Vom mehr oder weniger natürlichen Essen   

erstellt am
18. 03. 11

Quadriga 07 zwischen Geschmacksverwirrung und Gaumenfreude
Wien (pk) - Wir meinen zu wissen, was Nahrung für uns Menschen bedeutet, doch wovon sprechen wir wirklich, wenn wir das Wort "essen" in den Mund nehmen? Welche kulinarischen Optionen bleiben uns, wenn wir uns bewusst zu ernähren versuchen? Und kann die Menschheit überhaupt ohne Massenproduktion von Lebensmitteln versorgt werden? Diesen und vielen weiteren kritischen Fragen rund um das Thema Ernährung ging der siebente Teil der Buchpräsentationsreihe Quadriga am Abend des 17.03. in den Räumlichkeiten des Palais Epstein nach.

Unter dem Titel "Natürlich Essen" diskutierten Hans Ulrich Grimm (Journalist, Autor und Geschäftsführer von Dr. Watson Der Food Detektiv), Werner Lampert (Autor und Biopionier in Österreich), Petra Lehner (Ernährungswissenschaftlerin und Vorsitzende der Nationalen Ernährungskommission) und Wolfram Siebeck (kulinarischer Kolumnist) über Lust und Frust, die der Versuch einer bewussten Ernährung mit sich bringen kann. Zita Bereuter (FM4) und Peter Zimmermann (Ö1), die die Präsentationsreihe Quadriga seit ihrer Entstehung begleiten, zeichneten für die Moderation verantwortlich.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer unterstrich im Rahmen einleitender Worte die Bedeutung der heute zur Diskussion gestellten Thematik: Seitdem Essen "trendy" geworden ist, sehen sich die KonsumentInnen mit einer großen Vielfalt von Produkten konfrontiert. Deshalb lohne die Beschäftigung mit der Frage, wie bewusste Ernährung aussehen könne. Sie selbst habe in ihrer Zeit als Regierungsmitglied mit den Themen Lebensmittelsicherheit und Konsumentenschutz zu tun gehabt, meinte Prammer, die im Bereich der Lebensmittelkennzeichnung seitdem erzielten Fortschritte seien beachtlich, auch wenn man hier noch nicht ans endgültige Ziel gelangt wäre.

Essen ist aber nicht nur zum Trend, sondern auch zum Ausdruck des politischen Bewusstseins und der Empathie geworden, stellte Moderator Peter Zimmermann fest. Bio-Produkte wären deshalb schon zu verschiedensten Preisen und für die unterschiedlichsten Geschmäcker erhältlich. Doch was essen wir wirklich, wenn wir Bio auf dem Teller haben, und warum soll Nahrungsaufnahme überhaupt mehr sein, als schlichte Befriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses?

Vom Fast-Food-Junkie zum Frutarier!?
Beantwortet werden sollten diese Fragestellungen zunächst unter Bezugnahme auf das Buch "Anständig essen" der deutschen Schriftstellerin Karen Duve, in dem diese einen ernährungstechnischen Selbstversuch Revue passieren lässt. Duve, zunächst keine Anhängerin der "Gesundheitsfraktion", testete 2010 für jeweils zwei Monate Ernährungsweisen mit moralischem Anspruch: Sie versuchte sich an biologisch-organischer, vegetarischer, veganer und zuletzt sogar frutarischer Lebensweise und setzte sich intensiv mit den hinter diesen Ernährungsformen stehenden Konzepten auseinander.

Lehner: "Unser Geschmack ist der beste Lebensmittelinspektor"
Dass Duve bei ihrer Konsumation von Bio-Produkten nicht ab, sondern eher noch zunahm, veranlasste Ernährungswissenschaftlerin Petra Lehner dazu, klarzustellen, dass der Umstieg auf derartige Lebensmittel bei gleichzeitiger Beibehaltung des ursprünglichen Verhaltens nichts an Wohlbefinden, Körpergewicht oder gar Gesundheit ändere: Das Prädikat "bio" sage in diesem Zusammenhang lediglich etwas über die Lebensmittelsicherheit aus. Sich ausschließlich aufgrund moralischer Ansprüche an ernährungstechnische Ge- und Verbote zu halten, hielt Lehner außerdem für sinnlos: Gehe man so vor, hänge einem die neue Lebensform bald "zum Hals heraus".

Es müsse außerdem klar sein, dass auch Bio-Fertigprodukten Zusätze beigefügt werden, wenngleich sie anderen diesbezüglichen Beschränkungen unterlägen als sonstige Lebensmittel. Verständlich sei auch die Tendenz der Nahrungsmittelhersteller auf einem gesättigten Markt mit schrillen Farben, zweifelhaften Begrifflichkeiten und emotionalen Bildern um Aufmerksamkeit zu buhlen, hielt Lehner fest, man müsse aber auch davon ausgehen, dass der durchschnittliche mündige Konsument diese Täuschungen erkenne. Wolle man keinem Schwindel aufsitzen, müsse man die Zeit investieren, die Liste der Inhaltsstoffe einer genauen Betrachtung zu unterziehen. Was die österreichischen Betriebe anbelange, halte man sich mehrheitlich an die für Bio-, aber auch Nicht-Bio-Produkte bestehenden Auflagen, stellte Lehner außer Frage.

Insgesamt plädierte die Ernährungswissenschaftlerin für eine möglichst abwechslungsreiche, bunte Kost und riet den KonsumentInnen, sich auf ihren eigenen Geschmack zu verlassen: Der sei schließlich der beste Lebensmittelinspektor.

