Wirtschaftskrise und Euro-Stabilität dominieren EU-Politik auch 2011   

erstellt am
10. 02. 11

Bundeskanzler informiert Nationalrat über aktuelle EU-Vorhaben
Wien (pk) - Die Bewältigung der Wirtschaftskrise, die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und die Stabilität des Euro werden auch im Jahr 2011 dominierende Themen auf EU-Ebene sein. Das geht aus einem gemeinsamen Bericht von Bundeskanzler Werner Faymann und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek an den Nationalrat über aktuelle EU-Vorhaben in ihrem Zuständigkeitsbereich hervor. Faymann erwartet unter anderem neue Rechtsgrundlagen, um nachteilige makroökonomische Ungleichgewichte zwischen den EU-Staaten zu vermeiden, und stellt eine Änderung der EU-Verträge zur Einrichtung eines ständigen Stabilitätsmechanismus für die Euro-Länder in Aussicht, zudem plant die EU-Kommission eine beschleunigte Umsetzung der Wachstumsstrategie "Europa 2020".

Weitere Schwerpunkte der insgesamt sechs EU-Gipfel im Jahr 2011 werden voraussichtlich der EU-Finanzrahmen ab 2014, die Themen Klimaschutz, Energie, Innovation und nachhaltige Entwicklung, die Forcierung einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik und die Außenbeziehungen der EU sein. Außerdem stehen heuer der Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und der Start substanzieller Beitrittsverhandlungen mit Island auf der Agenda.

EU-Kommission: Fünf politische Prioritäten, 40 konkrete Strategien

Die EU-Kommission will sich laut Bericht im Jahr 2011 auf fünf politische Prioritäten konzentrieren und hat dazu insgesamt 40 konkrete strategische Initiativen ausgearbeitet. Weitere 151 Initiativen befinden sich im Prüfstadium. Neben der Bewältigung der Wirtschaftskrise und einer Belebung des Wachstums zur Schaffung von Arbeitsplätzen geht es der Kommission dabei insbesondere um eine Stärkung der Rolle der Union auf dem internationalen Parkett und um eine bessere Koordinierung der EU-Staaten in Sachen Verbrechensbekämpfung, Migration, Asyl und Justiz ("Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts"). Außerdem sollen die Verhandlungen über das künftige EU-Budget (Finanzrahmen ab 2014) beginnen. 23 ältere Vorschläge will die EU-Kommission mangels Erfolgsaussichten zurückziehen.

Konkret auf der Agenda des nächsten EU-Gipfels Ende März wird voraussichtlich das Legislativpaket der Europäischen Kommission zur besseren Koordinierung der Wirtschaftspolitik der EU-Mitgliedstaaten stehen. Die neuen Rechtsgrundlagen, die unter anderem auf eine höhere Budgetdisziplin der EU-Länder abzielen, könnten, so der Bericht, bereits im Sommer 2011 in Kraft treten. Auch der dauerhafte "Schutzschirm" für den Euro soll im März von den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder auf den Weg gebracht werden – er wird aller Voraussicht nach aber frühestens im Jahr 2013 den derzeit geltenden Stabilitätsmechanismus ersetzen, da die dafür notwendige Änderung des EU-Grundlagenvertrags von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss.

Was die Wachstumsstrategie "Europa 2020" betrifft, sind die EU-Mitgliedstaaten angehalten, bis Ende April 2011 nationale Reformprogramme basierend auf den fünf vereinbarten Kernzielen vorzulegen. Außerdem ist für den Frühjahrsgipfel eine Debatte über den aktuellen Jahreswachstumsbericht in Aussicht genommen, der zehn prioritäre Maßnahmen, darunter unter anderem Haushaltskonsolidierung, Stabilität des Finanzsektors, Pensionsreform und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, nennt. Österreich unterstützt, wie es im Bericht heißt, den breiten Ansatz der Wachstumsstrategie, drängt im Hinblick auf laufende Diskussionsprozesse zum Detailbereich Pensionen aber darauf, die Debatte auf das effektive Pensionsantrittsalter zu beschränken.

Künftiges EU-Budget: Erster Vorschlag kommt im Juni auf den Tisch
Harte Verhandlungen sind in den kommenden zwei bis drei Jahren über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union zu erwarten, der ab dem Jahr 2014 gelten soll. Einen ersten konkreten Vorschlag dazu will die Europäische Kommission im Juni 2011 auf den Tisch legen. Dabei wird es sowohl um den künftigen Ausgabenrahmen – etwa für die EU-Agrarpolitik und die Förderung strukturschwacher Regionen – als auch um die Einnahmenseite gehen, wobei das künftige EU-Budget laut Vorgabe der Staats- und Regierungschefs der EU-Länder "die Bemühungen der Mitgliedstaaten um Konsolidierung ihrer nationalen Haushalte widerspiegeln" soll. Auch Österreich setzt sich für einen sparsamen EU-Haushalt ein und plädiert gleichzeitig für eine Umstrukturierung des Budgets zugunsten von "Zukunftsinvestitionen". Einnahmenseitig befürwortet die österreichische Regierung weiter die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.

