Linz (lk) - Der Gesetzesantrag des Österreichischen Bundesrates zum Lissabonvertrag und dessen Umsetzung
sind die Basis, um eine Neupositionierung des Bundesrates als starke Stimme realisieren zu können. Es ist
unbedingt erforderlich, dass die Bundesländer auf den europäischen Rechtsetzungsprozess Einfluss nehmen
und bei der Gesetzgebung mitreden können. Das ist laut Lissabonvertrag aber nicht direkt möglich, sondern
nur über den Bundesrat, in der Praxis über den EU-Ausschuss des Bundesrates.
Alle EU-Dokumente gehen an Nationalrat und Bundesrat, wo sie auf Ländertauglichkeit und mögliche Konsequenzen
auf die jeweiligen Regionen geprüft werden. Darunter sind auch viele nicht relevante Dokumente - die relevanten
Entwürfe werden im EU-Ausschuss des Bundesrates jedoch genauestens untersucht.
Die Fischfangquoten für die Ostsee oder die Agrarförderung für die Ägäischen Inseln
sind für Österreich eher uninteressant. Die Richtlinien für Organtransplantationen oder die Medikamentensicherheit
- beispielsweise für Angebote aus dem Internet - sind sehr wohl von Bedeutung für unser Land.
"Wir können dem Bürger gegenüber sagen, dass wir uns mit diesen Vorlagen beschäftigt
haben", erklärt Bundesratspräsident Gottfried Kneifel. "Wir haben uns beraten, wir haben Experten
beigezogen - und wir haben das für gut befunden oder wir haben das gerügt oder wir werden deswegen klagen.
Das ist doch ein wesentlicher Fortschritt, und das hat mit intensiver Beschäftigung zu tun. Und dafür
sind wir ja da, dafür werden wir auch bezahlt, dazu werden wir als Mandatare von den Bürgern beauftragt!"
Diese Europakonferenz soll zu einer institutionalisierten Schnittstelle zwischen dem Bundesrat und den Ländern
werden, weil der Kontakt dringend nötig ist, um für die Länder in vielen wichtigen Fragen bei der
Europäischen Kommission erfolgreich vorstellig werden zu können. Kneifel: "Ich kann mir vorstellen,
dass sich die heutige Konferenz zu einer regelmäßigen Zusammenkunft des Bundesrates mit den Landtagen
entwickelt, wobei wir bereits vorausschauend gemäß den Arbeitsprogrammen der Europäischen Union
für die einzelnen Ressorts mit den Bundesländern Kontakt aufnehmen werden, um diese Arbeit in enger Verbindung
mit den EU-Ausschüssen der Bundesländer und den Landtagspräsidien noch besser bewerkstelligen zu
können."
Bundesrat hat starke Mitwirkungsrechte auf europäischer Ebene
Mit dem Inkrafttreten der Lissabon-Begleitnovelle am 1. August 2010 wurden die neuen Mitspracherechte, die der
Vertrag von Lissabon den nationalen Parlamenten in Angelegenheiten der Europäischen Union eingeräumt
hat, in der österreichischen Bundesverfassung verankert. Außerdem wurden wichtige bestehende Mitwirkungsrechte
des Bundesrates neu formuliert und verstärkt. Neu in die Bundesverfassung aufgenommen wurden insbesondere
die Instrumente der "Subsidiaritätsrüge" und der "Subsidiaritätsklage".
Der Bundesrat hat demnach künftig die Möglichkeit, Gesetzgebungsinitiativen der Euro-päischen
Kommission innerhalb einer Frist von acht Wochen zu beeinspruchen, wenn diese in die Rechte der Mitgliedstaaten
eingreifen. Wenn eine bestimmte Anzahl der Stim-men aller nationalen Parlamente einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip
feststellt, kann der Erlass des betreffenden Rechtsaktes endgültig verhindert werden. Der Vertrag von Lissabon
sieht in diesem Zusammenhang vor, dass es den jeweiligen nationalen Parlamenten obliegt, die Regionalparlamente
zu konsultieren. Um den Anliegen der Bun-desländer Rechnung zu tragen, wurde demgemäß eine Verpflichtung
des Bundesrates in die Bundesverfassung aufgenommen, die Landtage unverzüglich über alle EU-Gesetz-gebungsinitiativen
zu informieren, alle eingelangten Stellungnahmen der Landtage in Erwägung zu ziehen sowie diese über
beschlossene Subsidiaritätsrügen zu unterrichten.
