Parlamentarische Enquete zum Thema Ethikunterricht  

erstellt am
05. 05. 11

Was können und sollen Religions- und Ethikunterricht leisten?
Wien (pk) - "Werteerziehung durch Religions- und Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft" war am 04.05. Thema einer Parlamentarischen Enquete, in der nicht nur Unterrichtsministerin Claudia Schmied und Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle ihre Standpunkte darlegten, sondern zu der auch zahlreiche ExpertInnen, darunter Univ.-Prof. Anton Bucher aus Salzburg, der Philosoph Univ.-Prof. Konrad Paul Liessmann sowie der Theologe Emer. Univ.-Prof. Paul Michael Zulehner eingeladen waren.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, die auch den Vorsitz bei der Enquete führte, unterstrich im Rahmen ihrer Begrüßung, wie wichtig es ihr sei, Themen, wie sie heute zur Diskussion stehen, in grundsätzlicher Art und Weise mit ExpertInnen zu erörtern. Ihr sei darüber hinaus die Öffentlichkeit solcher Debatten ein persönliches Anliegen, weshalb das Protokoll im Internet veröffentlicht werde. Nach einem einstimmigen Beschluss der anwesenden Nationalratsabgeordneten wird das Stenographische Protokoll der Enquete auch ein Verhandlungsgegenstand im Nationalrat sein.

Zunächst kamen Unterrichtsministerin Claudia Schmied und Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle zu Wort.

Schmied: Verbindende Werte der Gesellschaft vermitteln und vorleben
Bundesministerin Claudia Schmied erinnerte daran, dass seit dem Schuljahr 1997/98 Schulversuche im Fach Ethik durchgeführt werden. In diesem Jahr nehmen etwa 15.000 Schülerinnen und Schüler an rund 200 Standorten in Österreich daran teil. Die Bedeutung der Ethik sah die Ministerin darin, dass es für junge Menschen in einer Gesellschaft, die mitunter zu einseitig und bedingungslos auf Wettbewerb und Konkurrenz setzt, zunehmend schwieriger wird, die Bedeutung von Kooperation, sozialem Handeln und Solidarität zu verstehen. Hier müsse die Bildungspolitik gegensteuern, damit man nicht den Zusammenhalt und den sozialen Frieden der Gesellschaft aufs Spiel setzt.

Schmied stellte die Frage in den Raum, ob Ethik ein Ersatzfach für den Religionsunterricht werden könne oder ein eigener für alle SchülerInnen verbindlicher Gegenstand. Ethik könne auch als eine Querschnittsmaterie betrachtet werden, die in vielen Fächern zu erarbeiten sei. Jedenfalls sei es geboten, sorgfältig und präzise jene Werte zu definieren, die mit Ethik vermittelt werden sollen. Die Ministerin zitierte Albert Einstein, der Ethik als ein "ausschließlich menschliches Unterfangen" definiert hat, "hinter dem keine übermenschliche Autorität steht". Sie verwies auch auf die Charta der Grundrechte der EU und auf die Europäische Menschenrechtskonvention, woraus sich ableiten lasse, dass man auf weltliche Art und Weise an die Grundwerte herangehen sollte, ohne damit die anerkannten Religionen in Frage zu stellen. An den Schulen habe man die Verantwortung jedes Einzelnen nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gemeinschaft zu erklären, konstatierte Schmied. Es müsse auch die persönliche Identität jedes Einzelnen gestärkt werden, denn das sei die Voraussetzung für einen angstfreien Diskurs in multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften. "Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und Anteilnahme ist eine Art Immunität gegen das Unmenschliche und gegen Fundamentalismen", sagte Schmied. Die Aufgabe in Politik und Verwaltung bestehe nun darin, die verbindenden Werte der Gesellschaft zu vermitteln und auch vorzuleben.

Was nun die heutige Fragestellung betreffe, so sind laut Schmied folgende Punkte zu diskutieren: Was darf der weltanschaulich neutrale Staat an Werthaltungen vorgeben? Welchen Beitrag zum Gemeinwohl und damit zum interkulturellen Zusammenleben, zum interreligiösen Dialog und zu den demokratischen Grundprinzipien der Gesellschaft kann der Religionsunterricht heute in einer pluralistischen Gesellschaft leisten? Inwieweit können andere Fächer Fragen unter verschiedenen ethischen Gesichtspunkten behandeln?

