Schilddrüse beeinflusst Farbensehen   

erstellt am
31. 03. 11

Hormon der Schilddrüse reguliert lebenslang die Farbsehpigmente im Auge
Frankfurt/Wien (idw) - Was hat die Schilddrüse mit dem Sehen zu tun? Ihr Hormon entscheidet lebenslang maßgeblich mit, welches Sehpigment in den Zapfen gebildet wird. Bisher ging man davon aus, dass die Farbempfindlichkeit der Zapfen in der erwachsenen Retina festgelegt ist. Forscher am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main konnten nun jedoch gemeinsam mit Kollegen der Universität Frankfurt am Main und von Universitäten in Wien zeigen, dass bei Mäusen und Ratten auch in bereits ausgereiften Zapfen die Produktion des Sehpigments durch Schilddrüsenhormon reguliert wird. Es ist zu vermuten, dass dieser Regelkreis bei allen Säugetieren einschließlich des Menschen vorliegt. Ein im Erwachsenenalter auftretender Schilddrüsenhormonmangel (Hypothyreose) würde sich dann auch auf das Farbensehen auswirken.

Schilddrüsenhormone spielen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung des Körpers und auch des Nervensystems. Eine angeborene Unterfunktion oder gar ein Fehlen der Schilddrüse (congenitale Hypothyreose) führen zu gravierenden körperlichen und geistigen Entwicklungsstörungen. Deshalb werden Neugeborene heute routinemäßig auf Schilddrüsenhormonmangel untersucht und gegebenenfalls wird das Hormon zugeführt.

Aus Studien an Mäusen ist bekannt, dass das Schilddrüsenhormon auch bei der Entwicklung des Auges, insbesondere der Sehzellen, und zwar der für das Farbensehen verantwortlichen Zapfen, eine wichtige Rolle spielt. Die meisten Säugetiere besitzen zwei Zapfentypen mit unterschiedlichen Sehpigmenten (Opsinen), eines empfindlich für kurzwelliges Licht (UV/Blau-Opsin), das andere für mittel- bis langwelliges Licht (Grün-Opsin). Schilddrüsenhormon hemmt über einen Rezeptor die Synthese des UV/Blau-Sehpigments und aktiviert die Produktion des grünen Sehpigments.

Die Regulation von Sehpigmenten durch Schilddrüsenhormon wurde bislang als ein ausschließlich während der Entwicklung auftretendes Phänomen angesehen. Die Fachwelt ging davon aus, dass das "Opsin-Programm" in ausgereiften Zapfen festgeschrieben ist und keiner weiteren Regulierung bedarf. Diese Vorstellung wird jetzt durch eine Arbeit widerlegt, die am Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung unter der Federführung von Martin Glösmann und Anika Glaschke in der Arbeitsgruppe von Leo Peichl entstand und an der auch Wissenschaftler der Frankfurter und Wiener Universitäten beteiligt waren.

Zunächst untersuchten die Forscher die Rolle des Schilddrüsenhormons in der frühen Entwicklung von Zapfen direkt nach der Geburt. "Wir wollten wissen, wie groß das Zeitfenster für den Einfluss des Hormons ist, ab wann es also die Opsin-Produktion nicht mehr steuert", erklärt Anika Glaschke. "Und dabei kam die Überraschung: Wir fanden keinen Endpunkt, auch mehrere Wochen nach der Geburt konnten wir immer noch eine Hormonwirkung beobachten."

Die Wissenschaftler untersuchten daraufhin ausgewachsene Nager, deren Schilddrüsenhormonpegel sie für einige Wochen pharmakologisch absenkten. Bei diesen schalteten nun alle Zapfen auf die Produktion des UV/Blau-Sehpigments um, während die Produktion des grünen Sehpigments heruntergefahren wurde. Nach Absetzen der Behandlung normalisierte sich der Hormonspiegel wieder und die Zapfen produzierten das "angestammte" Sehpigment: ein Zapfentyp Grün, der andere UV/Blau.

Die Wissenschaftler folgern, dass die durch ihren Opsin-Gehalt spektral definierten Zapfentypen auch im erwachsenen Tier dynamisch und reversibel durch das Schilddrüsenhormon reguliert werden. "Unser Befund hat möglicherweise auch klinische Relevanz", sagt Martin Glösmann, der nun an der Veterinärmedizinischen Universität Wien die genetischen Grundlagen dieser Dynamik untersucht. "Wenn dieser Regelkreis auch in den menschlichen Zapfen vorliegt, dann würde sich ein im Erwachsenenalter erworbener Thyroidhormonmangel - etwa durch Jodmangelernährung oder nach Schilddrüsenentfernung - auch auf die Sehpigmente der Zapfen auswirken und Farbsehstörungen verursachen."

In der klinischen Literatur gibt es dazu allerdings keine Daten, denn Hypothyreosen werden aufgrund der gravierenden allgemeinphysiologischen Symptome therapiert, bevor die Zapfenveränderungen manifest werden könnten.
     
zurück