Der Klosterneuburger Chorherr war ein Pionier der Zuwendung zur Bibel und des christlich-jüdischen
Dialogs und führte das Erbe von Pius Parsch fort
Wien/Klosterneuburg (pew) - Ein weit über Österreich hinaus wirksamer Pionier der Zuwendung
zur Bibel und des Dialogs zwischen Christen und Juden ist tot: Norbert Höslinger, Klosterneuburger Chorherr
und langjähriger Direktor des Österreichischen Katholischen Bibelwerks, starb im 81. Lebensjahr. Die
sterbliche Hülle Höslingers ist im Kreuzgang des Stiftes Klosterneuburg aufgebahrt, wo täglich von
10 bis 12 Uhr und von 14 bis 17 Uhr die Möglichkeit besteht, von ihm Abschied zu nehmen. Im Kreuzgang des
Stiftes findet am Freitag, 15. April, um 15 Uhr die erste Einsegnung statt. Anschließend wird Generalabt
Propst Bernhard Backovsky in der Stiftskirche das Requiem feiern. Danach erfolgt die Beisetzung in der Pfarrergruft
der Pfarre Klosterneuburg-St. Martin am Unteren Stadtfriedhof in der Martinstraße. Das Stift Klosterneuburg
und die katholische Kirche in Österreich, alle, denen es um Bibel und Liturgie geht, verdankten Norbert Höslinger
nicht nur Großes, sie hätten in ihm „einen ernsten und zugleich humorvollen, einen ordnungs- und zugleich
freiheitsliebenden, einen meinungsstarken und zugleich die Ansichten anderer schätzenden, einen wertetreuen
und zugleich modernen Entwicklungen aufgeschlossenen Geist verloren“, heißt es im Nachruf des Stifts.
Höslinger wurde am 25. Dezember 1930 in Wien geboren, 1948 maturierte er am Gymnasium in Klosterneuburg. Noch
im selben Jahr trat er in das Stift Klosterneuburg ein. Am 23. Mai 1954 wurde er in der Stiftskirche Klosterneuburg
zum Priester geweiht. In seinen Kaplansjahren in Floridsdorf und in der Stiftspfarre Klosterneuburg verstand er
es, vor allem die Jugend anzusprechen und für den Glauben zu begeistern. Als Pfarrer der Gemeinde St. Martin
in Klosterneuburg (August 1968 bis August 1975) versuchte er, in der konkreten Seelsorge die Beschlüsse des
Zweiten Vatikanischen Konzils umzusetzen.
Das Lebenswerk Norbert Höslingers wurde die Weiterführung des Vermächtnisses seines großen
Lehrers und Vorbildes Pius Parsch in Bibel und Liturgie. So übernahm er im Juni 1957 die Leitung des „Volksliturgischen
Apostolats“, das seit 1969 „Pius Parsch-Institut“ heißt (diese Funktion hatte er bis zu seinem Tod inne),
und die Chefredaktion der Zeitschrift „Bibel und Liturgie“. 1957 wurde er auch Leiter des „Klosterneuburger Bibelapostolats“.
Als das Österreichische Katholische Bibelwerk 1966 von Kardinal Franz König als Werk der Österreichischen
Bischofskonferenz begründet wurde, übernahm er die Leitung. Zusammen mit dem Liturgiewissenschaftler
Theodor Maas-Ewerd gab Höslinger 1979 das massgebliche Sammelwerk über Pius Parsch heraus: „Mit sanfter
Zähigkeit. Pius Parsch und die biblisch-liturgische Erneuerung“. Das Wirken von Pius Parsch beeinflusste wesentlich
die große Liturgiereform in der katholischen Kirche, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen wurde.
In enger Zusammenarbeit mit Forschung und Lehre an den bibel- und liturgiewissenschaftlichen Instituten ging es
Höslinger vor allem um die Erneuerung der Seelsorge durch die Impulse der Besinnung auf Bibel und Liturgie.
Die Verbreitung der Heiligen Schrift und die Verkündigung ihrer Botschaft, die theologische Auseinandersetzung
mit der Liturgie und die Konsequenzen für die Alltagspraxis der Feier des Gottesdienstes lagen Höslinger
nicht nur in Österreich am Herzen; er knüpfte Kontakte in viele Länder Europas. Seine große
Pionierleistung war der Schritt in die damals kommunistisch beherrschten Länder. So gelang es ihm, durch viele
Kontakte die Bibelarbeit in diesen Ländern zu initiieren und Bibelwissenschaftler zu zahlreichen Veranstaltungen
in den Westen zu bringen. Seine engen Verbindungen trugen nach der „Wende“ ihre Früchte. Ein Ausdruck der
Dankbarkeit für die grenzüberschreitende Arbeit Höslingers war die Verleihung der Ehrendoktorwürde
der Katholischen Theologischen Akademie in Warschau 1992.