Töchterle: Kein Gegensatz zwischen Ethik und christlicher Religion
Der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, Karlheinz Töchterle, zitierte eingangs einen Briefwechsel zwischen dem Apostel Paulus und dem römischen Philosophen Seneca über philosophisch-ethische Fragen. Dieser sei zwar gefälscht, aber treffend gefälscht, bemerkte Töchterle. Er repräsentiere nämlich etwas für ihn ganz Wichtiges, und zwar die enge Verbindung der christlichen Religion mit der antiken Ethik. Das ethische System hätte das Christentum aus der Antike gelernt, viele zentrale ethische Forderungen der christlichen Religion seien aus der Antike entstanden, wie etwa die Tugendlehre aus der Stoa und der Dualismus mit seiner Leibfeindlichkeit. Dieser Befund zeige, dass es keinen wirklichen Gegensatz zwischen Ethik und christlicher Religion gibt. Man sollte daher auch in der aktuellen Situation ein "kluges, ergänzendes Miteinander" sehen, sagte der Minister.

Wenn jemand religiöse Unterweisung nicht zu brauchen meint, so sei es richtig, einen Ersatz zu wählen, meinte Töchterle, und das könne ein guter Ethikunterricht leisten. In dieser sinnvollen Ergänzung könnten beide Fächer agieren und zu einer Erziehung in einer Gemeinschaft beitragen, in der es Werte gibt, in der Werte gelebt werden und in der ein Wertesystem vorhanden ist, für das man sich entscheidet und für das man sich dann auch einsetzt.

 

Ethikunterricht als Pflichtfach für alle oder Ersatzunterricht?
Die Sicht der Pädagogik, Philosophie und Theologie
Wien (pk) - Die Parlamentarische Enquete zum Thema Religions-und Ethikunterricht wurde mit Impulsreferaten von den Universitätsprofessoren Anton Bucher, Konrad Paul Liessmann und Paul Michael Zulehner fortgesetzt.

Bucher: Ethikunterricht ist kein Ersatz für den Religionsunterricht

Universitätsprofessor Anton Bucher berichtete in seinem Referat über "Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus den Schulversuchen auf der Basis der offiziellen Evaluation im Auftrag des BMUKK".

Die Kirche sei früher dem Ethikunterricht äußerst skeptisch gegenüber gestanden, sagt er, der Staat habe aber in den 90er Jahren sehr wohl die Notwendigkeit ethischer Bildung gesehen, diese aber an die Kirche delegiert. Aufgrund des Engagements von LehrerInnen hätten dann die ersten Schulversuche mit dem Unterrichtsjahr 1997/98 begonnen.

"Der Ethikunterricht hat sich gut bewährt", fasste Bucher die bisherigen Erfahrungen zusammen. Die SchülerInnen geben ihm zufolge dem Unterricht die Zensur 2,2 und beteuerten zum Großteil, dass der Ethikunterricht wesentlich zur Bildung beitrage, die Kenntnis der Weltreligionen vertiefe und zu eigenständigem Urteil ermuntere. Die begleitenden Studien hätten auch ergeben, dass nach einem Jahr zusätzlichem Ethikunterricht ausländerfeindliche Stereotypen ebenso zurückgegangen sind wie das relativistische Lebensgefühl, es sei ohnehin alles egal. Auch die ökologische Handlungsbereitschaft sei gestiegen so wie die Toleranz innerhalb von Gruppen mit unterschiedlichen Religionen.

Der Experte empfahl daher, den Ethikunterricht in allen Staaten der EU ins Regelschulwesen zu überführen. Seiner Meinung nach müsse die Bezeichnung "Ersatzfach" endgültig verschwinden, denn Ethikunterricht könne und wolle kein Ersatz für den Religionsunterricht sein. Vielmehr sollten Religions- und Ethikunterricht als alternative Pflichtgegenstände eingerichtet werden, forderte Bucher. Als eine angemessene Bezeichnung sieht er dafür "Ethik und Religionskunde", da man damit deutlich mache, dass auch im Ethikunterricht das Thema "Religionen" zur Sprache komme. Eine unabdingbare Voraussetzung für einen gelungenen Ethikunterricht ist laut Bucher eine gediegene Ausbildung der EthiklehrerInnen. Die Absolvierung von wenigen Seminaren sei zu wenig.

