Experten äußern sich mehrheitlich kritisch zum Regierungsentwurf
Wien (pk) - Die Frage nach Verfassungs- und Grundrechtskonformität eines zur Umsetzung der EU-Richtlinie
betreffend Vorratsdatenspeicherung vorgelegten Regierungsentwurfs, der die Novellierung der Strafprozessordnung
und des Sicherheitspolizeigesetzes zum Gegenstand hat, stand im Zentrum der Diskussion des Justizausschusses am
23.03. Im Rahmen eines öffentlichen Hearings, zu dem man Hannes Tretter (Ludwig Boltzmann Institut für
Menschenrechte), Eckhart Ratz (Vizepräsident des OGH), Johannes Öhlböck (Rechtsanwalt), Bernd Christian
Funk (Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien) und Alexander Scheer (Rechtsanwalt)
als Experten geladen hatte, erörterte man Vor- und Nachteile des gegenständlichen Umsetzungsversuchs
der EU-Richtlinie, der schließlich in der Fassung eines Abänderungsantrags mit den Stimmen von SPÖ
und ÖVP mehrheitlich angenommen wurde. Die Vertagungsanträge von BZÖ und FPÖ fanden hingegen
nicht die erforderliche Mehrheit.
Funk: Zweifel an Grundrechts- und Verfassungskonformität
Bernd Christian Funk (Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien) bezog sich im Rahmen
seiner Wortmeldung vor allem auf die anvisierten Änderungen im Sicherheitspolizeigesetz und gab zu bedenken,
dass diese Regelungen Sicherheitsbehörden "große Bedienungsmöglichkeiten" am Pool der
Vorratsdaten einräumen würden. Der in diesem Zusammenhang gegebene Verweis auf eine Zweckbindung falle
dabei sehr allgemein aus. Faktisch eröffne man damit eine Ersatzschiene für einen Bereich, der sonst
im Rahmen der Strafverfolgung streng gehandhabt werde. Dass dieses Vorgehen grundrechts- und verfassungskonform
sei, ziehe er deshalb in Zweifel, meinte Funk. Für ihn stand auch fest, dass die Regierungsvorlage über
die zwingenden Mindestvorgaben der Richtlinie hinausgehe. Die ausschließliche Verabschiedung der zur Umsetzung
der Vorratsdatenspeicherung erforderlichen Novelle zum Telekommunikationsgesetz (TKG) beurteilte er als problematisch,
zumal, wie er sagte, die drei Gesetze als Gesamtpaket zu sehen seien.
Öhlböck: Bruch mit der rechtstaatlichen Tradition Österreichs
Rechtsanwalt Johannes Öhlböck hielt fest, dass man durch die Speicherung von Vorratsdaten gleich in mehrere
Grundrechte schwerwiegend eingreife. Man dürfe die gegenständlichen Änderungen deshalb nicht "im
Vorbeigehen" verabschieden, zumal sie einen "Bruch mit der rechtsstaatlichen Tradition Österreichs"
darstellten. Die Richtlinie, die man damit umsetze, datiere aus dem Jahr 2005. Zwischenzeitlich sei es durch den
Vertrag von Lissabon und das Inkrafttreten der Europäischen Grundrechtscharta aber zu einer Entwicklung gekommen,
die mit den Vorgaben der Richtlinie nicht mehr im Einklang stehe, meinte Öhlböck. Dass im Falle des gegenständlichen
Entwurfs weder ein Begutachtungsverfahren noch eine Enquete stattfand, sei eine "Schande", zumal die
"Vorväter" 1848 auf den Barrikaden unter Einsatz ihres Lebens für jene Freiheitsrechte gekämpft
hätten, die man nun einschränken wolle, kritisierte er. Dabei unterwerfe man alle BürgerInnen ungeachtet
ihrer Position einem Grundrechtseingriff: Das betreffe Rechtsanwälte genauso wie den "Beichtvater".
Bei der Vorratsdatenspeicherung handle es sich schließlich um eine Überwachung, bevor es einen Verdacht
gibt. Allein schon hinsichtlich der Unschuldsvermutung bestehe ein Widerspruch zur Grundrechtscharta. Er spreche
sich deshalb gegen die Regierungsvorlage aus und empfehle dies auch dem Hohen Haus, meinte Öhlböck.