Ideen zur künftigen Ausrichtung der regionalen Strukturförderung hat die EU-Kommission bereits vergangenen November im 5. Kohäsionsbericht vorgelegt. Sie spricht sich darin unter anderem dafür aus, weiterhin alle Regionen Europas, finanziell abgestuft nach wirtschaftlichem Entwicklungsstand, zu fördern, durch eine stärkere strategische Programmplanung und thematische Konzentration jedoch den "europäischen Mehrwert" zu steigern, die Evaluierung zu verbessern und die Verfahren zu straffen, um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Von Seiten einiger EU-Länder gibt es außerdem Bestrebungen, den Anliegen und Entwicklungsproblemen von Städten vermehrt Augenmerk zu widmen und stärker in der zukünftigen Kohäsionspolitik zu berücksichtigen.

Österreich misst EU-Strategie für den Donauraum große Bedeutung bei
Große Bedeutung misst Österreich der EU-Strategie für den Donauraum bei, die gemäß Bericht beim EU-Gipfel am 24. Juni angenommen werden soll. Die Strategie baut auf vier Säulen – Vernetzung sowie Stärkung der Donauregion, Umweltschutz und Schaffung von Wohlstand – auf und soll dazu beitragen, den Zusammenhalt im Donauraum zu stärken. Österreich erhofft sich unter anderem eine Forcierung der Binnenschifffahrt inklusive eines Ausbaus multimodaler Verkehrsknoten, mehr Nachhaltigkeit bei der Energieversorgung, einen besseren Umwelt- und Hochwasserschutz sowie eine engere Kooperation in Bezug auf nachhaltigen Tourismus. Konkret angesprochen sind 14 Donauraumstaaten, davon acht EU- und sechs weitere europäische Länder.

In Sachen Klimaschutz soll der Europäische Rat spätestens im Herbst die EU-Position für die UN-Klimakonferenz in Durban festlegen. Österreich macht sich dabei weiter für ein umfassendes, globales und rechtsverbindliches Klimaschutzabkommen stark, sieht aber, wie im Bericht betont wird, "keinen Anlass zur unilateralen Steigerung des EU-Treibhausgasreduktionsziels auf 30 %" und pocht auf eine befriedigende Lösung des Problems der Abwanderung kohlenstoffintensiver Industrien aus Europa (Carbon Leakage).

Umsetzung des Vertrags von Lissabon fast abgeschlossen
In weiten Teilen abgeschlossen ist laut Bericht die Umsetzung des Vertrags von Lissabon. Lediglich die geplante Erhöhung der Mandatszahl im Europäischen Parlament, die konkreten Bestimmungen über die Europäische Bürgerinitiative und der Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) waren zu Beginn des Jahres noch ausständig. In allen drei Fällen sind die Umsetzungsarbeiten aber weit gediehen. So hatten zum Zeitpunkt der Berichterstellung bereits 15 der 27 EU-Staaten das Änderungsprotokoll zur Mandatsaufstockung im Europäischen Parlament genehmigt. Auch die Verhandlungen über den Beitritt der EU zur EMRK gehen zügig voran, sie könnten Mitte 2011 beendet werden.

Hinsichtlich der Europäischen Bürgerinitiative haben sich die EU-Länder auf die Einrichtung eines Online-Registers bei der Europäischen Kommission geeinigt. Für eine erfolgreiche Initiative wird es demnach innerhalb von zwölf Monaten einer Million Unterschriften aus mindestens sieben EU-Ländern (ein Viertel) bedürfen, wobei für die einzelnen Länder eine von der Größe des Landes abhängige Zahl von Mindestunterstützungserklärungen gilt (Österreich: 12.750). Außerdem ist zur Organisation ein Bürgerkomitee als Unterstützerplattform einzurichten, dem mindestens sieben Personen aus sieben verschiedenen Mitgliedstaaten angehören müssen. Initiativen, die gegen die Werte der EU gerichtet sind oder deren Anliegen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Union fällt, werden nicht zugelassen. Die EU-Kommission hat drei Monate Zeit, um eine Stellungnahme zu einer erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative abzugeben und muss darin auch die weiteren geplanten Schritte darlegen.