Der Experte berichtete auch, dass der moderne Religionsunterricht auf eine erstaunlich gute Resonanz stößt. Hier würde es um Mündigkeit und Toleranz, nicht aber um Indoktrination gehen. Dies ziehe selbstverständlich auch innerkirchliche Kritik nach sich, fügte er hinzu. Seiner Meinung nach sollten ReligionslehrerInnen auch mit Ethikunterricht betraut werden können, seine persönliche Vision ist die mittelfristige Einrichtung eines verpflichtenden Ethikunterrichts und Religionsunterrichts in der Sekundarstufe. An den öffentlichen Schulen muss die ethische Bildung aller Kinder und Jugendlicher Vorrang haben, so das abschließende Postulat von Anton Bucher.

Liessmann: Ethikunterricht vom Religionsunterricht entkoppeln
Universitätsprofessor Konrad Paul Liessmann wandte sich dann dem Thema "Ethikunterricht im Spannungsfeld zwischen Religionsersatz und säkularer Moral" zu. Die Einführung eines alternativen Ethikunterrichts als Ersatz für den nicht besuchten Religionsunterricht mag zwar pragmatische Gesichtspunkte haben, die Aufgaben, Möglichkeiten und Perspektiven eines sinnvollen Ethikunterrichts würden dadurch eher verzerrt und beschnitten, kritisierte Liessmann. "Ethikunterricht kann kein Ersatz für den Religionsunterricht sein, weil Ethik kein Ersatz für Religion ist", konstatierte er. Ethik sei nicht das, was von den Religionen überbleibt, wenn man Gott durchstreicht, und Religion sei ihrem Wesen nach keine Ethik für Menschen, die den Prozess der Aufklärung noch vor sich haben. Die Religion erspare den Mitgliedern einer modernen Gesellschaft nicht, sich mit den Fragen einer säkularen Moral auseinanderzusetzen, noch sei diese Moral eine Art Religionsersatz für Atheisten und Agnostiker.

Für Liessmann kann der Ethikunterricht nur dann gelingen, wenn man anerkennt, dass die Ethik Ausdrucks des Willens der Menschen ist, die Fragen ihres Zusammenlebens weder einem Gott noch einer Kirche zu überlassen, sondern ihrer eigenen Souveränität und Vernünftigkeit zu überantworten. Die Dringlichkeit des Ethikunterrichts stellt sich ihm zufolge aus zwei Gründen: In einer prinzipiell säkular ausgerichteten pluralistischen Gesellschaft gibt es kein tradiertes Werte- und Normensystem, das von allen relevanten Akteuren eines Erziehungs- und Bildungsprozesses fraglos vorausgesetzt und weitergegeben werden könnte. Eine säkulare Gesellschaft müsse sich deshalb auch über ihre geistigen Fundamente, ihre grundlegenden Werte und ihre normativen Vorgaben stets aufs Neue verständigen. Gerade weil keine Religion mehr eine allgemein verbindliche Autorität beanspruchen könne, seien mündige Menschen gefordert, die um die Möglichkeiten, aber auch um die Grenzen eines ethischen Diskurses Bescheid wissen und diesen mitgestalten können. "Ethikunterricht ist so eine demokratie-, ja staatspolitische Notwendigkeit", stellte Liessmann dezidiert fest.

Eine moderne und in hohem Maß von Migration und kultureller Vielfalt geprägte Gesellschaft benötige Grundlagen, Formen und Verfahren des Zusammenlebens, die für alle Mitglieder dieser Gesellschaft gelten können. Die Formulierung solcher Grundlagen könne nur eine säkulare Ethik liefern, die unterschiedlichen religiösen und nicht-religiösen Moralvorstellungen einen gemeinsamen Rahmen geben muss. Dass man dabei durchaus auch in Konflikt mit bestimmten religiös fundierten Werthaltungen und moralischen Praktiken geraten kann, sei selbstverständlich. In diesem Sinne ist Ethikunterricht auch eine gesellschafts- und kulturpolitische Notwendigkeit.

