Plan errichtet, sondern das Ergebnis eines kontinuierlichen Planungs- und Ausbauprozesses, der erst nach drei Jahrhunderten zu seiner endgültigen Erscheinungsform führen sollte. Immer wieder kam es – besonders nach Bau-Unterbrechungen durch Krieg etc. – zu Umplanungen mit teils enormen Auswirkungen, so war etwa der Südturm in seiner gigantischen Dimension ursprünglich so nicht geplant. Viele der technischen Probleme konnten erst im Laufe der langen Bauzeit gelöst werden.

Die Bauhütte von St. Stephan, die für Organisation und Durchführung der Kirchenbaustelle verantwortlich war, war international vernetzt und hatte enormes Ansehen. Für die Planung waren die Baumeister verantwortlich, unter ihnen legendäre Persönlichkeiten der Wiener Geschichte wie etwa Hanns Puchsbaum. Das Material der Pläne war Pergament, später Papier, die Zeichenwerkzeuge Tuschfeder, Lineal, Dreieck und Zirkel. Für die praktische Umsetzung zuständig war der «Parlier», an der Ausführung arbeitete ein Heer an Steinmetzen, Maurern und anderen Handwerkern. Enorme Rodungen im Wienerwald oder in den Donauauen waren notwendig, um Holz zu bekommen, etwa für den Dachstuhl oder für Baugerüste, die Heranschaffung des Steinmaterials erforderte einen enormen logistischen Aufwand.

Die Großbaustelle wurde zu einem wichtigen ökonomischen Faktor in der Stadt und sorgte dafür, dass von weither Menschen kamen, um hier zu arbeiten – aufgrund von Seuchen und Kriegen herrschte ein eklatanter Mangel an ansässigen Arbeitskräften. Während der Bauarbeiten mussten rund um den eigentlichen Bauplatz Material, Werkzeug, Gerüste, Baumaschinen und Baukran usw. gelagert werden. Die begrenzten räumlichen Ressourcen mitten in der Stadt und der städtische «Normalbetrieb» zu allen Tageszeiten erforderte einen gut organisierten Baubetrieb. Trotz der langen Bauzeit wurde die liturgische Bespielung während des Kirchenjahres, die Abhaltung von Gottesdiensten, Chorgebeten und Gedächtnisfeierlichkeiten, in St. Stephan aufrecht gehalten.

Der Bauprozess erfolgte in Abschnitten: Grundsätzlich ließ man den alten Bau möglichst lange stehen und schuf zunächst die Außenmauern, aber nur soweit, dass das Abbruchmaterial noch gut abtransportiert werden konnte. Für eine ungestörte kultische Nutzung wurden provisorische Schranken, behelfsmäßige Dächer aus Stroh, Holz- und Fachwerkeinbauten eingesetzt. Die Kirche fungierte aber nicht nur als Ort religiöser Bräuche: Immer wieder wurde die Kirche für Versammlungen der Landesfürsten, aber auch zur Unterzeichnung von Rechtsakten gebraucht, auch die Versammlungen der von Rudolf IV. gestifteten Universität fanden in der Stephanskirche statt.

Im Zentrum der Ausstellung, in der neben 19 gotischen Planrissen weitere 120 Exponate zu sehen sind - darunter Urkunden, Fotografien, Grafiken, steinerne Architekturfragmente, Werkzeuge etc. - stehen die gotischen Planrisse von St. Stephan. Auch nach eingehender Beschäftigung mit ihnen lässt sich ihre Komplexität nicht leicht entschlüsseln. Die Technik, nach der sie einst gezeichnet und gelesen wurden, entspricht mittelalterlichen Vorstellungen und Denkprozessen, die von ihren Urhebern selbst in einer 10jährigen Ausbildung erlernt werden musste. Umso schwieriger ist es für ein breites Publikum in diese Welt einzutauchen, Infografiken und Modelle bieten hier Hilfestellungen an, ebenso 3-D-Verortungen und Fotos.

Die Vielschichtigkeit der mittelalterlichen Planrisse spiegelt sich auch in den weiteren Kapiteln der Ausstellung. Hier geht es auch um kultur- und mentalitätsgeschichtliche Themen, um religiöse Vorstellungswelten der damaligen Menschen und die Rahmenbedingungen der Zeit. Überdauert hat die Arbeitsweise und Handwerkskunst der Dombauhütte, die sich zwar die neuesten Techniken der Dokumentation angeeignet hat, aber dennoch den traditionellen Arbeitsmethoden verpflichtet fühlt. Damit die Ausstellung auch den jüngsten Besucherinnen und Besuchern Einblick in eine mittelalterliche Baustelle gewährt, gibt es eine eigene Spiel-Baustelle, bei der mittelalterliche Konstruktionstechniken ausprobiert werden können.
     
Informationen: http://www.wienmuseum.at    
     
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