1. Gemeinsame Konferenz der Vorsitzenden der Länder- und Kantonsversammlungen von Deutschland, Österreich und der Schweiz   

erstellt am
11. 03. 11

Linz (lk) - Aus Anlass des Vorsitzes von Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer in der österreichischen Landeshauptleutekonferenz im ersten Halbjahr 2011 fand erstmals eine gemeinsame Konferenz der Vorsitzenden der Länder- und Kantonsversammlungen von Deutschland, Österreich und der Schweiz statt. Im Landhaus trafen der derzeitige Vorsitzende der deutschen Ministerpräsidentenkonferenz, Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer aus Sachsen-Anhalt, Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer und der Präsident der Konferenz der Schweizer Kantonsregierungen, Pascal Broulis aus dem Kanton Waadt, zusammen, um sich über aktuelle Fragen und Herausforderungen der Länder und Kantone auszutauschen.

Föderalismus - Vielfalt schafft Chancen
Der Föderalismus ist eine der großen Stärken unserer Länder. Er beruht auf einer langen Tradition und steht für Stabilität und Identität, und dies gerade auch in Zeiten schnellen Wandels. Er sorgt für Bürgernähe und hilft, die Potentiale auszuschöpfen, die in den kleinen Einheiten vor Ort stecken. Diese Vielfalt zeigt sich in der Unverwechselbarkeit der Landschaften und Städte, der regionalen Eigenarten und Dialekte, der Wirtschaftsräume und Kulturzentren.

Die Länder und Kantone sind keine untergeordneten, abhängigen Verwaltungseinheiten. Sie alle haben bis heute ihren eigenen Charakter, ihre eigene Identität. Genau das ist auch im 21. Jahrhundert die Stärke Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Europa steht für Vielfalt und kulturellen Reichtum, für Kreativität und Innovationskraft, dadurch auch für Wettbewerb und Austausch von Erfahrungen - kurzum: für Bodenhaftung und so auch für die Nähe der Politik zu den Menschen.

Die föderalen Strukturen in Deutschland, Österreich und der Schweiz stehen vor ähnlichen Herausforderungen, wobei der Föderalismus ihnen in dieser Hinsicht auch viele Vorteile bietet. Eine stabile Demokratie lebt von der Bürgernähe und der Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit den von ihnen gewählten Vertretern. Die historisch gewachsenen Länder und Kantone sind den Bürgern dabei neben den Gemeinden die nächstliegende Ansprechstelle. Sie können am ehesten zur Lösung konkreter Probleme der Bürger beitragen; daher muss die Subsidiarität Richtschnur allen staatlichen Handelns sein - sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.

Die Vorsitzenden stimmen überein, dass Föderalismus und Subsidiarität für Regionen die Möglichkeit bieten, aus eigenem Antrieb einen Aufholprozess zu starten und sich zu starken Standorten weiterzuentwickeln. Der fruchtbare Wettbewerb der Länder und Kantone untereinander wird gefördert, Innovationen werden angeregt und die Effizienz bei Problemlösungen gesteigert. Die Regionen spielen auch im europäischen Einigungsprozess eine entscheidende Rolle, denn in den Regionen wird deutlich, ob Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union praktikabel sind. In den Regionen zeigt es sich, ob die Politik der Europäischen Union von den Menschen akzeptiert wird.

Topthema: Europa der Zukunft
In einer Welt der zunehmenden Internationalisierung und Interdependenz können es sich Länder und Kantone nicht mehr leisten, sich ausschließlich auf ihre innerstaatlichen Angelegenheiten zu konzentrieren. Internationale Aspekte und ihre zunehmend schnellere Entwicklung betreffen auch sie in großem Maß. Die Regionen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz müssen über den Tellerrand schauen und sich ihrer bedeutenden Rolle im internationalen Umfeld und insbesondere in Europa bewusst werden. Sie wollen und werden die Zukunft Europas weiterhin maßgeblich mitgestalten.

Die Vorsitzenden sind sich einig, dass es dazu einer stärkeren Vernetzung untereinander und des Lernens voneinander bei wichtigen Zukunftsthemen auch über die Grenzen hinweg bedarf. So können Länder und Kantone zur Schaffung eines Kontinents Europa im Jahr 2020 beitragen, der von Nachhaltigkeit, sozialer Marktwirtschaft, umweltfreundlicher Hochtechnologie, Innovation und hoher Lebensqualität geprägt ist.

EU-Finanzvorschau 2014-2020
Ein Thema, das bereits auf EU-Ebene seine Schatten voraus wirft und daher auch in Linz diskutiert wurde, ist die kommende finanzielle Vorausschau der EU für die Jahre 2014 bis 2020. Die Diskussionen innerhalb der EU betreffen insbesondere das Agrarbudget, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Regionalförderung; es geht um ein Budget von mehr als 900 Mrd. €, für dessen Verwendung die Weichen schon in diesem Jahr gestellt werden.