Der Bogen in der europäischen Diskussion zur Ethik lote nicht nur die Möglichkeiten einer vernünftigen Ethik aus, sondern auch die Grundlage der aktuellen ethischen Debatten im Bereich der Medizin, der Biopolitik, der Wirtschaft, der Technik und der Gesellschaft. Erste und wichtige Aufgabe eines jeden Ethikunterrichts müsse es deshalb sein, in genau dieses Denken, seine Argumentationsfiguren, seine Voraussetzungen und seine Konsequenzen kritisch und altersgerecht einzuführen. "Die Frage des Ethikunterrichts muss von der Frage des Religionsunterrichts prinzipiell entkoppelt werden", forderte Liessmann. Gerade für Angehörige von Religionen mit rigiden Moralansprüchen sei die Teilnahme an einem religionsneutralen Ethikunterricht von besonderer Wichtigkeit.

Ethik müsste ein für alle SchülerInnen verbindliches Pflichtfach zumindest in der Sekundarstufe II sein, drängte Liessmann. Der Ethikunterricht sei nichts, was von ReligionslehrerInnen oder LehrerInnen anderer Fächer nebenbei erledigt werden könne. Ethik sei keine Querschnittsmaterie, sondern eine umfassende Disziplin, in der Erkenntnisse der Sozial- und Naturwissenschaften ebenso Berücksichtigung finden müssen, wie Fragestellungen, die sich aus dem rasanten technologischen Fortschritt und der globalen Entwicklung ergeben. Liessmann hielt auch ein eigenes Studienfach Ethik für notwendig. Inhalte eines solchen Faches sollten neben den Grundlagen der philosophischen Ethiken auch Grundkenntnisse unterschiedlicher, auch religiös fundierter Moralvorstellungen und Normensysteme sein, die es erlauben, diese ohne ideologische oder konfessionelle Präferenz im Unterricht zur Sprache zu bringen.

Für Liessmann kann es nicht Aufgabe des Ethikunterrichts sein, bessere Menschen zu schaffen, oder bestimmte, oft auch vom Zeitgeist abhängige Wertvorstellungen zu indoktrinieren. Es könne auch nicht Aufgabe sein, eine "Wohlfühlatmosphäre mit Selbstverwirklichungsangeboten und Toleranzrhetorik" zu erzeugen. Aufgabe des Ethikunterrichts könne nur sein, kritisch in jene Denktraditionen und Lebensformen einzuführen, die die Basis unserer Gesellschaft darstellen. Er soll "junge Menschen intellektuell und emotional befähigen, die zunehmenden Debatten über Glücksvorstellungen und Gerechtigkeitskonzeptionen, über Freiheitspotentiale und Verantwortungserwartungen, über Grenzfragen des Lebens und des Todes, über den Umgang mit Unterschieden und Differenzen, über Werte und Wertveränderungen zu verfolgen, zu verstehen und in einer letztlich im Kriterium der Vernünftigkeit gehorchenden Weise zu gehorchen".

Zulehner. Ethikunterricht für jene, die Religionsunterricht abwählen
Universitätsprofessor Paul Michael Zulehner sprach zum Thema: "Religion und Ethik in der Schule einer pluralistischen Gesellschaft" und zitierte eingangs die österreichische Jugendwertestudie aus dem Jahr 2006. Demnach sind 68% der Jugendlichen der Ansicht, dass es Normen gebe, an die sie sich halten wollen. Dabei hätten diese Normen der Jugendlichen einen starken Realitätsbezug. 62% der Befragten wünschen demnach mehr ethischen Diskurs in der Gesellschaft und 57% mehr ethische Bildung in den Schulen.

Obwohl sich seit dem Jahr 1970 die Bedeutung des Religionsunterrichts von "sehr wichtig" zu "wichtig" verlagert hat, sehen es im Jahr 2010 immerhin noch 69% als eine wichtige Aufgabe der Kirche an, Religionsunterricht zu erteilen, und das sei nach wie vor eine Verfassungsmehrheit, unterstrich Zulehner. 66% halten es für wichtig, dass die Kinder in Österreich Religionsunterricht erhalten, um den christlichen Glauben kennen zu lernen. Die Qualität des Religionsunterrichts werde als "sehr gut" bewertet. Für immerhin 69% der Menschen in Österreich ist das Christentum ein Teil der Identität Europas, zitierte Zulehner und fügte gleichzeitig hinzu, dass diese kulturpolitische Forderung nicht an eine eigene religiöse Praxis oder ein kirchliches Commitment gebunden sei.

Die breite Wertschätzung für (sozial)ethische sowie für religiös-weltanschauliche Bildung stehen für Zulehner jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Sozialethische wie individualethische Bildung implizierten stets weltanschauliche Bildung, religiös-weltanschauliche Bildung habe daher immer auch sozialethische wie ethische Konsequenzen.

