Wien (wifo) - Im Bankensektor vollzieht sich international seit den 1990er-Jahren
ein grundlegender Umbruch. Innerhalb der EU wurde der Druck auf die Banken durch die Vollendung der Währungsunion
und die Bemühungen der Europäischen Kommission zur Schaffung eines Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen
noch verstärkt. Die Kreditinstitute reagierten darauf mit zunehmender Konsolidierung und Konzentration sowie
verstärkter internationaler Orientierung. So verhalten der Strukturwandel der österreichischen Banken
im Inlandsbereich verläuft, so dynamisch nutzten sie die Wachstums- und Ertragschancen auf internationaler
Ebene. Österreichische Großbanken erwarben vor allem seit Mitte der 1990er-Jahre im Zuge der Privatisierungswelle
in den ostmitteleuropäischen Nachbarländern marktbestimmende Institute und erweiterten seither kontinuierlich
ihre Marktpräsenz in diesen Ländern.
Wachstums- und Performancemöglichkeiten durch zunehmende Auslandsaktivitäten wurden jedoch auch von den
kleineren und mittleren österreichischen Regionalbanken verstärkt genutzt. Insbesondere kleine und mittlere
Banken in den östlichen Grenzregionen steigerten ihre Auslandsaktivitäten seit Mitte der 1990er-Jahre
überdurchschnittlich. Der Schwerpunkt der Auslandsaktivitäten dieser Banken liegt im Kreditbereich, das
grenzüberschreitende Einlagengeschäft entwickelte sich hingegen deutlich weniger dynamisch.
Der Anteil der Auslandsaktiva an der Bilanzsumme der österreichischen Regionalbanken stieg insgesamt von durchschnittlich
1,7% Mitte der 1990er-Jahre auf knapp 6% im Jahr 2008. Die kräftigsten Zuwächse verzeichneten, wie erwähnt,
die Regionalbanken in den östlichen Grenzbezirken: Der Anteil ihrer Auslandsaktiva an der Bilanzsumme stieg
von 2,3% (1995) auf 8,6% (2008). Vergleichsweise verhalten entwickelte sich diese Kennzahl für die Regionalbanken
in den westlichen Grenzregionen (1995 2,4%, 2008 knapp 5%). Der Anteil der Auslandspassiva an der Bilanzsumme der
Regionalbanken folgte hingegen keinem eindeutigen Trend.
Diese Kennzahl sank zwischen 1995 und 2001 von etwas unter 7% auf knapp über 5% und verharrt seither auf diesem
Niveau.
Das WIFO untersuchte im Rahmen eines vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank geförderten
Forschungsprojektes die Bestimmungsgründe für die Auslandsaktivitäten der österreichischen
Regionalbanken seit Mitte der 1990er-Jahre. Die ökonometrische Untersuchung wurde von der theoretischen Hypothese
geleitet, dass die verstärkte grenzüberschreitende Kreditgewährung der österreichischen Regionalbanken
durch die rasche Annäherung von Rechtssystem und politischem Ordnungsgefüge der osteuropäischen
Länder an das Referenzsystem der Europäischen Union begünstigt wurde. Friktionen in Form von Informations-
und Transaktionskosten wurden dadurch verringert und die institutionellen Risiken der grenzüberschreitenden
(und potentiell ertragreicheren) Kreditaktivitäten für die österreichischen Banken gesenkt. Die
ökonometrische Untersuchung bestätigt diesen institutionellen und geographischen Zusammenhang und zeigt,
dass die Ausweitung der grenzüberschreitenden Kreditgewährung österreichischer Banken an Unternehmen
und Haushalte in den östlichen Nachbarländern statistisch nachweisbar mit dem aktiven Bestreben dieser
Länder zusammenhängt, ihr Rechtssystem sowie ihre politischen und wirtschaftlichen Strukturen und Institutionen
möglichst rasch an die Standards der Europäischen Union anzugleichen.
Im Rahmen dieses Forschungsprojektes befragte das WIFO im Sommer 2010 mehr als 500 österreichische Regionalbanken
über die Motive ihrer Auslandsaktivitäten. An der Befragung beteiligten sich 190 Banken bzw. 36% der
österreichischen Regionalbanken, die überwiegende Zahl davon gehört dem Raiffeisensektor an (151
Banken). Regional verteilten sich die teilnehmenden Banken recht ausgewogen zu je einem Drittel auf die östlichen
Grenzbezirke, die westlichen Grenzbezirke und die Binnenbezirke.
Etwa 17% dieser Banken meldeten eine Beschleunigung des Wachstums ihrer Auslandsaktiva in Relation zur Bilanzsumme
seit dem Jahr 2000. Für Banken mit Sitz in einem der östlichen Grenzbezirke ergab die Befragung mit 23,4%
einen deutlich höheren, für jene mit Sitz in den westlichen Grenzbezirken oder in den Binnenbezirken
einen (zum Teil deutlich) niedrigeren Anteil. Als entscheidender Faktor für die Ausweitung der Auslandsaktivitäten
seit 2000 nannten 37,5% der Banken in den östlichen Grenzbezirken die EU-Osterweiterung, 20% die Euro- Einführung.
Für Banken in den westlichen Grenzbezirken war die Euro-Einführung zentrales Motiv für die verstärkte
Auslandsorientierung (knapp 33%), die EU-Osterweiterung hingegen (mit knapp 4%) von untergeordneter Bedeutung.
Anderen Motiven, etwa regulatorischen Erleichterungen für grenzüberschreitende Bankaktivitäten,
dürfte ebenfalls nur geringe Bedeutung für die verstärkte internationale Ausrichtung der österreichischen
Regionalbanken zukommen.
Allerdings nannten 12% der befragten Banken in den östlichen Grenzbezirken die angespannte heimische Markt-
und Konkurrenzsituation als für ihre verstärkte Auslandsorientierung bestimmend.
Bankspezifische Faktoren wie Größe (gemessen an der Bilanzsumme) und Kosteneffizienz (Cost-Income Ratio)
beeinflussten die Auslandsaktivitäten der österreichischen Regionalbanken ebenfalls positiv, eine hohe
Eigenkapitalausstattung hingegen wirkte sich hemmend auf die grenzüberschreitende Kreditgewährung aus.
Ein ausgeprägtes Nachahmungsverhalten (bzw. Diffusion) verstärkte als Multiplikator die Osteuropa-Orientierung
der heimischen Banken zusätzlich. Dieser Befund ist u. a. mit der Hypothese vereinbar, dass die österreichischen
Banken Auslandsaktivitäten zum Zweck der Ertragssteigerung und Verbesserung ihrer Eigenkapitalbasis forcierten.
|