Unternehmen nicht mehr "Herren der Kommunikation" - "Extrem-Einkäufer"
shoppen erst nach Online-Recherche
Wien (ebc.apa) - Elektronische Regaletiketten, Self-Checkout und das Bezahlen mit dem Handy an der Supermarktkassa
lassen zwar noch auf sich warten, neue Medien, Web 2.0 und das dadurch veränderte Einkaufsverhalten haben
aber bereits jetzt massive Auswirkungen auf die heimische Handelswelt, erklärten Experten bei einer Podiumsdiskussion
der APA-E-Business-Community am Abend des 31.03. in Wien.
"Der Einfluss der Handelsketten, Marken und Werbung sinkt. Die Konsumenten erhalten den Eindruck, die Kontrolle
zu haben, und die Loyalität nimmt ab", sagte Robert Madas vom Marktforscher GfK Austria. Bis vor kurzem
habe das Marketing die Zügel in der Hand gehabt, jetzt gebe es neben TV, Radio und dem Point of Sale auch
Internet, Handy und digitale Mund-zu-Mund-Propaganda. All diese Kategorien würden intensiv genutzt. "Ich
kann mir daher als Hersteller oder Händler nicht erlauben, in einem dieser Bereich nichts zu tun", so
Madas.
Unternehmen und unabhängige Medien seien nicht mehr die Herren der Kommunikation. Vielmehr gewinne das Thema
Social Media an Bedeutung. "Rund 3,2 Millionen Österreicher nutzen diese Netzwerke. Eine Million ist
Fan eines Unternehmens, ist also von sich aus aktiv auf ein Unternehmen zugegangen", sagte Madas. Außerdem
habe sich durch Internet, iPhone und Co. eine neue Shopper-Schicht gebildet, der knapp 30 Prozent der Bevölkerung
angehören: die "Extrem-Einkäufer". Sie nutzen neue Medien intensiv und suchen gezielt und häufig,
um die richtigen Produkte und Dienstleistungen zum vorteilhaftesten Preis-/Leistungsverhältnis zu finden.
Im Bereich Social Media seien inzwischen alle großen Handelsunternehmen aktiv, bestätigte auch Chris
Budgen vom Webconsulter diamond:dogs. Wenn jemand aufgrund der Billa-Werbung denke, dass den Kälbern die "Heu-Milch"
weggenommen werde, um sie zu verkaufen, könne man auf Facebook auf diese Falschinfo reagieren. Diskutiert
worden wäre über den Vorwurf auf alle Fälle, so der Experte. Als Marketinginstrument und zur Imagepflege
sieht er Handy-Anwendungen (Apps) auf dem Vormarsch. "Jeder vierte bis fünfte iPhone-Besitzer in Österreich
nutzt die Billa-App."
Warten auf mobile Geldbörse
Einen Trend der Zukunft sieht Budgen auch darin, Ware online zu bestellen und vom Supermarkt das fertige Paket
abzuholen. Bei ortsbezogenen Diensten hinke Österreich - auch aufgrund der rechtlichen Problematik - hinterher.
Couponing-Systeme auf dieser Basis würden ebenfalls noch auf sich warten lassen. Die Konsumenten seien derzeit
nicht bereit, Daten wie den Aufenthaltsort herzugeben, auch wenn sie dadurch Vorteile lukrieren könnten. Das
Thema Nahfunktechnik (NFC) - durch die das Handy zur mobilen Geldbörse wird - sieht er derzeit stark gehypt,
noch fehle es aber an entsprechenden Endgeräten und Anwendungen.
"Wir brauchen Lösungen, die wirklich funktionieren. Vieles ist noch unausgereift", bemängelte
Andreas Kranabitl von Spar Österreich. Großes Interesse bestehe derzeit an elektronischen Preisetiketten
am Regal. "Aber dazu müssten die Kosten von derzeit über zehn auf fünf bis sechs Euro sinken",
so Kranabitl. Außerdem gebe es bestimmte Designansprüche. Mit entsprechenden Etiketten könnte automatisch
der Preis reduziert werden, wenn das System anzeigt, dass der Bestand an bestimmten Frischwaren - etwa Bananen
- zu hoch sei. "Am Abend geht es dann vielleicht in Richtung gratis. Das ist immer noch besser als die Ware
wegzuwerfen."
Mängel beim Self-Checkout
Auch beim Self-Checkout gebe es noch Hindernisse, weil die Bargeld-Module noch zu fehleranfällig seien - "das
ist für den Kunden nicht akzeptabel". Wenn man das Modul ausschalte, würde die Nachfrage schlagartig
um die Hälfte sinken, weil "die Österreicher nicht bereit sind, bargeldlos zu bezahlen". Auch
bei den Informationsterminals in der Weinabteilung habe es teilweise technische Probleme gegeben, zudem seien die
Infos nicht aktuell gewesen, deshalb habe man sie wieder abgebaut.
Kein Händler werde eine Technologie einsetzen, die nicht perfekt funktioniert, bestätigte auch Rene Tritscher
von der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich. Bei NFC gebe es beispielsweise noch einige
Probleme - abgesehen von den fehlenden Endgeräten. Große Veränderungen beim Einkaufsverhalten führt
auch Tritscher vor allem auf neue digitale und interaktive Kommunikationswege zurück.
Lehrlinge finden via Facebook
"Konsumenten tauschen sich mit Gleichgesinnten aus und können dabei eine erhebliche Reichweite erzielen,
etwa auf Bewertungsplattformen wie Qype oder via Facebook und Twitter", so der Branchenkenner. Diese Angebote
zu beobachten und im besten Fall selber zu nutzen, könne nicht nur dazu dienen, einer schlechten Reputation
im Internet entgegenzuwirken, sondern auch Kunden besser zu informieren oder beispielsweise Lehrlinge zu finden.
Für Rene Eres von Ericsson Austria stehen im Handel künftig neben Empfehlungen auch kundenspezifische
Daten und deren Nutzung im Vordergrund. Sie würden einen Mehrwert für beide Parteien darstellen. Vorbehalte
sieht er differenziert. "Wenn ich eine Kundenkarte nutze, kennt das Unternehmen auch meinen Standort und weiß
zudem, was ich eingekauft habe", sagte er. "Für 50 Cent billigere Spaghetti" würden Informationen
bereitwillig hergegeben. Ein neues "Erlebnislevel" erwartet sich Eres von NFC-Terminals und der nahtlosen
Integration von mobilen Endgeräten. |