Die Verteilungskämpfe der verschiedenen Ressorts und Mitgliedsstaaten stehen dabei zum Teil im Spannungsverhältnis zur Prioritätensetzung der EU in ihrer Strategie Europa 2020. Ministerpräsident Böhmer und Landeshauptmann Pühringer betonen, dass für das kommende Budget insbesondere Krisenbewältigung und Stabilitätssicherung im Vordergrund stehen sollten, und begrüßen die Orientierung der EU-Kohäsionspolitik an der Strategie EU 2020 unter Beachtung des jeweiligen nationalen und regionalen Kontexts.

Finanzpolitisches Umfeld
Die aktuellen Entwicklungen in Europa und insbesondere im Euroraum tragen deutlich die Spuren der internationalen Finanzkrise. Die Wirtschaft und die finanzielle Situation auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz beginnen sich gerade erst zu erholen; die schwierige Zeit ist noch nicht überstanden.

Ministerpräsident Böhmer, Landeshauptmann Pühringer und Regierungspräsident Broulis stimmen überein, dass alle Staaten auf stabile Währungen und ein stabiles finanzpolitisches Umfeld angewiesen sind; nur so kann die Gefahr, die für Staaten, für ihren Wohlstand und ihre Arbeitsplätze von internationalen Finanzspekulationen ausgeht, gedämpft werden.

Wirtschaft und Arbeitsplätze
Die neuesten Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsdaten zeigen eine konjunkturelle Erholung. Trotz dieser positiven Zeichen stehen Deutschland, Österreich und die Schweiz vor ähnlichen Herausforderungen; die dringendsten sind Jugendarbeitslosigkeit, Fachkräftemangel und der demographische Wandel. In allen drei Staaten werden zum Fachkräftebedarf und einem bevorstehenden oder sogar bereits bestehenden Mangel Überlegungen und Maßnahmen zur Qualifizierung von Fachkräften angestellt.

Die Vorsitzenden der Regierungskonferenzen stimmen darin überein, dass für die Zukunft Europas und des sozialen Wohlstands Europa zum wettbewerbfähigsten Wirtschaftsstandort der Welt werden muss und es neben der Sanierung der Staatshaushalte Investitionen in Innovation, Bildung und Infrastruktur bedarf, um eine Wirtschaft zu ermöglichen, die von zukunftsweisenden Ideen angetrieben wird.

Bildung, Wissenschaft und Forschung
Wissenschaft und Forschung profitieren von guter Ausbildung, setzen diese fort und schaffen damit wiederum günstige Voraussetzungen für den Wirtschaftsstandort. Nachweislich sind Unternehmen, die auch forschen, stabiler und wachsen schneller als solche, die dies nicht tun. Die Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung ist daher besonders wichtig; Investitionen in Wissenschaft und Forschung sind Investitionen in die Zukunft.

Die drei Vorsitzenden sehen es als positiv an, dass das Bildungssystem weitestgehend in der Länder- bzw. Kantonsverantwortung liegt: dadurch ist die Bildung bürgernah, flexibel und auf die Bedürfnisse der Wirtschaft zugeschnitten. Sie sind sich auch darin einig, dass wissenschaftliche Einrichtungen sich stärker untereinander und international vernetzen müssen, um Synergien zu nutzen.

Klima und Umwelt
Eng verbunden mit dem Thema Energie wurde auch der Bereich Umwelt und Klima diskutiert. Zahlreiche Gemeinden und Regionen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sind in Agenda 21-Prozessen engagiert, in denen ausgehend von den Bürger/innen langfristige, ganzheitliche und nachhaltige Zukunftsperspektiven entwickelt werden. Die drei Vorsitzenden begrüßen diese Prozesse ausdrücklich und weisen auf die Bedeutung dieses Dialoges zwischen Bürger/innen, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft hin. Jedoch sollte bei Maßnahmen wie beispielsweise Emissionszertifikaten das Risiko von Unternehmensverlagerungen und damit verbundenen geringeren Umweltstandards bedacht werden. Unternehmen, die bereits jetzt mit hohen Umweltstandards produzieren, sollten durch diese Maßnahmen nicht benachteiligt werden.

Die Vorsitzenden betonen die Verantwortung aller für Klima und Umwelt sowie deren Schutz - eine Verantwortung jedes Einzelnen, aber auch der Regierungen von Staaten und Ländern nach dem Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeit, wie es in der UN-Klimarahmenkonvention festgelegt ist. Dazu ist ein international koordiniertes Vorgehen erforderlich. Die Länder, Kantone und Regionen der Staaten der Welt sollten ihren Einfluss nicht gering schätzen und bei den Verhandlungen zu einem neuen weltweiten Klimaabkommen gemeinsam in die Waagschale werfen.
     
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