Neue Datenschutzregelung in Ausarbeitung
In Folge des Vertrags von Lissabon stehen darüber hinaus auch neue Datenschutzregelungen an, die sich auf den gesamten Bereich des Unionsrechts, mit Ausnahme der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, erstrecken sollen. Die EU-Kommission wird dem Bericht zufolge nach der im Jänner beendeten öffentlichen Konsultation eine Richtlinie bzw. eine Verordnung vorschlagen. Ziel ist eine kohärente Regelung, die auch die Bereiche Inneres und Justiz umfasst, die Rechte des Einzelnen stärkt und eine wirksame Durchsetzung von Datenschutzvorschriften ermöglicht. Österreich legt ausdrücklich Wert darauf, dass das geltende Datenschutzniveau keinesfalls unterschritten wird.

Weitere aktuelle EU-Vorhaben, die Fragen des Datenschutzes berühren, sind die Schaffung EU-weit einheitlicher Bestimmungen zur Übermittlung von Fluggastdaten durch die Fluglinien zu Strafverfolgungszwecken, eine Überarbeitung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, ein Programm zum Aufspüren von Terrorismusfinanzierung sowie die Errichtung eines Ein- und Ausreisesystems, um illegale Einwanderung leichter aufspüren zu können. Insbesondere in Bezug auf letztgenannte Pläne zeigt sich Österreich aus Datenschutzerwägungen allerdings skeptisch.

In Reaktion auf die Verurteilung Österreichs durch den EuGH wegen Nichtumsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung will die Regierung die Umsetzungsarbeiten auf Basis eines vorliegenden Gesetzentwurfs fortsetzen.

Elektronische Signaturen sollen künftig EU-weit anerkannt werden
Im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie strebt die EU-Kommission eine Weiterentwicklung der Signatur-Richtlinie aus dem Jahr 1999 sowie einen neuen Rechtsrahmen für die EU-weite Anerkennung elektronischer Signaturen an. Sie will damit bestehende Defizite beseitigen und die grenzüberschreitende Nutzung elektronischer Behördendienste erleichtern. Ein neuer E-Government-Aktionsplan soll BürgerInnen und Unternehmen zudem verstärkt in die Lage versetzen, Amtswege online abzuwickeln, wobei als konkrete Beispiele die Gründung eines Unternehmens, die Beantragung von Sozialversicherungs- und Gesundheitsleistungen und die Einschreibung an Universitäten genannt werden.

Zur Umsetzung der "Digitalen Agenda", einer der Leitinitiativen der Strategie "Europa 2020", hat die EU-Kommission 100 konkrete Maßnahmen erarbeitet, von denen sich 21 direkt an die Mitgliedstaaten richten. Hauptziele sind die möglichst rasche Implementierung eines "Hochgeschwindigkeits-Internets" in ganz Europa und die Schaffung eines "echten digitalen Binnenmarkts".

In Zusammenhang mit den Bemühungen um eine verbesserte Netz- und Informationssicherheit ist eine Verlängerung und Ausweitung des Mandats der dafür eingerichteten Europäischen Agentur (ENISA) in Aussicht genommen.

Europa besser vermitteln
Um den BürgerInnen die Leistungen der Europäischen Union näherzubringen und das Vertrauen in die EU zu stärken, haben sowohl die EU als auch die österreichische Regierung eine Reihe von Initiativen gesetzt. Unter anderem sind Fernsehdiskussionen zu europäischen Themen, Schulprojekte und Fortbildungsseminare für speziell angeworbene "Europa-Gemeinderäte" geplant.

Weitere Initiativen der EU im Kompetenzbereich des Bundeskanzleramtes betreffen die Verbesserung der Rechtsetzung ("Better Regulation") sowie die Öffnung öffentlicher Ausschreibungen für Drittstaaten wie China.

Gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen und Männern

Zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern hat die EU-Kommission, wie Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek berichtet, im September vergangenen Jahres ein Arbeitsprogramm für den Zeitraum 2010 bis 2015 vorgelegt. Zu den Schwerpunkten des Programms gehören unter anderem die gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen und Männern, die Gewährung von gleichem Entgelt für gleichwertige Arbeit, die Gleichstellung der Geschlechter in Entscheidungsprozessen, der Kampf gegen Gewalt an Frauen und die Gleichstellung in der Außenpolitik. Konkret ist 2011 etwa geplant, in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern Maßnahmen zur Verbesserung der Lohntransparenz auszuarbeiten.

Auch der Europäische Rat will aktiv werden und laut Bericht beim EU-Gipfel im März einen "Europäischen Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter (2011-2020)" in seine Schlussfolgerungen aufnehmen. Vorgesehen sind vier Aktionsfelder: die Beseitigung der geschlechtsspezifischen Unterschiede und der Segregation am Arbeitsmarkt, die Förderung einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Privatleben ("Work-Life-Balance") zur Bewältigung demographischer Herausforderungen, die Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen sowie die Einbeziehung der Gleichstellungsperspektive in sämtliche Politikfelder ("Gender Mainstreaming"). Österreich ist dabei insbesondere die Verringerung der geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede ein wichtiges Anliegen, wie es im Bericht heißt.
     
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