Seine Arbeit in der Bibelpastoral war stets von großem ökumenischen Interesse geprägt, sowie von
der grundlegenden Überzeugung der notwendigen Besinnung auf die jüdischen Wurzeln des Christentums. Diese
Überzeugung, dass kirchliche Bibelarbeit ohne Besinnung auf die jüdischen Wurzeln nicht möglich
ist, legte die Basis für die enge Zusammenarbeit mit Kurt Schubert, dem Pionier der Judaistik und langjährigen
Präsidenten des Katholischen Bibelwerks. Der wissenschaftliche Bibel-Experte Schubert und der für die
Umsetzung in die pastorale Praxis zuständige Augustiner-Chorherr Höslinger bildeten ein auch freundschaftlich
verbundenes Team. Schubert war es auch, der Höslinger dazu motivierte, Menschen durch Reisen in das Heilige
Land für die Bibel zu begeistern. Die erste Israel-Reise fand im Februar 1972 statt, 1989 kam es zum Zusammenschluss
mit „Biblische Reisen Stuttgart“.
Bei seinem Abschiedsfest als Direktor des Österreichischen Katholischen Bibelwerks forderte Höslinger
1999 eine Intensivierung der Bibelarbeit in der Kirche. Der Augustiner-Chorherr, der 1957 das Erbe des großen
Bibel- und Liturgiepioniers Pius Parsch angetreten hatte, unterstrich, dass es in der Beschäftigung mit der
Bibel keine Trennung zwischen wissenschaftlicher Forschung und Spiritualität geben dürfe. Als sein persönliches
"Vermächtnis" bezeichnete Höslinger damals den Wunsch, in der kirchlichen Bibelarbeit die Besinnung
auf die jüdischen Wurzeln des Christentums noch zu verstärken. Auch in der Bibelarbeit gelte: "Wir
dürfen nicht auf die Menschen warten, sondern müssen vielmehr auf sie zugehen und sie dort abholen, wo
sie stehen“, sagte Höslinger. Zu den Turbulenzen in der katholischen Kirche in Österreich meinte Höslinger
damals, dass der Blick auf die Bibel helfe, die Situation zu entdramatisieren: "Wir hätten die Bibel
mehr zu uns sprechen lassen sollen".
Wie sehr Höslinger auch die praktischen Konsequenzen der Besinnung auf die jüdischen Wurzeln des Christentums
am Herzen lagen, wurde bei einer von ihm im Jahr 2000 organisierten Tagung über „Antijudaismus im heutigen
Mitteleuropa und Maßnahmen zur Überwindung“ deutlich. Damals sagte er, dass das Anliegen der Überwindung
des Antijudaismus von den akademischen Tagungen "nicht bis zur Basis dringt". Er nannte immer wieder
auftretende "Hindernisse" auf dem Weg zu einer bereinigten Beziehung zum Judentum. So müsse dem
vielfach gehörten Ruf, endlich Schluss mit der Debatte über den Holocaust zu machen, ein entschiedenes
"Niemals vergessen!" entgegen gehalten werden. Sich zu erinnern, sei gerade im Heiligen Jahr 2000 ein
nicht zu übergehender Anspruch, so Höslinger, auch das Christentum habe "seine Märtyrer nie
vergessen". Die Shoah dürfe nicht mit dem Verweis auf andere Menschheitsverbrechen "eingeebnet"
werden. Problematisch sei auch der Standpunkt, die Entschuldigung für die Vergangenheit nur als Schwäche
zu sehen. Die katholische Kirche habe Substanz genug, das „Wir“ nicht nur auf vergangene Großtaten zu beziehen,
sondern auch auf vergangene Schuld. Entschieden widersprechen müsse man der Darstellung des Alten Testaments
als „Rachebuch“, so Höslinger damals. Immer noch sei manchmal verfälschend von „alttestamentlichem Hass“
zu hören. Der „größte Feind“ im Kampf gegen den Antijudaismus sei jedoch die Gleichgültigkeit.
Nach seiner Emeritierung wirkte Höslinger von 2001 bis 2004 als Pfarrer von Wien-Heiligenstadt, wo er schon
viele Jahre zuvor ausgeholfen hatte. Endgültig in das Stift Klosterneuburg zurückgekehrt, machte ihm
die fortschreitende Krankheit immer mehr zu schaffen. Trotzdem versuchte er, so rege wie möglich am Gemeinschaftsleben
des Konvents teilzunehmen, und so oft er nur konnte, in das Büro des „Pius Parsch-Instituts“ zu kommen, bevor
ihn ein Schlaganfall im August 2010 ans Bett fesselte. |