Historiker der Uni Graz untersuchte die steirische Finanzwirtschaft am Beginn der Neuzeit
Graz (universität) - Wenn vor über 400 Jahren der Adel Schlösser und Grundbesitz erwarb,
floss kaum Bares. Stattdessen wurden Schuldscheine ausgestellt oder getauscht. Der Historiker Dr. Martin Khull-Kholwald
hat in seiner Dissertation an der Uni Graz die steirische Finanzwirtschaft zwischen 1515 und 1635 untersucht und
aufgezeigt, wie Kredite Investitionen ermöglichten und dadurch die Wirtschaft belebten. Gleichzeitig stellt
die Arbeit eine Pionierleistung dar, da sie erstmals das Kreditwesen der frühen Neuzeit mitsamt seinen Auswirkungen
auf die Volkswirtschaft offenlegt. Die Forschungen, deren Ergebnisse auch auf andere Länder im damaligen Europa
übertragbar sind, wurden von der Österreichischen Nationalbank gefördert.
Eingegrenzt hat der Wissenschafter seinen Untersuchungszeitraum mit dem Amtsantritt des Siegmund von Dietrichstein
als Landeshauptmann der Steiermark 1515 und der Einführung der ersten funktionierenden Kapitalertragssteuer
auf steirischem Boden, dem sogenannten „Interessegulden von 1635“. Damals war es in Adelskreisen gang und gäbe,
Immobilienkäufe über Schuldscheine abzuwickeln. „Die wichtigste verwendete Kredittechnik war der übertragbare
Inhaberschuldschein“, berichtet Martin Khull-Kholwald. Dieser konnte an dritte Personen weitergegeben werden, etwa
im Zuge der Vererbung oder auch in der wechselseitigen Abrechnung von Guthaben gegen Schulden. Beim Erwerb einer
Immobilie übernahm der Käufer oder die Käuferin in vielen Fällen die auf der Immobilie lastenden
Schulden. Nur ein geringer Teil des Kaufpreises musste in Form einer Anzahlung in Münzen erstattet werden.
Die Quellen sprechen hier vom sogenannten „Leihkauf“, informiert der Historiker. „Charakteristisch für diese
Form der Kreditwirtschaft war, dass sie in mehr oder weniger regionalen Netzwerken praktiziert wurde. Die Mitglieder
kannten einander persönlich – eine Voraussetzung, die einer Bonitätsprüfung gleichkam“, so Khull-Kholwald.
Das Schuldscheinwesen stand im Zusammenhang damit, dass sich zu wenig Hartgeld im Umlauf befand. „Im 17. Jahrhundert
bewegte sich das Verhältnis von Kredit zu Münzen zwischen 11:1 und 37:1. Das heißt, auf einen Gulden
in Münzen kamen 11 bis 37 Gulden in Form von Schuldscheinen“, erklärt der Wissenschafter. In ganz Europa
dürfte es ähnlich gewesen sein, wie Zahlen aus England nahelegen. Somit erfüllten die Schuldverschreibungen
eine wichtige Rolle in der Vermehrung der Geldmenge – „als Bedingung für eine positive Wirtschaftsentwicklung“,
betont Khull-Kholwald, auch wenn das die Inflation begünstigte.
Während es ab den 1590er-Jahren mit der Realwirtschaft rasant bergab ging – im Bereich landwirtschaftlicher
Erzeugnisse ebenso wie am Steirischen Erzberg –, stiegen die Immobilienpreise bei kontinuierlicher Inflation in
Schwindel erregende Höhen. Im Steiermärkischen Landesarchiv stieß Khull-Kholwald unter anderem
auf die Herrschaft Lankowitz nahe Köflach: Auf ihr lastete 1500 eine Pfandsumme von 2.000 Gulden. 78 Jahre
später konnte die freiherrliche Familie Herberstein die Pfandherrschaft um 20.327 Gulden in Eigenbesitz umwandeln.
1634 wurde die Immobilie um 50.000 Gulden, nach Abzug einer auf ihr lastenden Stiftung im Wert von 29.000 Gulden,
wieder verkauft. „Die steigenden Preise führten dazu, dass immer größere Summen in Schuldverschreibungen
verbrieft und immer mehr Kreditverbindlichkeiten eingegangen wurden“, so der Historiker.
Übrigens: Geldgeschäfte waren in der Steiermark der frühen Neuzeit keineswegs nur Männersache.
„Anhand der Einführung des Interesseguldens von 1635 konnte festgestellt werden, dass 14 Prozent des Steueraufkommens
von weiblichen Gültbesitzerinnen aufgebracht wurden. Das waren Eigentümerinnen von Liegenschaften, die
der Gültsteuer unterworfen waren, einer Kombination aus Ertrags- und Grundsteuer“, erklärt Khull-Kholwald.
Weitere zwei Prozent kamen von Frauenklöstern. Männliche Gültbesitzer leisteten 60 Prozent des Steueraufkommens. |