Darüber hinaus kann der Bundesrat künftig gegen einen bereits erlassenen Gesetzgebungsakt innerhalb
von zwei Monaten Klage beim Europäischen Gerichtshof wegen Verletzung des Subsidiaritätsprinzips erheben.
Für eine solche Subsidiaritätsklage ist die einfache Stimmenmehrheit im Plenum ausreichend.
Als sehr vielseitig einsetzbares Instrument wurde mit der Lissabon-Begleitnovelle die Möglichkeit für
den Bundesrat geschaffen, Mitteilungen direkt an EU-Organe zu richten. Bisher war dies nur über Umwege über
die Bundesregierung möglich. Der wesentliche Zweck dieser Mitteilungen besteht darin, den Institutionen der
EU (insbesondere der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat) Standpunkte des
Bundesrates zu konkreten EU-Vorhaben näherzubringen.
Bei beabsichtigten Änderungen der EU-Verträge gilt grundsätzlich, dass diese mit Zweidrittelmehrheit
im Bundesrat genehmigt werden müssen, um in Kraft treten zu können. Dies gilt beispielsweise auch für
die Einführung neuer Steuern zur Finanzierung der Europäischen Union.
Die neuen Mitwirkungsrechte des Vertrags von Lissabon haben zusammen mit der Lissabon-Begleitnovelle zur Bundesverfassung
eine weitgehende Gleichstellung des Bundesrates und des Nationalrates im Bereich der europäischen Gesetzgebung
bewirkt. Der Bundesrat kann nun auf gleichem Niveau, aber vor allem unabhängig vom Nationalrat, seine spezifischen
Interessen wahrnehmen und sich in den Legislativprozess einbringen. Für den Bundesrat bedeutet diese Novelle
somit eine enorme Aufwertung, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die Praxis zeigt bereits, dass
sich der Bundesrat dieser Verantwortung bewusst ist und von seinen neuen Rechten regen Gebrauch macht.
Bundesrat lebt den Vertrag von Lissabon
Seit Inkrafttreten der Lissabon-Begleitnovelle am 1. 8. 2010 hat der EU-Ausschuss des Bundesrates bereits rege
von den neuen ihm zur Verfügung stehenden Instrumenten der begründeten Stellungnahme und der Mitteilung
Gebrauch gemacht.
Eine begründete Stellungnahme kann vom EU-Ausschuss im Rahmen des Subsidiaritätsprüfungsverfahrens
beschlossen werden, wenn er zur Ansicht gelangt, dass ein Vorschlag für einen europäischen Gesetzgebungsakt
gegen das Subsidiaritätsprinzip verstößt. Dies war etwa am 5. Oktober 2010 der Fall, als der EU-Ausschuss
in seiner Sitzung über den Richtlinienvorschlag der Kommission betreffend die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen
von Saisonarbeitnehmer/innen aus Drittstaaten beriet. Obwohl die im Subsidiaritätsverfahren erforderlichen
Schwellenwerte innerhalb der Acht-Wochen-Frist nicht erreicht werden konnten, löste dieser Vorschlag mit 17
Beiträgen - negativen wie auch positiven - die bisher größte Resonanz nationaler Parlamente aus.