Ratz: Kein Grundrechtsproblem gegeben
Eckhart Ratz, Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs, konnte sich dieser Argumentation nicht anschließen
und rief dazu auf, "die Kirche im Dorf zu lassen". Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht habe bei
der Umsetzung der Richtlinie, die es zweifellos vorzunehmen gelte, kein Problem gesehen. Man dürfe die Grundrechte
auch nicht einseitig betrachten: Ohne effektive Strafverfolgung könne ihre Ausübung schließlich
nicht gewährleistet werden. Die Vorratsdatenspeicherung sei jedenfalls kein "Freibrief" für
die Staatsanwaltschaft, blieben doch die Staatsanwälte unter der vollen rechtsstaatlichen Kontrolle bis hinauf
zum OGH, betonte Ratz mit Nachdruck. Strafbestimmungen und die Regelung betreffend Amtsmissbrauch würden vor
missbräuchlicher Anwendung, so auch vor Eingriffen in Berufsgeheimnisse, schützen.
Zu berücksichtigen gelte es in der Diskussion außerdem die Definition "schwerer Straftaten",
zu deren Aufklärung die Daten verwendet werden sollen: Hier könne man nicht vom innerstaatlichen Recht
ausgehen, zeigte sich Ratz überzeugt.
Scheer: Österreich schießt über das Ziel hinaus
Rechtsanwalt Alexander Scheer bezeichnete die gegenständliche Regierungsvorlage als "reine Themenverfehlung",
denn Österreich schieße damit weit über das durch die Richtlinie vorgegebene Ziel hinaus und opfere
grundlegende Freiheitsrechte. In Gefahr sah er unter anderem das Rechtsanwalts- und Redaktionsgeheimnis. Im Punkt,
dass die Definition "schwerer Straftaten" richtlinienkonform und nicht vor dem Hintergrund nationalstaatlicher
Regelungen zu erfolgen habe, stimmte Scheer seinem Vorredner zu: Die Richtlinie ziele schließlich auf die
Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität ab, stellte er klar und hielt sämtliche
Bestimmungen, die darüber hinausgehen, für problematisch. Dass man nun auch Kriminalpolizeibehörden
bei Vorliegen eines konkreten Verdachts den Weg der Datenabfrage öffne, sei durchaus bedenklich. Über
eine IP-Adresse wären schließlich sehr wohl Rückschlüsse auf Inhalte möglich: Man könnte
damit nachvollziehen, wer was wem und zu welcher Zeit geschickt habe. Er rate vor diesem Hintergrund zur Erstellung
einer Liste "schwerer Straftaten", zur Nicht-Verabschiedung der kritisierten Artikel des Sicherheitspolizeigesetzes
und der Strafprozessordnung, zur Durchführung einer diesbezüglichen Enquete sowie zur Einholung von Gutachten.
Er zeigte sich außerdem davon überzeugt, dass die Änderungen des TKG zur Umsetzung der Richtlinie
ausreichten, zumal es in erster Linie darum gehe, die in Österreich bisher unerlaubte Sicherung der Daten
zu legalisieren, meinte Scheer.
Tretter: Notwendiger Grundrechtsschutz ist nicht garantiert
Hannes Tretter (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte) erklärte, seine Institution sei
vom BMVIT damit betraut worden, eine möglichst grundrechtssensible Variante der Vorratsdatenspeicherung auszuarbeiten.
Davon könne beim gegenständlichen Entwurf nicht die Rede sein: Bei diesem wäre der notwendige Grundrechtsschutz
keineswegs garantiert, zumal sein Inhalt weit über die Vorgaben der Richtlinie hinausgehe. Unter anderem der
Mangel legistischer Transparenz, den diese Vorlage angesichts ihrer Unübersichtlichkeit und Zirkelverweise
mit sich bringe, führe ihn so weit, von "Etikettenschwindel" zu sprechen. Zu kritisieren sei auch,
dass dem Richtervorbehalt nur noch ein bescheidener Anwendungsbereich zukomme, meinte Tretter. Außerdem wäre
eine umfassende Informationspflicht der Betroffenen einzumahnen: Den Rechtsschutzbeauftragten halte er für
ein nicht ausreichend effizientes Rechtsschutzorgan.
Vor dem Hintergrund seiner Einwände plädierte Tretter daher für den Beschluss der TKG-Novelle, aber
für ein Zuwarten im Falle des gegenständlichen Entwurfs. Für eine "überfallsartige Beschlussfassung"
gebe es auch keinen Grund: Man könne also die in sechs Wochen von EU-Kommissarin Reding vorzulegenden Resultate
der Evaluierung der Richtlinie abwarten. Angesichts der Tatsache, dass diese nur die Speicherung, nicht aber die
Verwendung der Daten vorsehe, halte er die TKG-Novelle für ausreichend, um Österreich vor einem EU-Strafverfahren
zu bewahren.
