Wien (fhsaustria) - Drei Universitätsprofessoren der Technischen Universität Wien arbeiten
mit ihren Studenten im Rahmen eines Forschungsprojekts das architektonische Erbe der Schiffswerft Korneuburg und
die historische Bausubstanz wissenschaftlich auf.
Die Begehung des historisch bedeutsamen und in Österreich einzigartigen Gebäudeensembles, das deshalb
auch unter Denkmalschutz steht, soll den Studenten neben den theoretischen Grundlagen aus Plänen und Bildern
auch das Erscheinungsbild der noch vorhandenen Bauwerke nahebringen. Zum besseren Verständnis von Funktion
und Konstruktion war Wissen aus erster Hand gefordert; Die Teilnahme der Bevölkerung und ehemaliger "Werftler"
also ausdrücklich erwünscht. Über 70 Personen nahmen die Gelegenheit wahr und kamen zur Freiluft-Vorlesung,
einige fuhren sogar spontan aufgrund eines Berichts im Radio von der Autobahn ab.
Die Professoren führten in das Thema ein und rasch entspann sich eine rege Diskussion zwischen Lehre, Studenten
und den rund 30 ehemaligen Werftangehörigen und Korneuburgern über die Geschichte der Werft sowie die
Funktionen der Gebäude.
Erst wurden die Wohngebäude und anschließend die Industrieobjekte besprochen und besichtigt. Das Ensemble
der Arbeiterwohnungen wird auch heute noch als Wohnobjekt benutzt und weist einen relativ guten Bauzustand auf,
obwohl auch hier Hochwässer immer wieder Schaden verursachen. Schön und stilgerecht renoviert ist die
sogenannte „Direktorenvilla“ an der Ostecke des Geländes. Prof. Jäger-Klein sprach bei dieser Gelegenheit
über die Architekten, die an der Baugeschichte der Werft maßgeblich beteiligt waren. Beim Aufgang zur
ehemaligen Kreislerei der „Kramerin“ (Frau Kramer) berichteten ehemalige nautische Mitarbeiter der DDSG von „damals“:
dem Knobeln um die nächste Runde, dem Kredit und wie sie in die Schrebergärten eindrangen, um Kartoffeln
und Karotten zu „beschaffen“, denn das Geld blieb bei der „Kramerin“, für Alkohol und Zigaretten.
Bei den noch vorhandenen Industriebauten – die Werft wurde in ihrer langen Geschichte immer wieder umgebaut und
erweitert – wurde die damalige Technik diskutiert. Die Hallen, in denen Schiffe, Maschinen und Einrichtungen gebaut
wurden, bzw. Werkstätten wie Schmiede, Maschinenbau, Werkzeugbau, Schlosserei, Seilerei, Tischlerei u.a. aufnahmen,
waren anfänglich aus Holz und zuletzt meist Stahlgerüstkonstruktionen, damals noch genietet oder geschraubt.
Die offenen Wandflächen wurden entweder mit Holz oder Ziegeln verschlossen. Interessant waren hier immer wieder
die Berichte der ehemaligen „Werftler“, die sich noch an die verschiedenen Funktionen der Hallen im Laufe der Geschichte
erinnern konnten und auch untereinander Erfahrungen austauschten.
Neben den verschiedenen Hallen wurden auch die Krananlagen besichtigt. Ein unübersehbares Wahrzeichen der
Werft ist der große weiße, auf Schienen laufende Turmdrehkran sowie die Slipanlagen, auf denen die
Schiffe zu Wasser gebracht wurden. Ein weites Feld sind die Baupläne der Werft aus unterschiedlichen Epochen,
die von den angehenden Architekten mit dem jetzigen Bauzustand in Übereinstimmung gebracht werden sollen.
Auch über die Geschichte der großen Schiffsbauhalle am Westende wurde berichtet, die in den 1920-er
Jahren in Frankreich gebaut wurde und während des zweiten Weltkrieges abgebaut, nach Korneuburg transferiert
und hier wieder aufgebaut wurde. Einige Werftler konnten noch an ein tragisches Unglück erinnern, als die
Dachkonstruktion einstürzte und „Menschen und Pferde“ tötete. Auch hier sind die Dachträger genietet
und geschraubt, die Deckung ist nicht isoliert, um den Schnee abzuschmelzen.
Zuletzt wurden die historischen Schiffe des Vereins FHS besichtigt, hervorzuheben sind hier das Dampfschiff PASCAL,
der Schlepper JOSEF oder der Eisbrecher SAMLAND, die am ehemaligen DDSG Güterkahn 10065 festgemacht sind.
Die ehemalige Steuermannswohnung, die im Sommer der ganzen Familie samt Kindern monatelang Platz bieten musste
– Fließwasser und elektrisches Licht gab es an Bord auch noch nicht – wurde interessiert besichtigt. Dass
Ziegen und Hendln an Deck gehalten wurden, sorgte für Frischverpflegung, denn ohne Strom auch kein Eiskasten.
Großen Anklang bei den Korneuburgern fanden die Pläne der FHS, Teile der Werft als „Werftmuseum“ zu
revitalisieren und damit dem Werftgelände neuen Inhalt zugeben. Viele der „Werftler“ berichteten, dass sie
sich von der Politik, abgesehen von Sozialplan und Fortkommen, vor allem emotional verlassen fühlten und kritisierten
die – ihrer Meinung nach – Ignoranz der Politik gegenüber dem, was einmal wesentlichste Einnahmequelle der
Stadt war.
Im Rahmen dieses Projekts ist daran gedacht, eine Halle als Museum zu adaptieren und als Ausstellungsraum und Werkstätte
für Restaurierung und Instandhaltung von Dampfmaschinen und Dampflokomobilen zu nutzen. An Tagen der offenen
Tür können verschiedene Aktivitäten wie Modellbootfahren, Live Steam der Dampfmaschinen und Dampfschiffe,
Besichtigung von und Mitfahrmöglichkeit auf historischen Schiffen durchgeführt werden. Damit könnte
eine Belebung und Bereicherung des Korneuburger Kulturlebens erreicht werden. Bei Veranstaltungen dieser Art wird,
wie in der Vergangenheit bewiesen, das Interesse von Jung und Alt angesprochen.
Zwischenbericht der Forscher am 26.4.2011 19:30 Uhr im „Gasthaus zum alten Zollhaus“ Bahnhofplatz 2, 2100 Korneuburg
- Dipl.-Ing. Dr.techn. Caroline Jäger-Klein, Architekturgeschichte (Autorin von: "Österreichische
Architektur des 19. und 20. Jhdts."),
- Dr.phil. Sabine Plakolm-Forsthuber, Kunstgeschichte und
- Dr.phil. Gerhard A. Stadler, Industriearchäologie (Autor von: "Das Industrielle Erbe Niederösterreichs")
Das Projekt beruht auf einer Initiative des Vereins FHS - Freunde historischer Schiffe.
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