Das Instrument der Mitteilung wurde ebenfalls mit der Lissabon-Begleitnovelle neu eingeführt und ist -
im Unterschied zur begründeten Stellungnahme - sehr vielseitig einsetzbar. Der wesentliche Zweck der Mitteilung
besteht darin, den Institutionen der EU Standpunkte des EU-Ausschusses - also des Bundesrates - zu einem konkreten
EU-Vorhaben näherzubringen. Dies kann sich auf die ausdrückliche Begrüßung und Unterstützung
eines Vorschlags beschränken. Die Mitteilung kann aber auch dazu verwendet werden, um inhaltliche Bedenken,
die sich nicht auf den Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip beziehen, zu artikulieren. So konnte
der EU-Ausschuss etwa die Initiative einer Gruppe von Mitgliedstaaten - darunter Österreich - zur Einführung
einer grenzübergreifenden Verfolgung von Straftaten zwar begrüßen, gleichzeitig aber auch betonen,
dass es von grundlegender Bedeutung sei, Betroffene vor unverhältnismäßigen oder rechtsstaatlich
bedenklichen Eingriffen in ihre Grundrechte zu schützen.
Föderalismus aus der Sicht Oberösterreichs
Diese Europakonferenz auf Initiative des Bunderates im Linzer Landhaus ist eine Premiere: Erstmals kommen am Europatag
die Vertreter aller Länder zusammen, um gemeinsam die Regionen innerhalb Europas zu stärken. Ich danke
Gottfried Kneifel als Präsident des Bundesrates für die Realisierung dieser Tagung, bei der es um die
Wahrung der Länderinteressen geht.
Der Föderalismus ist für uns alle von Bedeutung und die föderalen Aspekte Europas müssen
auch zum Tragen kommen. Da ist der Bundesrat als Verbindungselement zwischen Bundesländern und Europa besonders
wichtig. Denn nur der Bundesrat kann als verlängerter Arm der Länder den jeweiligen EU-Entwürfen
gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten die Gelbe oder die Rote Karte zeigen und somit länderkonforme Beschlüsse
notfalls sogar erzwingen.
Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer will in seiner Zeit als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz
ganz bewusst den "Föderalismus" ins Rampenlicht stellen und dessen Bedeutung für das Bundesland
Oberösterreich hervorheben: "Die Länder tragen Verantwortung für das Staatsganze und sind auch
bereit, diese zu übernehmen. Sie wollen aktiver Reformpartner sein und ihre Stärken in die Weiterentwicklung
unseres Bundesstaates einbringen. Föderativ strukturierte Bundesstaaten haben besondere Potenziale. Diese
Potenziale müssen wir nutzen. Das muss Ziel der Aufgaben- und Bundesstaatsreform sein."
Pühringer betonte daher auch in seiner Antrittsrede Anfang des Jahres vor dem österreichischen Bundesrat
im Parlament: "Die Länder sind eigenständige Mitglieder des Bundesstaates. Sie sind keine nachgeordneten
Organe des Bundes. Bund und Länder haben daher auf Augenhöhe aber auch mit Augenmaß miteinander
umzugehen. Kantönligeist und Kleinstaaterei lehnen die Länder bewusst ab."
Anlässlich des jüngsten Festaktes "150 Jahre frei gewählter OÖ Landtag" sagte
der Landeshauptmann: "Vor allem wirtschaftlich hat uns der Föderalismus gut getan. Die Länder haben
durch ihre eigene Regionalpolitik und durch den Wettbewerb untereinander dafür gesorgt, dass strukturell benachteiligte
Gebiete lebenswert geblieben sind. Wäre Österreich ein zentralistischer Staat, hätte Wien heute
wahrscheinlich drei Millionen Einwohner und Regionen wie das Mühlviertel wären entvölkert. Das ist
nicht passiert, weil die Länder jene Potenziale genutzt haben, die uns ein föderativ strukturierter Bundesstaat
gegeben hat."
Oberösterreich profitiert vom Föderalismus
Der Auftakt für föderative Entwicklung war das von Kaiser Franz Josef erlassene sogenannte Februar-Patent
des Jahres 1861, das erste föderale Elemente enthielt. Dazu gehörte auch ein erstmals gewählter
Landtag. Dieses Papier ist die Geburtsurkunde des Landtags, denn damit trat die Februarverfassung für Österreich
in Kraft, welche die Landtage als regionale Organe der repräsentativen Demokratie einrichteten.
