Nach der Analyse weiterer Pilot- und Testflächen wird das endgültige Sanierungskonzept
im September 2011 präsentiert
Wien (rk) - In seiner neugotischen Form stellt das Wiener Rathaus (erbaut 1872 - 1883) ein Hauptwerk der
Spätphase des strengen Historismus und eines der herausragendsten Natursteinbauwerke Europas dar. Sowohl der
heutige Zustand der Rathausfassaden als auch die Erhaltungsgeschichte des Baus machen restauratorische Maßnahmen
notwendig. Um die äußerst komplexen konservatorischen und restauratorischen Maßnahmen für
das einzigartige Gebäude mit größter Sorgfalt zu bestimmen, wurde bereits eine definierte Musterachse
im Bereich eines Eckrisalits saniert, die eine wesentliche Planungsgrundlage bildet. Über den weiteren Fahrplan
zur Sanierung der Fassaden des Wiener Rathauses informierten am 15.04. Wohnbaustadtrat Dr. Michael Ludwig,
Hofrat Univ.-Doz. Dr. Friedrich Dahm, Bundesdenkmalamt - Landeskonservator für Wien, Dipl.-Restauratorin Susanne
Beseler sowie Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr. Andreas Rohatsch, Technische Universität Wien - Institut für Geotechnik.
Das Wiener Rathaus zählt zu den bedeutendsten Bauten der Ringstraße - jenem Boulevard, der für
eine ganze Epoche - jene des Historismus - namensgebend und richtungsweisend wurde. Bei keinem anderen der großen
Ringstraßenbauten wurde so viel Naturstein verwendet. Die freie Bewitterung, der die Rathaus-Fassaden mittlerweile
nun schon 130 Jahre ausgesetzt sind, hat jedoch deutliche Spuren in Form von Verschmutzungen, Gefügeschäden
und Formverlusten an den Natursteinoberflächen hinterlassen.
"Für eine sorgfältige Restaurierung der Naturstein-Fassaden, die der Bedeutung des Wiener Rathauses
gerecht wird, sind umfangreiche fundierte naturwissenschaftliche Untersuchungen Voraussetzung. Die Erkenntnisse
aus der Sanierung der Musterachse und aus parallel dazu durchgeführten weiterführenden Untersuchungen
an der Hauptfassade lieferten eine wesentliche Planungsgrundlage. So ist es - aufgrund der Materialvielfalt sowie
der großen Unterschiede der Verwitterungs- und Verschmutzungszustände an den einzelnen Fassadenbereichen
- unerlässlich, Untersuchungen an weiteren Test- und Pilotflächen durchzuführen", betonte Wohnbaustadtrat
Michael Ludwig.
"Bereits im Vorfeld der geplanten Sanierung, Konservierung und Restaurierung der Fassaden müssen umfassende
Untersuchungen vorgenommen werden, an denen das Bundesdenkmalamt mit seinen Werkstätten und naturwissenschaftlichen
Labors, aber auch universitäre Einrichtungen beteiligt sind. Denn nur in detaillierter Kenntnis aller Schadensbilder
und -phänomene kann ein maßgeschneidertes Konzept für eine gesamtheitliche Restaurierung gewährleistet
werden", hob auch Landeskonservator Friedrich Dahm hervor.
"Mit weit mehr als 40.000 m3 verwendeten Bruch- und Quadersteinen, den zahleichen Architekturelementen sowie
der figuralen Ausstattung, stellt das Wiener Rathaus ein - auch was die Menge des Gesteins betrifft - imposantes
Denkmal für die Verwendung von Naturstein als Baumaterial im Hochbau dar. Die zahlreichen unterschiedlichen
Gesteinstypen stammen aus vielen Regionen der ehemaligen Kronländer, aber auch aus Italien, Frankreich und
Deutschland. Chemischen und physikalischen Einflüssen ausgesetzt, weisen manche Gesteine massive Verwitterungszustände
auf", beschreibt Andreas Rohatsch, international anerkannter Experte der TU Wien, eine der Herausforderungen
bei der geplanten Sanierung.