Die Entwicklung verlaufe nicht einbahnmäßig von der Religion zur Säkularität, stellte Zulehner fest, vielmehr ereigne sich eine "Verbuntung". Man müsse daher künftig von Religionen und von Säkularitäten sprechen, wolle man nicht einer nützlichen Ideologie aufsitzen. Die Bürgerinnen und Bürger eines Landes nähmen diese Verbuntung zwar wahr, sie hätten aber kaum Einblick in das, was Fremde glauben und leben. Das führe nicht selten zu einer durch blinde Stereotypen gesteuerten, Angst besetzten Abwehr. An die Stelle des Antisemitismus sei inzwischen eine sich ausweitende "Islamophobie" getreten, sagte Zulehner.

Daher komme den religiösen und (sozial)ethischen Fragen wachsende Bedeutung zu, wolle man den Frieden sichern. Es werde immer wichtiger, die "Anderen" in ihrer weltanschaulichen und ethischen Option kennen- und wertschätzen zu lernen, die Unterschiede wahrzunehmen und in einem friedfertigen Dialog einzuüben.

Einer demokratischen Gesellschaft könne es nicht gleichgültig sein, wenn unter den Jüngeren die Zahl jener steige, welche die lästig werdende Last der Freiheit wieder loswerden will. Der Anteil der Autoritären unter den Jungen sei seit der Mitte der 90er Jahre von 31% auf 53% gestiegen. Ebenso könne es einer modernen Gesellschaft nicht egal sein, ob die BürgerInnen für Fragen der Solidarität und Gerechtigkeit sensibel sind oder nicht.

Eine moderne Schule habe daher die Aufgabe, Bildung in religiösen und ethischen Fragen zu vermitteln, ja sie sei dazu verpflichtet. Die SchülerInnen sollten die verschiedenen Weltanschauungen konkret kennen lernen, sie sollen erfahren, wie diese Welt und Leben deuten und welche ethischen Implikationen solche Weltanschauungen haben. Dadurch sollen sie in die Lage versetzt werden, in Freiheit ihre eigene weltanschauliche und ethische Position zu überprüfen und zu erklären. Ein wichtiger Aspekt werde die ständige Spannung zwischen ethischem Ideal und der jeweils erreichbaren Praxis sein. Eine weltanschaulich religiös und ethisch pluralistische Gesellschaft könne nur dann friedlich bleiben, wenn es in der Bevölkerung ein höheres Maß an Pluralitätstoleranz gibt, als es derzeit der Fall sei, zeigte sich Zulehner überzeugt.

Bei der Erfüllung dieser Bildungsaufgaben könne der Staat mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften kooperieren und ihnen unter bestimmten Kriterien Bildung in religiösen und ethischen Belangen in den Schulen durch einen Religionsunterricht anvertrauen, welcher auch ethische Implikationen haben werde. Sobald aber Eltern und SchülerInnen den Religionsunterricht abwählen, stehe nach wie vor der Staat in der Pflicht, Bildung über religiöse und ethische Fragen in den Schulen zu sichern, hielt Zulehner fest. Die Schule könne sich in einer modernen Bildungsgesellschaft nicht um die schulische Bildung in religiösen und (individual- wie sozial-)ethischen Belangen herumdrücken.

Abschließend merkte Zulehner an, dass in einer solchen Entwicklung auch die christlichen Kirchen aufgefordert seien, deutlich zwischen kircheneigener religiös-ethischer Bildung und schulischer Bildung in religiös-ethischen Fragen zu unterscheiden.

 

Breite Zustimmung zur Einführung eines Ethikunterrichts
Parlamentarische Enquete wird mit Diskussion fortgesetzt
Wien (pk) - Nach den Impulsreferaten wurde die Parlamentarische Enquete zum Thema Werteerziehung durch Religions- und Ethikunterricht mit einer ersten Experten-Diskussionsrunde fortgesetzt. Das Panel dafür bildeten der Sozialwissenschaftler Kurt Greussing, die beiden Bildungsexperten Karl Heinz Auer und Martin Kühnl sowie die Lebens- und Sozialberaterin Maria Neuberger-Schmidt. Nicht nur sie wiesen auf die Notwendigkeit hin, in den Schulen gezielt Werte zu vermitteln, auch in der weiteren Diskussion stieß die Forderung nach Einführung eines Unterrichtsfachs "Ethik" auf breite Zustimmung. Allerdings waren sich die DiskussionsteilnehmerInnen uneinig, ob es einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle SchülerInnen geben solle oder nur für jene, die keinen Religionsunterricht besuchen. Auch die Finanzierungsfrage blieb unbeantwortet.