Scharfe Kritik der Opposition am Vorgehen von SPÖ und ÖVP
S-Mandatar Johann Maier äußerte sein Bedauern darüber, dass im Falle des gegenständlichen
Entwurfs kein Begutachtungsverfahren stattgefunden habe. Als Vorsitzender des Österreichischen Datenschutzrates
könne er ein solches Vorgehen nicht gutheißen, schloss Maier. Abgeordneter Otto Pendl (S) sah die Notwendigkeit,
die Bestimmungen zu präzisieren und zu schärfen und trat wie sein Fraktionskollege Johannes Jarolim für
weitere Verhandlungen über die Materie ein. Eine Abänderung der derzeitigen Vorlage müsse vorgenommen
werden, zeigte sich der S-Justizsprecher ob der Stellungnahmen der Experten überzeugt. Die Oppositionsparteien,
die an diesem Vorgehen massive Kritik übten, lud Jarolim ein, an Gesprächen über den Inhalt eines
solchen Abänderungsantrags teilzunehmen – ein Vorgehen, das auch V-Mandatar Werner Amon begrüßte.
Abgeordneter Heribert Donnerbauer (V) wandte sich gegen eine weitere Aufschiebung der Beschlussfassung, die seiner
Meinung nach die Gefahr von Defiziten bei der Strafverfolgung mit sich bringen könnte. Klar war für ihn
dabei, dass es neben der TKG-Änderung auch einer Anpassung der StPO und des SPG bedürfe. Seine Fraktionskollegin
Karin Hakl sah in der Vorratsdatenspeicherung eine Reaktion auf die Entwicklung der Kriminalität und warnte,
Datenschutz dürfe nicht "Täterschutz" werden. Sie verwies außerdem auf den S-V-Abänderungsantrag
zum gegenständlichen Entwurf, mit dem man Einschränkungen hinsichtlich des Datenabrufs im SPG festschreibe.
Abgeordneter Peter Westenthaler (B) sprach angesichts der von Seiten der SPÖ zum Ausdruck gebrachten Absicht,
einem Gesetz zuzustimmen, das noch nicht ausgereift sei, um es im Plenum mittels Abänderungsantrag weiterzuentwickeln,
von einer "Pervertierung des Parlamentarismus". Er kritisierte, die Ermittlungsmethoden der Vorratsdatenspeicherung
würden die Menschen unter einen "Generalverdacht" stellen und sprach in diesem Zusammenhang von
einem "Freibrief" für die Behörden, der auch Eingriffe in Berufsgeheimnisse der Ärzte
und Rechtsanwälte sowie in das Redaktionsgeheimnis zulasse. Westenthaler wies zudem auf die Bedenken der Experten
aus dem Hearing hin und trat dafür ein, bloß die TKG-Änderungen umzusetzen, die Bestimmungen betreffend
StPO und SPG aber zurückzustellen. Gegen ein "Durchwinken" der sensiblen Regelungen wandte sich
auch sein Fraktionskollege Herbert Scheibner (B). Es gelte vielmehr, eine Abwägung zwischen der Kriminalitätsbekämpfung
einerseits und dem Schutz der Interessen Unbeteiligter andererseits vorzunehmen. Wenn man sich als ParlamentarierInnen
noch ernstnehmen wolle, müsse man die Beratungen über den Entwurf in jedem Fall vertagen, schloss Scheibner.
Den Bruch der Geschäftsordnung, wegen dem Ausschussobmann Heribert Donnerbauer (V) G-Abgeordneter Daniela
Musiol einen Ordnungsruf erteilt hatte, weil diese den nicht öffentlichen Teil der Sitzung mittels Videokamera
festhielt und über das Internet live dokumentierte, hielt B-Mandatar Westenthaler für einen "Klax"
gegenüber dem Vorgehen der Regierungsparteien. Da man den Entwurf einfach "durchwinken" wolle, habe
es sich schließlich um ein "Scheinhearing" gehandelt, empörte sich der Redner. Die Sozialdemokraten
wären nun am Zug, ihrer Verpflichtung nachzukommen und dieses Gesetz "zu Fall zu bringen", meinte
Westenthaler.
Abgeordneter Albert Steinhauser (G) lehnte den gegenständlichen Entwurf zur Umsetzung der Richtlinie mit dem
Argument ab, hier handle es sich um eine präventive Überwachung, bei der rechtschaffene Bürger ins
Visier genommen würden und die Gefahr des Missbrauchs bestehe. Er verglich die Vorratsdatenspeicherung mit
einer Anweisung an die Post, zu überwachen, wer an wen in Österreich Briefe versendet. Steinhauser zweifelte
nicht nur an der Grundrechtskonformität, sondern auch an der Effektivität und erinnerte, in Deutschland
habe die Speicherung nichts an der Aufklärungsquote geändert. Was das zweifellos "schreckliche Delikt"
der Kinderpornografie anbelange, dürfe es von Seiten des BMI nicht nur dann angesprochen werden, wenn es um
die Vorratsspeicherung von Daten gehe.