Vorlage des Gesamtkonzepts im September 2011
Die Arbeiten an der ersten, etwa drei Tennisfelder großen Musterachse am Eckrisalit Lichtenfelsgasse/Friedrich-Schmidt-Platz
- die Kosten dafür und für die weiteren Test- und Pilotflächen betragen insgesamt 489.000 Euro -
wurden im Winter plangemäß abgeschlossen. Damit wurde eine wichtige Planungsgrundlage zur detaillierten
Bestimmung des Maßnahmenprogramms geschaffen. Dazu Restauratorin Susanne Beseler, federführende Fachaufsicht
bei der Erstellung der Grundlagen für die Sanierung der Rathaus-Fassaden: "Im Zuge der Umsetzung der
Musterrestaurierung konnten wesentliche Zielstellungen erarbeitet und Nachjustierungen von Einzelschritten, begleitet
von naturwissenschaftlichen Untersuchungen, getroffen werden. Insbesondere beim Umgang mit Fehlstellen und Formverlusten
erfolgte gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt die Entwicklung eines Ergänzungskonzepts. Ganz im Sinne der ursprünglichen
Baugeschichte wurden alle wesentlichen Materialergänzungen restauratorisch mit hochqualitativem Naturstein
ausgeführt und nicht - wie allgemein üblich - mit Mörtel getätigt."
Seitens der für die Sanierung des Rathauses verantwortlich zeichnenden Magistratsabteilung 34 wird ökologischen
Aspekten höchstes Augenmerk gewidmet. "Bei allen restauratorischen und konservatorischen Maßnahmen
wird weitestgehend auf Chemie verzichtet, bauchemische Substanzen werden nur im unbedingt notwendigen Maß
zur Anwendung gelangen", unterstrich Ing. Josef Neumayer, Leiter der MA 34 - Bau- und Gebäudemanagement.
"Ein einzigartiges Gebäude wie das Wiener Rathaus benötigt auch eine einzigartige Sanierung, die
sich gänzlich von üblichen Revitalisierungen abhebt. So werden wir für die Sanierungsarbeiten ausschließlich
ausgewiesene Spezialistinnen und Spezialisten einsetzen, um einen behutsamen, fachgerechten und nachhaltigen Umgang
mit dem Material zu gewährleisten. Insbesondere an die handwerklichen Fähigkeiten wird ein enormer Anspruch
gestellt: Die Steinmetz- und Bildhauerarbeiten müssen auf höchstem Niveau - ganz im Sinne des bauzeitlichen
Mottos ,Saxa loquuntur\x{2588} - ,sprechende Steine\x{2588} -ausgeführt werden", betonte Ludwig. Die
Präsentation des Gesamtkonzepts mit allen restauratorischen und konservatorischen Maßnahmen, einer Gesamtkostenschätzung
mit Bauablauf und Finanzierungsplan werde daher - nach dem kompletten Abschluss aller Voruntersuchungen - im September
2011 erfolgen, erläuterte er den weiteren Fahrplan zur Sanierung der Rathaus-Fassaden. "Bei Erfüllung
aller notwendigen Rahmenbedingungen kann der Baubeginn für den ersten Sanierungsbauabschnitt mit Herbst 2012
angesetzt werden", so der Wiener Wohnbaustadtrat abschließend.
Fundierte Analysen für ein solides und kostengerechtes Sanierungskonzept
Neben denkmalpflegerischen Aspekten und der Entwicklung objektspezifischer Strategien waren bzw. sind die Erkenntnisse
aus den Arbeiten an der Musterachse für die Planung des logistischen und zeitlichen Bauablaufs sowie der Konkretisierung
des zu erwartenden Kostenaufwands entscheidend. Es wurde deutlich, dass ein jeweils individueller fassadenspezifischer
Leistungskatalog als Ausschreibungsgrundlage zwingend erforderlich ist, da jede Fassade über einzigartige
"Problemzonen" verfügt. Das heißt, jeder Fassadenabschnitt sollte vor der Ausschreibung hinsichtlich
des quantitativen Schadensausmaßes exemplarisch begutachtet werden, um solide und kostengerechte Leistungsverzeichnisse
erarbeiten zu können.
Parallel zu den Maßnahmen an der Musterachse, die von Anfang April bis Ende November 2010 durchgeführt
wurden, konnten durch weiterführende naturwissenschaftliche Untersuchungen sowohl der Zustand als auch die
wirkenden Mechanismen an der Hauptfassade näher bestimmt werden. Dabei stellte sich heraus, dass sich in den
oberflächennahen Zonen der Natursteine eine extreme Verdichtung gebildet hat, die in weiterer Folge permanent
zu minimalen aber stetigen Material- und somit Formverlusten führt. Auch um diesen Mechanismen durch gezielte
Maßnahmen entgegenwirken zu können, bedarf es weiterer Test- und Pilotflächen, untermauert von
entsprechenden Untersuchungen zur Wirksamkeit der gewählten Maßnahmen.
Gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt (Landeskonservator und Werkstätten) wurden die restauratorischen und konservatorischen
Maßnahmen für die weiterführenden Musterrestaurierungen (Fassadenflächen an der Front Lichtenfelsgasse,
Front Friedrich-Schmidt-Platz, Front Felderstraße und die Einfahrtshöfe 3 und 4 sowie den Arkadenhof
einschließlich der Eingangs- und Durchfahrtsbereiche) inklusive einer weiteren Musterachse an der Front Rathausplatz
definiert.
Die nächsten Schritte
Von 16. bis 19. April 2011 erfolgt mit Hilfe eines mehr als 100 Meter hohen Krans eine genaue Kartierung der Steinarten
sowie der festzustellenden Schadensbilder entlang der neuen Musterachse (2. Rechter Seitenturm), um eine möglichst
exakte Quantifizierung vornehmen zu können. Dabei werden auch die restlichen Hauptfassadenflächen abgefahren,
um festzustellen, ob die Zustände im Bereich der Musterachse mit der übrigen Hauptfassadenfläche
(Front Rathausplatz) übereinstimmen.
Bis Juli 2011 werden - auf die festgestellten Schadensbilder abgestimmt - Musterflächen (Kleinflächen)
angelegt und ergänzende detaillierte naturwissenschaftliche Untersuchungen an der Fassade Front Rathausplatz
durchgeführt, um ein nachhaltiges Konzept zu entwickeln. Weiters ist vorgesehen, eine Steinfigur zur Gänze
zu restaurieren (weitere Musterarbeit).
Von Mai 2011 bis Juli 2011 werden ergänzende weitere Prüfungen und Analysen hinsichtlich des Wasseraufnahme-
und Trocknungsverhaltens konservierter Musterflächen durchgeführt, um eine objektive Beurteilung der
restauratorischen Maßnahmen bzw. Restauriererfolge zu ermöglichen.
Juli 2011 und August 2011: Endgültige Abstimmung der restauratorischen- und konservatorischen Konzepte (ExpertInnen,
Sachverständige, Bundesdenkmalamt).
September 2011: Vorlage eines Gesamtkonzepts, das alle restauratorischen und konservatorischen Maßnahmen
auflistet, einer Gesamtkostenschätzung mit Bauablauf und Finanzierungsplan.
Spannende Daten & Fakten über das Wiener Rathaus
- Die gesamte Natursteinfassadenfläche des Wiener Rathauses (Architekt: Friedrich Schmidt) umfasst rund
40.000 m2 Fläche. Für Errichtung der Fassaden wurden anno dazumal 30.000 m3 Quaderstein und 10.000 m3
Bruchstein eingesetzt. Der figurale Fassadenschmuck von 26 KünstlerInnen - ingesamt 74 Figuren - ziert das
Rathaus.
- Grundstückfläche: 19.592 m2 Verbaute Fläche: 14.067 m2 Gesamte Innenhoffläche: 5.525 m2
Arkadenhoffläche: 2.806 m2
- Rathauskomplex: 152 m lang und 127 m breit Mittlere Fassadenhöhe bis zur Balustrade: 31,5 m
- Höhe des Hauptturmes: 98 m (mit Rathausmann: 103,3 m) Höhe der vier Seitentürme: 65 m Höhe
der Eckturmdächer: 44 m Höhe der Turmdächer über der Einfahrt: 53 m
- Fassadenfläche Front Rathausplatz: 7.900 m2 (ohne Türme) Seitentürme (1-4): 1.400 m2 Hauptturm:
1.650 m2 Fassadenfläche Front Lichtenfelsgasse: 4.000 m2 Fassadenfläche Front F.-Schmidt-Platz: 5.350
m2 Fassadenfläche Front Felderstraße: 4.000 m2 Fassadenfläche Eingangsbereich Lichtenfelsgasse:
750 m2
- Fassadenfläche Hof 3: 2.200 m2 Fassadenfläche Durchfahrtsbereich Feststiege 1: 450 m2 Fassadenfläche
Arkadenhof: 8.700 m2 Fassadenfläche Durchfahrtsbereich Feststiege 2: 450 m2 Fassadenfläche Hof 4: 2.200
m2 Fassadenfläche Eingangbereich Felderstraße: 750 m2
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