Bei den ersten Landtagswahlen zwischen 18. und 23. März 1861 waren nur 39.000 von 725.000 Oberösterreichern
wahlberechtigt, denn das Kurienwahlrecht war an hohe Steuerleistungen gebunden. Der erste Landtag konstituierte
sich am 6. April aus zehn Vertretern der Großgrundbesitzer, 17 der Städte, 19 Abgeordnete kamen aus
Landgemeinden und drei aus der Handelskammer. Außerdem war noch der damalige Linzer Bischof Rudigier dabei,
dem dieses Mandat des Amtes wegen zustand. Eine der ersten Aufgaben war die Wahl von Abt Dominik Lebschy zum Landeshauptmann
ob der Enns.
"1861 haben der Länderparlamentarismus und die Entwicklung zum Verfassungsstaat begonnen", erinnert
Landtagspräsident Friedrich Bernhofer. "Der Landtag ist seit 150 Jahren das Rückgrat der Demokratie.
Landtage bedeuten Identität, Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein der Länder in der Demokratie.
Föderalismus ist kein teurer Luxus, sondern Garant für das Überleben der Regionen."
Föderalismus ermöglicht und sichert vieles, so zum Beispiel:
- die Erhaltung überschaubarer und bürgernaher Einheiten
- die optimale Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger
- ein hohes ehrenamtliches Engagement
- erfolgreiche Politik für den ländlichen Raum
- Vielfalt und Flexibilität auf allen Ebenen
"Es gibt also viele gute Gründe, für den Föderalismus einzutreten und die Dinge auch in Zukunft
in Oberösterreich zu regeln, die wir selbst am Besten regeln können", so Bernhofer.
64 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind für den Föderalismus
Eine aktuelle IMAS-Studie untermauert für Landeshauptmann Pühringer und Landtagspräsident Bernhofer
die hohe Akzeptanz föderalistischer Strukturen bei den Oberösterreicherinnen und Oberösterreichern.
So treten immerhin 64 Prozent der Befragten dafür ein, dass die Länder ihre Probleme selbst regeln. Nur
12 Prozent sind dafür, dass Problemlösungen zum Bund verlagert werden.
Oberösterreicher/innen gegen Reduzierung der Bundesländer
Abgeprallt am öffentlichen Bewusstsein ist die Meinung, die Funktion von Landeshauptleuten sollte
abgeschafft werden. Lediglich sieben Prozent der Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher sprechen
sich dafür aus. Am allerwenigsten befürwortet wird (mit gar nur vier Prozent der Nennungen) die Idee,
die Gliederung Österreichs von neun auf drei Bundesländer zu verkürzen.
Kenntnis vom Bundesrat
Laut dieser Studie ist das Wissen über die Länderkammer um eine Spur besser als jenes für
den Begriff Föderalismus. 11 Prozent der oberösterreichischen Bevölkerung bescheinigen sich eine
genaue und 35 Prozent eine ungefähre Kenntnis über den Bundesrat.
Demokratie + Bürgernähe = Föderalismus
Der Föderalismus hat sich, wenn man die positive Entwicklung Österreichs seit 1945 betrachtet,
bestens bewährt. Er hat nur den einen großen Nachteil, dass sich viele Menschen unter diesem schwierigen
Wort nichts oder nur wenig vorstellen können. Ein Trendvergleich zu einer IMAS-Studie aus 1980 zeigt, dass
sich das Wissen über die Länderkammer auch über eine Zeitspanne von 30 Jahren kaum verbessert hat.
Eine Diskussion über Föderalismus und Zentralismus bedarf also einfacher und griffiger Erklärungen.
Kurz und bündig könnte die Definition des Wortes zum Beispiel lauten: Demokratie + Bürgernähe
= Föderalismus.
"Es gibt also viele gute Gründe, für den Föderalismus einzutreten und die Dinge auch in Zukunft
in Oberösterreich zu regeln, die wir selbst am Besten regeln können. Und das ist einiges, immerhin so
viel, dass unser Landesbudget den beachtlichen Rahmen von rund 4,6 Milliarden Euro umfasst", so Bernhofer.
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