Den Vorwurf der Nötigung, den man seiner Fraktion ob der Weiterführung der Filmaufnahmen vor dem Hintergrund
der Nicht-Vertagung des Entwurfs gemacht habe, wollte Steinhauser in jedem Fall zurückgewiesen wissen. Die
diesbezüglichen Wortmeldungen der V-Abgeordneten Karin Hakl und Werner Amon seien lediglich dazu angetan,
G-Mandatare zu "kriminalisieren", schloss Steinhauser.
Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) gab zu bedenken, dass die Europäische Grundrechtscharta zeitlich nach
der Richtlinie erlassen wurde und demnach Vorrang gegenüber dieser habe. Auch ortete er mögliche Widersprüche
zwischen beiden Regelungen. Als unverhältnismäßige Maßnahme qualifizierte Abgeordneter Werner
Herbert (F) die Vorratsdatenspeicherung, wobei er überdies Zugriffe europäischer Behörden auf österreichische
Daten befürchtete. Den Versuch der Grünen Fraktion, mittels Videoaufzeichnung Einfluss auf das Abstimmungsverhalten
zu nehmen, bewertete sein Fraktionskollege Walter Rosenkranz als "untauglich".
Bandion-Ortner: "Künstliche Überhöhung" der Debatte
Justizministerin Claudia Bandion-Ortner wollte die Diskussion um den gegenständlichen Entwurf versachlicht
wissen. Bereits heute würden zu Verrechnungszwecken Verbindungsdaten gespeichert, auf die die Justiz bei Vorliegen
eines Rufdatenrückerfassungsbeschlusses Zugriff habe. Die so ermittelten Daten wären unter anderem für
die Aufklärung von Einbruchsfällen und Internetbetrügereien von großer Bedeutung, meinte die
Justizministerin. Was man zuvor lautstark gefordert habe, um Kinderpornografie den Kampf anzusagen, nämlich
der Zugriff auf IP-Adressen, werde nun möglich.
Datenschutz sei zweifellos ein wesentliches Grundrecht, doch müsse man im Sinne des staatlichen Schutzauftrags
auch Abwägungen vornehmen, meinte Bandion-Ortner. Die Polizei brauche schließlich moderne Instrumente,
um mit den Kriminellen, die sie verfolge, "Schritt halten" zu können. Der Rechtsschutz werde mit
gegenständlichem Entwurf außerdem erhöht. Wäre die Umsetzung grundrechtswidrig, hätte
der Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs, der zweifelsfrei der "Hüter der Grundrechte" sei,
heute gegen sie votiert, schloss die Justizministerin.
Fekter: Datenschutz darf nicht zum "Täterschutz" werden
Innenministerin Maria Theresia Fekter verwehrte sich gegen den Vorwurf, dass es kein Begutachtungsverfahren gegeben
habe. Der vom Infrastrukturministerium vorgelegte Entwurf sei sehr wohl zur Begutachtung versandt worden, doch
wäre er auf massive Kritik gestoßen, da er die Rücknahme von bereits im SPG verankerten Befugnissen
bedeutet hätte. Man habe sich daher entschieden, die Materie auf drei Gesetzesvorlagen aufzuteilen, wovon
zwei heute zur Abstimmung stünden.
Ohne den Rückgriff auf IP-Adressen könne man keine wirksame Bekämpfung der Kinderpornografie erzielen,
meinte Fekter: Stelle man im Rahmen des Entwurfs lediglich auf Terrorismusbekämpfung ab, wie von manchen Experten
empfohlen, habe man zur Verfolgung dieser Täter schlichtweg keine Handhabe. Sie spreche sich deshalb klar
gegen ein "Zurückschrauben" von Ermittlungsbefugnissen aus: Datenschutz dürfe schließlich
nicht zum "Täterschutz" werden.
Die Novelle zum TKG zu verabschieden, jene zum SPG aber nicht, bedeute, dass der Polizei kein Datenzugriff mehr
möglich sein werde: auch nicht in jenem Umfang, wie er heute bereits offenstehe. Den Vorwurf der "präventiven
Bespitzelung" wolle sie, so Fekter, zurückgewiesen wissen: Gehe es auf einem anderen kriminalistischen
Weg, verzichte man schließlich auf den Datenzugriff. |