Kein Arbeitsmarktansturm nach Ende der Übergangsfristen zu erwarten   

erstellt am
11. 04. 11

Wien (wifo) - Wie eine aktuelle WIFO-Studie zu den Migrations- und Pendelpotentialen aus Tschechien, der Slowakei und Ungarn zeigt, sind etwa 0,4% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter konkret bereit, in den ersten zwei Jahren nach Ende der Übergangsfristen in Österreich zu arbeiten. Nach dem 30. April 2011 kann aus diesen drei Ländern mit einem zusätzlichen Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt von jährlich etwa 11.500 bis 16.500 Personen gerechnet werden; sie verfügen großteils über Qualifikationen auf Facharbeiterniveau. Viele möchten jedoch nur temporär in Österreich arbeiten. Mittelfristig wird die Bereitschaft zu Migration und Pendeln nach Österreich bei einer Fortsetzung des wirtschaftlichen Konvergenzprozesses nachlassen.

Ein Ansturm auf den österreichischen Arbeitsmarkt wird nach dem Ende der Übergangsfristen für die 2004 beigetretenen ostmitteleuropäischen EU-Mitgliedsländer am 1. Mai 2011 ausbleiben. Dies zeigt eine aktuelle WIFO-Studie, die die Bereitschaft zu grenzüberschreitender Mobilität in den Nachbarländern Tschechien, Slowakei und Ungarn auf Basis einer breit angelegten Befragung untersucht. Demnach wären etwa 0,4% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) bereit, innerhalb der nächsten zwei Jahre aus Tschechien, der Slowakei oder Ungarn nach Österreich zu pendeln oder zu migrieren und haben dazu bereits Vorbereitungsschritte unternommen.

Unter Berücksichtigung der bisherigen Zuwanderung aus diesen drei Ländern und unter realistischen Annahmen über die Entwicklung der Arbeitskräftenachfrage in Österreich schätzt das WIFO den Zugang von Arbeitskräften aus Tschechien, der Slowakei und Ungarn zur Beschäftigung in Österreich für die ersten zwei Jahre nach Ende der Übergangsfristen auf durchschnittlich 21.000 bis 26.000 Personen (Migration und Pendeln) pro Jahr. Dies entspricht einem zusätzlichen Angebot gegenüber dem Durchschnitt der Migration aus diesen drei Ländern seit der EU-Osterweiterung (rund 9.400 Personen pro Jahr) von 11.500 bis 16.500 Arbeitskräften p. a.

Der Großteil der mobilitätsbereiten Bevölkerung (76,1%) weist einen sekundären Bildungsabschluss auf (Facharbeiter- bzw. Maturaniveau) und ist damit gut qualifiziert. Zudem verfügt die Mehrheit über gute Deutschkenntnisse. Viele beabsichtigen nur eine temporäre Beschäftigung in Österreich: Etwa ein Zehntel (8,6%) möchte nur 1 bis 2 Jahre in Österreich arbeiten, ein Drittel (32,6%) etwa 3 bis 5 Jahre. Etwa 40% würden Saisonarbeit einer Dauerbeschäftigung vorziehen. In Übereinstimmung mit diesen Ergebnissen zählen vor allem saisonorientierte Sektoren wie Bauwesen, Beherbergung und Gastronomie sowie Land- und Forstwirtschaft zu den bevorzugten Branchen, aber auch das verarbeitende Gewerbe.

Die wichtigsten Motive für die Bereitschaft, im Ausland zu arbeiten, sind ökonomische Pull-Faktoren wie ein höherer Verdienst oder Lebensstandard im Ausland. Sowohl die Bereitschaft, im Ausland zu arbeiten, als auch die Wahl des Ziellandes werden zusätzlich von bestehenden Netzwerken, individueller Arbeitslosigkeit, Erfahrung mit Arbeiten im Ausland sowie der relativen sozialen Stellung im Heimatland entscheidend beeinflusst.

Österreich ist jedoch nicht das einzige Zielland für eine potentielle Migrations- und Pendelbewegung aus Tschechien, der Slowakei und Ungarn: Die Bereitschaft, in Deutschland zu arbeiten, ist insbesondere in den nordwestlichen Regionen Tschechiens, aber auch im übrigen Untersuchungsgebiet deutlich höher als die Bereitschaft, in Österreich zu arbeiten. Auch Großbritannien zählt weiterhin zu den beliebtesten Zielländern. Für Österreich als Zielland spricht - neben den guten Verdienstmöglichkeiten - vor allem die geographische Nähe. Überdurchschnittlich ist die Bereitschaft, in Österreich zu arbeiten, vor allem in den Grenzregionen der drei untersuchten Länder, die in Pendeldistanz zu Österreich liegen. Insgesamt sind in Österreich daher mehr Pendler und Pendlerinnen als Migranten und Migrantinnen zu erwarten.

Zwar unterscheiden sich Löhne und Wirtschaftsleistung auch weiterhin zwischen Österreich und den Beitrittsländern von 2004, die Lücke hat sich jedoch bereits zu einem beträchtlichen Teil geschlossen. Insbesondere zwischen dem EU-Beitritt 2004 und 2008 holten die neuen EU-Länder gegenüber Österreich und dem EU-Durchschnitt auf. Zwar wurden die ostmitteleuropäischen EU-Länder (mit Ausnahme Polens) überdurchschnittlich von der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise getroffen, dennoch ist ihre Wirtschaftslage heute fast durchwegs besser als 2004. Setzt sich der wirtschaftliche Konvergenzprozess der letzten Jahre fort (worauf auch die aktuellen Wirtschaftsprognosen hindeuten), dann wird die Mobilitätsbereitschaft aus den ostmitteleuropäischen EU-Ländern nach Österreich mittelfristig nachlassen.

Die in der Beitrittsakte von 2003 festgelegten Übergangsfristen erlaubten es den damals 15 Ländern der Europäischen Union, den freien Arbeitsmarktzugang für Arbeitskräfte aus den acht Ländern, die im Mai 2004 beitraten (Tschechien, Slowakei, Ungarn, Polen, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen), für eine Dauer von insgesamt höchstens 7 Jahren einzuschränken. Großbritannien, Irland und Schweden öffneten ihren Arbeitsmarkt bereits 2004 vollständig für Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedsländern, nur Österreich und Deutschland nahmen die Übergangsfristen für die volle Dauer in Anspruch.
     
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