Auer: Ethikunterricht endlich ins Regelschulwesen überführen
Karl Heinz Auer, Professor an der Pädagogischen Hochschule Tirol, sprach sich dezidiert für die Einführung eines Ethikunterrichts aus und meinte, nach 14 Jahren Schulversuch sei es an der Zeit, das Unterrichtsfach im Regelschulwesen zu verankern. Die Schulen hätten die Aufgabe, Grundwerte wie Demokratie, Humanität, Gewaltfreiheit, Offenheit und Toleranz zu vermitteln. Dieser Bildungsauftrag gelte auch gegenüber jenen, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchten.

Auer wandte sich allerdings dagegen, für alle Schülerinnen und Schüler einen verpflichtenden Ethikunterricht einzuführen. Dies würde zu einer empfindlichen Schwächung des Religionsunterrichts und dessen Integrationskraft führen, warnte er. Schließlich vermittle nicht nur der Ethikunterricht, sondern auch der Religionsunterricht Werte und Orientierung und stelle den Menschen in den Mittelpunkt. Die weltanschauliche Neutralität des Staates schließe, so Auer, eine Kooperation mit den Religionsgemeinschaften nicht aus. Die gebotene Pluralität finde ihren Ausdruck in der Vielfalt der Religionsunterrichte.

Kühnl: Religionsunterricht und Ethikunterricht haben gleiche Ziele
Martin Kühnl, Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien, nahm zum Thema der Enquete aus Sicht eines Ethiklehrer-Ausbildners Stellung. Seiner Ansicht nach gibt es nur einen scheinbaren Widerspruch zwischen Religions- und Ethikunterricht. In den Schulen herrsche seiner Erfahrung nach eher ein "liebevoller Streit" über die beste Art und Weise, SchülerInnen Orientierung in Sinnfragen zu vermitteln, meinte er. Die "wahre Antithese" zum Ethikunterricht sei der "Konsumismus" und "die Haltung eines Achselzuckens in Wertefragen".

Als besonders wichtig wertete Kühnl die Lehrerauswahl für den Ethikunterricht. Er plädierte für den Einsatz erfahrener PädagogInnen. Was den Inhalt des Ethikunterrichts betrifft, ist man ihm zufolge mit den bestehenden Lehrplänen für die Schulversuche auf einem guten Weg.

Greussing: Offene Gesellschaft muss Werte immer wieder neu verhandeln
Auch der Sozialwissenschaftler Kurt Greussing sprach sich für die Einführung eines Ethikunterrichts an Schulen aus. In einer offenen Gesellschaft gebe es kein zentrales "Sinnreservoir", aus dem man sich anstandslos bedienen könne, meinte er. Deshalb sei es notwendig, verbindliche Werte, die die Gesellschaft zusammenhalten, immer wieder neu zu finden und auszuverhandeln. Gerade in einer multiethnisch, multikulturell und multireligiös verfassten Gesellschaft sei dies eine große Herausforderung. Ein allgemein verbindliches Pflichtfach in den Schulen könnte nach Meinung von Greussing ein zentraler Ort für Wertevermittlung sein.

Greussing wandte sich allerdings strikt dagegen, den Ethikunterricht als Ersatz bzw. als Konkurrenz zum Religionsunterricht zu konzipieren. Von einem "Religionen- und Weltanschauungsunterricht" erwartet er sich vielmehr einen soziologischen Blick auf die verschiedenen Glaubensrichtungen. Es solle nicht um Glaubensfragen, sondern um die Funktion von Religion gehen. Konfessionell gebundener Unterricht würde seiner Ansicht nach dazu tendieren, die eigene Religion in den Mittelpunkt zu stellen.

