Bozen (lpa) - Die Stärken und Schwächen der Südtiroler Wirtschaft sowie die Positionierung
Südtirols gegenüber den anderen italienischen Regionen und den Partnern in der EU waren am 20.04. Gegenstand
der Pressekonferenz zur neuen Publikation "Südtiroler Wirtschaft 2010" des Landesstatistikinstituts
(ASTAT).
Alfred Aberer, Direktor des Landesstatistikinstituts (ASTAT) und Ludwig Castlunger, Vizedirektor des Landesamts
für Wirtschaftsstatistik, präsentierten die wichtigsten Strukturdaten zur Südtiroler Wirtschaft,
die in der neuen Publikation "Südtiroler Wirtschaft 2010" enthalten sind. "Ziel ist es, ein
Gesamtbild der lokalen Wirtschaftsstruktur zu geben und zwar nicht nur aus 'monetärer' Sicht, sondern auch
in Bezug auf 'nachhaltigen' Wohlstand", betonte Alfred Aberer. "Die Besonderheit dieser Veröffentlichung
ist die Verwendung aktueller und offizieller Quellen der amtlichen Statistik, die vollständige Darstellung
aller volkswirtschaftlichen Gesamtgrößen, die auf Landesebene berechnet wurden, sowie der Vergleich
der wirtschaftlichen Lage Südtirols mit den italienischen und europäischen Zahlen."
Aus diesem Grund gliedert sich die Studie in drei große Abschnitte: Den ersten Teil bildet der Vergleich
Südtirols mit der Europäischen Union und den Zielen der Lissabon-Strategie, den zweiten Teil der regionale
Vergleich innerhalb Italiens und den dritten die spezifische Situation Südtirols.
Südtirol im europäischen Vergleich
Die Positionierung Südtirols im Vergleich zur EU27 erfolgt mit den Indikatoren der Lissabon-Strategie. "Sie
ermöglichen es, die Stärken Südtirols, aber auch die Chancen, Gefahren und Schwächen aufzuzeigen",
so Aberer. Von Stärken spricht man, wenn der Indikator besser als der europäische Durchschnitt und zugleich
ansteigend ist. "Dazu zählt in Südtirol in erster Linie die Beschäftigung. Bereits im Jahr
2008 wurden in Südtirol die für 2010 gesteckten Ziele in Hinblick auf die Erwerbstätigkeit insgesamt
und die Erwerbstätigenquote der Frauen erreicht", führt der ASTAT-Direktor aus. "Ebenfalls
stark ist Südtirol bei den Unternehmensinvestitionen. Unterstützt werden die Südtiroler Unternehmer
hier von einem effizienten Finanzsystem und auch von der öffentlichen Hand, die Förderungen bereitstellt."
Die Chancen Südtirols - hier ist der Indikator unter dem europäischen Durchschnitt, aber ansteigend -
liegen hingegen in der Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen Erwerbstätigen sowie in der
Innovation und Forschung. "In diesen Bereichen kann sich Südtirol noch verbessern. Die Innovation und
Forschung wird konkret anhand zwei Indikatoren bewertet: dem Bildungsstand der Jugendlichen, wobei hier das Maturaniveau
herangezogen wurde und die Berufsausbildung, die in Südtirol eine wichtige Rolle spielt, nicht berücksichtigt
wurde; und den Bruttoinlandsausgaben in Forschung und Entwicklung, die in Südtirol bei weniger als einem Prozent
liegen, während auf europäischer Ebene drei Prozent angestrebt werden. Hier ist die Tendenz steigend,
wir liegen aber noch deutlich unter dem EU-Schnitt", erläutert ASTAT-Direktor Aberer.
Gefahren - der Indikator liegt über dem europäischen Durchschnitt, ist aber rückläufig - sind
laut Wirtschaftsbericht des ASTAT in den Bereichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf, Arbeitsproduktivität
je Erwerbstätigen, Armutsgefährdung, und Langzeitarbeitslosenquote zu orten. Unter die Schwächen
- der Indikator ist schlechter als der europäische Durchschnitt und rückläufig - fallen die "Emissionen
von Treibhausgasen", wobei das schlechte Abschneiden in diesem Punkt auf die Autobahn zurückzuführen
sei, so Aberer.
Regionaler Vergleich innerhalb Italiens
Auf regionaler Ebene ist Südtirol Spitzenreiter in Italien beim Bruttoinlandsprodukt (BIP): Das gilt sowohl
für das BIP pro Kopf (knapp 35.000 Euro) als auch für das BIP pro Vollzeitäquivalent (knapp 65.000
Euro). Einziger Wermutstropfen ist die Inflation, die sich auf lokaler Ebene stärker als auf gesamtstaatlicher
Ebene auswirkte.
Auch über die Analyse des materiellen Wohlstands hinaus liegt Südtirol im Vergleich zu den anderen italienischen
Regionen über dem Durchschnitt. Die Indikatoren "Lebensqualität" und "Zufriedenheit der
Bürger" belegen die hohen Südtiroler Standards. Südtirol ist Spitzenreiter bei der Lebenserwartung,
die vor allem bei den Frauen sehr hoch ist. Die Höhe der Bankeinlagen liegt über dem gesamtstaatlichen
Durchschnitt und die sportliche Betätigung ist in Südtirol im gesamtstaatlichen Vergleich am höchsten.
