Die Gravitations-Resonanzmethode
Wien (tu) - Mit den Tricks der Quantenphysik kann nun auch die Gravitation bei kurzen Abständen
untersucht werden: An der Technischen Universität (TU) Wien wurde dazu ein neues Messverfahren entwickelt,
mit dem sich Theorien über die Schwerkraft nun präzise testen lassen.
Bei den genauesten Messverfahren, die wir kennen, ist Quantenphysik im Spiel: Hochpräzise Atomuhren oder hochauflösende
Magnetresonanzverfahren in der Medizin beruhen auf der Vermessung von Quantensprüngen: Regt man ein Teilchen
in genau der richtigen Frequenz an, wechselt es seinen Quantenzustand – man spricht von „Resonanzspektroskopie“.
Alle bisherigen Verfahren dieser Art verwenden dafür elektromagnetische Strahlung oder Felder. Wissenschaftler
an der TU Wien haben nun eine Resonanzmethode entwickelt, die zum ersten Mal ohne Elektromagnetismus auskommt und
auf die Schwerkraft angewandt wird. Durch die Gravitation ergeben sich für die Neutronen verschiedene mögliche
Quantenzustände. Neu ist, dass Übergänge zwischen diesen Zuständen angeregt und präzise
vermessen werden können. Die Ergebnisse dieser Experimente wurden nun im Fachjournal „Nature Physics“ publiziert.
Schwerkraft und Quantenphysik haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun: Die Gravitation spüren
wir, wenn große, massereiche Objekte wie Sterne oder Planeten im Spiel sind. Für Quantenteilchen hingegen
spielt die Schwerkraft meist keine große Rolle. Mit der neuen Methode werden diese beiden Bereiche nun verknüpft
– die Theorie der Gravitation lässt sich nun auf der Skala kleinster Entfernungen untersuchen. Damit erhofft
man sich auch neue Erkenntnisse über Stringtheorie und die Natur dunkler Materie. Bisher beschränkte
sich die Erforschung der Schwerkraft auf makroskopische Entfernungen – oder gar auf astronomische Abstände.
Extrem langsame Neutronen
Die Auswirkungen der Gravitation auf sehr kurzen Längenskalen zu messen ist schwer: “Die Aussagekraft von
Atomen bei solchen Experimenten ist begrenzt, weil ihr Verhalten von kurzreichweitigen elektrischen Kräften
stark dominiert wird - etwa von Van der Waals- oder Casimirkräften“, erklärt Prof. Hartmut Abele von
der TU Wien. „Doch mit ultrakalten Neutronen, die ladungslos und extrem wenig polarisierbar sind, können wir
auf kurzen Abständen sehr präzise messen.“ Neben Prof. Abele und seinen Assistenten Tobias Jenke und
Dr. Hartmut Lemmel war auch Dr. Peter Geltenbort vom Institut Laue-Langevin in Grenoble an dieser Forschungsarbeit
beteiligt.
Quantensprünge zwischen Gravitations-Zuständen
Ein Stein lässt sich in eine beliebige Höhe anheben – und je höher wir ihn heben, umso mehr Energie
müssen wir aufwenden. Bei Quantenteilchen, wie den Neutronen, die zwischen zwei ebenen Platten hindurchfliegen,
ist das anders: Sie können nur ganz bestimmte Portionen von Gravitations-Energie aufnehmen. An der Neutronenquelle
des Instituts Laue-Langevin in Grenoble gelang es den Wiener Physikern, den quantenphysikalischen Energie-Zustand
der Neutronen zwischen zwei ebenen Platten genau festzulegen. Eine der Platten ließ man dann mit einer präzise
kontrollierten Frequenz vibrieren. Entspricht diese Frequenz genau der Energiedifferenz zwischen zwei Quantenzuständen,
wird das Neutron dazu angeregt, in einen höheren Energiezustand zu wechseln. Wenn man misst, bei welcher Frequenz
es zu diesem Übergang kommt, weiß man auch, welcher Energie-Unterschied zwischen den beiden Quantenzuständen
besteht.
Träge Masse und schwere Masse
Massive Objekte haben zwei wichtige Eigenschaften: Sie sind träge (sie lassen sich also nur mit großem
Kraftaufwand beschleunigen) und sie sind schwer (auf sie wirkt eine starke Gravitationskraft, nämlich die
Anziehungskraft der Erde). Schon im 16. Jahrhundert erkannte man, dass Trägheit und Schwere zusammengehören
und dass deshalb alle Objekte unabhängig von ihrer Masse gleich schnell zu Boden fallen. Ob das nur eine gute
Näherung ist, oder ob das tatsächlich auch auf winzigen Skalen in der Quantenwelt stimmt, soll sich nun
mit den neuen Experimenten endlich untersuchen lassen.
Schon seit Jahrzehnten wird angestrengt versucht, die Gravitation mit der Quantentheorie zu einer gemeinsamen Theorie
aller Kräfte zu vereinen. So entstanden etwa verschiedene Stringtheorien, von denen die Existenz von zusätzlichen
Raumdimensionen vorhergesagt wird, die uns bisher noch verborgen geblieben sind. „Mit unserer Neutronen-Methode
werden wir jetzt daran gehen, solche Theorien direkt im Labor zu testen“, kündigt Prof. Hartmut Abele an.
Selbst für die Kosmologie können diese Experimente eine wichtige Rolle spielen: Auch Theorien über
die geheimnisvolle „dunkle Materie“, die Bewegungen der Galaxien beeinflussen soll, können nun auf winziger
Skala durch die hochpräzisen Neutronen-Messungen untersucht werden. „Unsere Methode, die für die ganz
kleinen Längenskalen gemacht ist, könnte möglicherweise - viel Glück vorausgesetzt - Aussagen
über die Entwicklung des Universums an sich erlauben.
Auf jeden Fall erwarten uns spannende Neuigkeiten der Gravitationsforschung“, ist Prof. Abele zuversichtlich. |