Neuberger-Schmidt: Ethik und Religion nicht gegeneinander ausspielen
Lebens- und Sozialberaterin Maria Neuberger-Schmidt, Gründerin und Obfrau des Vereins Elternwerkstatt, schilderte, ihr Anlass, sich mit dem Thema Ethikunterricht zu beschäftigen, sei die eigenhändige Abmeldung ihres Sohnes vom Religionsunterricht gewesen. Sie sieht eine große Übereinstimmung zwischen den ExpertInnen, was die Forderung nach Einführung eines Ethikunterrichts betrifft. Offen sei allerdings die Frage, ob er anstelle des Religionsunterrichts oder zusätzlich zum Religionsunterricht eingeführt werden solle. Es gebe viele Pros und Kontras, meinte sie.

Neuberger-Schmidt selbst trat dafür ein, die SchülerInnen wahlweise zu verpflichten, einen konfessionell gebundenen Unterricht oder einen Ethikunterricht zu besuchen. Der Religionsunterricht sei heute sehr weltoffen und pluralistisch, es gebe sehr positive Rückmeldungen, argumentierte sie. Ethik und Religion sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Als wichtige Aufgabe des Ethikunterrichts wertete Neuberger-Schmidt die theoretische Reflexion: es gehe darum zu erkennen, warum man in einer bestimmten Art handle und wie man denke.

Positive Erfahrungen mit Schulversuchen
Im Rahmen der allgemeinen Diskussion wies Dieter Braunstein auf die positiven Erfahrungen hin, die er als Schuldirektor mit dem vor 14 Jahren begonnen Schulversuch "Ethikunterricht" gemacht habe. Der in seiner Schule angebotene alternative Pflichtgegenstand werde von den SchülerInnen und den Eltern nicht nur akzeptiert, sondern auch eingefordert, bekräftigte er und wertete es in diesem Sinn als höchst an der Zeit, nach 14 Jahren Schulversuch das Pflichtfach Ethik flächendeckend einzuführen. Derzeit müsse jede einzelne Werteinheit für den Ethikunterricht durch Streichung anderer Unterrichtsangebote erkämpft werden, kritisierte Braunstein.

Universitätsprofessor Peter Kampits sprach sich ebenfalls ausdrücklich für die Einführung eines Ethikunterrichts aus. Budgetäre Probleme dürften dem nicht entgegenstehen, mahnte er. Gerade durch die Technisierung und die Verwissenschaftlichung des Lebens sei ein "ungeheurer Bedarf" an angewandter Ethik entstanden. Überdies sei eine zunehmende Bereitschaft von Jugendlichen zu aggressiver und grundloser Gewalt festzustellen. Der Argumentation Liessmanns könne er einiges abgewinnen, sagte Kampits, die Diskussion dürfe aber nicht in ein "Entweder-Oder" bzw. ein Gegeneinander zwischen Religion und Ethik ausarten.

Michael Jahn schloss sich den Ausführungen von Dieter Braunstein an und berichtete ebenfalls von positiven Erfahrungen in der Praxis mit dem Schulversuch Ethik. An seiner Schule habe man sich für eine gemeinsame Zeitschiene entschieden, die sehr gut funktioniere, skizzierte er. Konfessioneller Unterricht und Ethikunterricht finde in allen sechsten Klassen zur gleichen Zeit statt und werde zum Teil gemeinsam abgehalten. Die SchülerInnen lernten, zu argumentieren, zu tolerieren und einander Reibebaum zu sein.

FPÖ-Abgeordnete Anneliese Kitzmüller zeigte sich hingegen in Bezug auf die Einführung eines verpflichtenden Ethikunterricht skeptisch. Sie fürchtet, dass jene, die sich weiter für den Religionsunterricht entscheiden, benachteiligt würden. Der Religionsunterricht müsse weiter bestehen bleiben wie bisher, bekräftigte sie. Kitzmüller plädierte allerdings dafür, den Religionsunterricht zeitgemäßer zu gestalten.

Oberhummer drängt auf weltanschaulich neutralen Ethikunterricht
Der Physiker Heinz Oberhummer wandte sich strikt dagegen, konfessionsfreie ÖsterreicherInnen als BürgerInnen zweiter Klasse zu sehen. In diesem Sinn trat er für die Etablierung eines weltanschaulich neutralen Ethikunterrichts ein, der von allen besucht werden müsse und von ausgebildeten Philosophen unterrichtet werde. Ihm erschließe sich das Argument, dass nur jene, die sich vom konfessionellen Religionsunterricht abmelden, zum Ethikunterricht verpflichtet werden sollen, nicht, sagte er. Oberhummer kritisierte auch die Einladung von zahlreichen Vertretern der Religionsgemeinschaften zur heutigen Enquete.