Einzig bei den Pkws - 520 Pkws auf 1.000 Einwohner, d. h. jeder zweite Südtiroler besitzt einen Pkw - liegt
Südtirol weit hinten. "Mehr als zwei von drei Personen sind mit ihren Lebensbedingungen und ihrer wirtschaftlichen
Lage zufrieden. Keine andere Region in Italien weist einen besseren Wert auf", unterstreicht Alfred Aberer.
Ludwig Castlunger, Vizedirektor des Landesamts für Wirtschaftsstatistik, präsentierte einige vertiefende
Thematiken. So ist die Inflation zur Zeit ein stark diskutiertes Thema, weil sie die Kaufkraft der privaten Haushalte
mindert und Investitionen bremst. "Ein Vergleich auf regionaler Ebene zeigt, dass das Niveau der Verbraucherpreise
in Norditalien ungleich höher als im Süden ist. Die Gemeinde Bozen ist mit einem Gesamtindex von 105,6
die teuerste Stadt Italiens", so Castlunger. Vor allem erreicht Bozen Höchstwerte in den Bereichen Lebensmittel,
Getränke und Tabakwaren (+8 Prozent) sowie Sonstige Waren und Dienstleistungen (+11,2 Prozent). Demgegenüber
stehe aber die hohe Lebensqualität in Südtirol.
Im Bereich der Unternehmen untersucht die ASTAT-Publikation die wichtigsten Wirtschaftskennzahlen. Sie spiegeln
die Realität der Südtiroler Wirtschaft wieder, die von einem großen Anteil an Kleinbetrieben gekennzeichnet
ist. Beim Umsatz je Beschäftigten (164.000 Euro) positioniert sich Südtirol unter dem gesamtstaatlichen
Durchschnitt (180.000 Euro), bei der Wertschöpfung je Beschäftigten, also der Produktivität, hingegen
liegt es darüber (46.000 Euro im Vergleich zu 41.000 im Italien-Schnitt). Der Personalaufwand je Beschäftigten
ist in Südtirol höher als auf gesamtstaatlicher Ebene, bei der Investitionsrate je 1.000 Euro Umsatz
liegt Südtirol knapp hinter dem Trentino, aber über dem italienischen Schnitt. Bei der Kosteneffizienz,
d.h. der Wettbewerbsfähigkeit der Produktionsprozesse, schließlich platziert sich Südtirol ebenfalls
über dem gesamtitalienischen Durchschnittswert, erzielt aber im EU-Vergleich aufgrund der hohen Sozialaufwendungen
in Italien ein nicht so gutes Ergebnis.
Eine nähere Betrachtung erfahren auch die Bereiche Forschung und Innovation sowie Internationalisierung der
Unternehmen: "Trotz steigender Tendenz verzeichnet Südtirol bei der Innovation Werte unter dem gesamtstaatlichen
und dem EU-Durchschnitt", erläutert Ludwig Castlunger. "Rund ein Viertel der Südtiroler Klein-
und Mittelunternehmen können als Innovatoren eingestuft werden, fünf Prozent weniger als auf gesamtstaatlicher
Ebene." Die Anzahl der angemeldeten Patente entspricht in etwa dem gesamtstaatlichen Durchschnitt.
Auch bei der Internationalisierung haben die Südtiroler Unternehmen noch Aufholbedarf. Der allgemeine Index
zur Exportfähigkeit und jener zur Exportfähigkeit der Produkte mit hoher Produktivität liegen unter
dem gesamtstaatlichen Durchschnitt. "Dies kann zum Teil damit erklärt werden, dass die Indikatoren den
Handelsaustausch mit dem lokalen BIP in Beziehung setzen und dass sich das Südtiroler BIP durch einige Produktionstätigkeiten
auszeichnet, die nicht exportiert werden können. Hier sind der sehr hohe Anteil des Tourismus und der öffentlichen
Verwaltung an der Wertschöpfung zu nennen", ergänzt Castlunger. Insgesamt tätigen von 40.000
Unternehmen in Südtirol nur rund 2.000 Unternehmen Exporte ins Ausland. Unter diesen liegen die Hälfte
der Exporte in der Hand einiger weniger Unternehmen: Für 50 Prozent der gesamten Südtiroler Ausfuhren
sind nur 26 Unternehmen (1,4 Prozent der Exporteure) verantwortlich.
Die Südtiroler Konjunktur
Der Strukturbericht "Südtiroler Wirtschaft 2010" enthält auch eine Prognose über das Wachstum
des Südtiroler BIP. "Dieses dürfte zwischen den Werten Italiens, 1,1 Prozent, und Deutschlands,
2,2 Prozent, liegen", erklärt ASTAT-Direktor Alfred Aberer. Den Schätzungen zufolge könnte
das heimische BIP 2011 genauso wie das österreichische um 1,7 Prozent steigen. "Wir sind für dieses
Jahr noch optimistisch, sehen aber aufgrund der Preissteigerungen auf den Rohstoffmärkten und der Staatsverschuldung
eine Verschlechterung der Situation im Jahr 2012 auf uns zukommen", so Aberer. |