Lampert: Freude und Genuss am Essen muss wiederentdeckt werden
Der österreichische Autor und Biopionier Werner Lampert hielt fest, dass biologische Ernährung heute durchaus zum Alltag der Menschen gehöre. Am Beginn dieser Bewegung war der Griff zum Bio-Produkt hingegen ein "Ticket" dafür gewesen, etwas Besonderes zu sein. Essen sei, so Lampert, das Wichtigste im Leben: Er hoffe deshalb, dass die Menschen wieder zum Genuss an Speisen und der Freude am Kochen und Bewirten finden. Der Griff zu komplex verarbeiteten Lebensmitteln öffne schließlich industriell gefertigten, minderwertigen Produkten Tür und Tor. Die KonsumentInnen hätten eine "ungeheure Macht", wenn sie sich nur solidarisch verhielten, indem sie zum richtigen Lebensmittel griffen.

Was Etikettenschwindel mit Begriffen anbelange, könne der Konsument in Österreich vor dem Hintergrund einer diesbezüglichen Verordnung sicher sein, dass dort, wo bio "draufsteht" auch bio "drin" ist. Den heimischen Lebensmittelproduzenten attestierte Lampert, der selbst für die Entwicklung der Marken "Zurück zum Ursprung" und "Ja!Natürlich" verantwortlich zeichnete, einen "honorigen Umgang" mit diesem Begriff. Das häufig geforderte "Zurück zum kleinen Bio-Laden um die Ecke" hielt er für keinen gangbaren Weg, denn dieses Postulat sei fern jeder Realität. Die in diesem Zusammenhang immer wieder ins Feld geführte Transparenz sei außerdem in den Supermärkten am höchsten: Mittels Chargennummer könnten die Produkte schließlich bis zum Hersteller zurückverfolgt werden.

Kritisch bewertete Lampert aber die Tendenz, konventionelle Produktionsmethoden auf die Bio-Landwirtschaft anzuwenden. Er halte es deshalb für sinnvoll, die Marke "bio" neu zu gründen und sich in diesem Zusammenhang von Vielem zu verabschieden, was heute noch möglich sei.

Grimm: "Biologische Welt" passt sich "Industriewelt" zunehmend an

Journalist und Buchautor Hans Ulrich Grimm, der sich selbst als "Ökoesser" outete, sprach davon, dass biologische Nahrung in unterschiedlichen Qualitäten vorliege: Zum einen in ihrer ursprünglichen Form, zum anderen aber auch in Gestalt sogenannter "Bio-Fertigprodukte", deren Qualität die KonsumentInnen schlichtweg abschrecke. Die Anpassung der "biologischen Welt" an die "Industriewelt" hielt er deshalb für den falschen Weg. Das "System Supermarkt" sei aber darauf ausgerichtet, alles in riesigen Mengen vorrätig zu haben, die mittels traditioneller Bio-Produktion schlichtweg nicht bewältigbar seien, meinte Grimm. Eine Änderung des Konsumverhaltens der BürgerInnen werde aber nicht den gewünschten Effekt zeitigen und bessere Ware in die Regale bringen: Vom Guten wäre schlichtweg zu wenig vorhanden.

Was die Versprechen der Werbung anbelange, könne er Lehner außerdem nicht beipflichten, denn die hier evozierten Bilder leiteten die KonsumentInnen in ihrem Kaufverhalten, da sie zurecht bestimmte Verbrauchererwartungen schürten. Dabei sei nicht die Neigung der Branche zum Betrug, sondern vielmehr die Straflosigkeit dieser Täuschungsmanöver zu kritisieren, meinte Grimm. Bei Bio-Produkten gebe es, so seine Erfahrung, keine wirkliche Transparenz, denn Hersteller und Handel verweigerten sich bisweilen, genaue Auskünfte zu erteilen, schloss Grimm.

Siebeck: "Misstrauen ist die erste Konsumentenpflicht"
Für Restaurantkritiker und Buchautor Wolfram Siebeck stand fest, dass man, solle das Essen gut schmecken, auf die höchste Qualität der eingesetzten Lebensmittel pochen müsse – und die erziele man nur durch biologische Produktion. Den Begriff "bio" selbst gelte es aber zu vergessen, meinte Siebeck, denn mit ihm würde nur allzu oft "bewusste Irreführung" betrieben. Die KonsumentInnen ließen sich aber gerne täuschen, obgleich Misstrauen die erste Konsumentenpflicht sei.

Den im Buch von Tanja Busse angesprochenen Lösungsvorschlag betreffend Rückkehr zum eigenen Gartenbau hielt Siebeck für "naiv": Es gehe schließlich darum, bei den großen Lebensmittelproduzenten anzusetzen und sie durch Boykott zur Veränderung ihres Angebots zu zwingen.

Dass auch in vielen Gastronomiebetrieben nicht mehr alles selbst vorbereitet und gekocht wird, bedeute den "Niedergang der Restaurantkunst". Damit komme man zwar zu geringeren Kosten für den Gast, doch nicht mehr zur gewünschten Qualität, wie sie noch von Sterneköchen auf den Teller gebracht werde. Wer also nicht viel für seine Verköstigung ausgeben wolle oder könne, der sei angehalten, selbst zu kochen: Das fiele gar nicht schwer und bereite zudem Freude.

Als Basis für die Podiumsdiskussion dienten folgende Werke:

  • Karen Duve: Anständig essen. Galiani Berlin (2011).
  • Hans Ulrich Grimm: Der Bio-Bluff. Der schöne Traum vom natürlichen Essen. Hirzel (2011).
  • Tanja Busse: Die Ernährungsdiktatur: Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt. Blessing (2010).
  • Wolfram Siebeck: Wolfram Siebeck isst unterwegs. Residenz (2011).
     
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