Karl Schiefmair trat als Vertreter der evangelischen Kirche für die flächendeckende Einführung des Ethikunterrichts in der Sekundarstufe II ein. Die evangelische Kirche befürchte zwar, dass ein solcher Schritt auf eine Schwächung des konfessionellen Religionsunterricht hinauslaufe, sagte er, es sei aber notwendig, SchülerInnen, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben, Werte zu vermitteln. Zu den Einleitungsreferaten merkte Schiefmair an, der Ethikbegriff eines Albert Schweitzer habe nichts mit dem Ethikbegriff von Konrad Paul Liessmann zu tun.

Bildungsexpertin Anita Kitzberger hielt fest, die Realität einer pluralistischen Gesellschaft sei längst an den Schulen angekommen. Viele SchülerInnen würden nicht am Religionsunterricht teilnehmen, konstatierte sie, es solle aber für alle SchülerInnen die Möglichkeit geben, sich mit relevanten Dingen des Lebens zu beschäftigen. Damit der Ethikunterricht nicht "zu einem Schauplatz ideologischer Kämpfe wird", plädierte Kitzberger für ein eigenes Studium an den Universitäten mit einem eigenen Curriculum.

Friesl: Ethikunterricht darf keine Moral- und Sittenlehre sein
Seitens der Industriellenvereinigung sprach sich Universitätsprofessor Christian Friesl für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle jene aus, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen. Der Bedarf an Wertebildung und ethischer Bildung sei groß, bekräftigte er. Ethikunterricht dürfe aber keine Morallehre und keine Sittenlehre sein. Friesl plädierte gleichzeitig dafür, Religionsunterricht als Vermittler von Ethik zu respektieren und das in den Lehrplänen entsprechend zu berücksichtigen.

Abgeordneter Andreas Karlsböck (F) hob die Bedeutung des Religionsunterrichts für die Vermittlung von Werten hervor und meinte, der Glaube sei immer noch ein sehr starkes Element in der österreichischen Gesellschaft, auch wenn die Zahl der Christen rückläufig sei. Ihm zufolge sind es die konstanten Werte, die die Menschen "groß gemacht" haben. Durch die Vermittlung einer Vielfalt von Wertevorstellungen in einem Ethikunterricht droht Karlsböck zufolge dem gegenüber Beliebigkeit. Alles sei gleich gut, alles sei gleich gültig, letztlich sei dann vielleicht alles gleichgültig, warnte er.

Abgeordnete Alev Korun (G) hielt es für wichtig, dass sich Kinder und Jugendliche mit verschiedenen Religionen und Wertetraditionen auseinandersetzen können und plädierte nachdrücklich dafür, den Ethikunterricht in den Regelunterricht zu übernehmen. Besonders wichtig sei dies für Kinder aus gemischt religiösen Familien. "Wir brauchen einen regulären Ethikunterricht für alle Schüler, egal aus welcher Religionsgemeinschaft sie kommen", unterstrich Korun.

Glaubensgemeinschaften einig: Religionsunterricht ist wichtig
Amena Shakir (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich) bezweifelte, dass Menschen, die Religionen nur von außen betrachten, über deren Werteangebot tatsächlich Auskunft geben können und unterstrich die Notwendigkeit, Ethiklehrer umfassend auszubilden. Der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen sei auch deshalb wichtig, damit die SchülerInnen nicht nur die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen kennenlernen, sondern ihren eigenen Standpunkte erfahren und ausbilden können. Dies erst befähige sie dazu, sich einer Gemeinschaft angehörig fühlen zu können.

Abgeordnete Katharina Cortolezis-Schlager (V) unterstrich die Bedeutung des Religionsunterrichts für eine wertorientierte Bildung der Kinder und das friedliche Zusammenleben der Menschen in einer pluralistischen Gesellschaft. Das Modell des Ethikunterrichts hat sich in Wien sehr gut für jene SchülerInnen bewährt, die sich aus dem Religionsunterricht abmelden. Junge Menschen brauchten Unterstützung bei ihrer Suche nach Antworten auf die Fragen: Woher komme ich, wer bin ich, wohin gehe ich? Der Ethikunterricht könne sie dabei unterstützen und solle für jene SchülerInnen verpflichtend eingeführt werden, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen.

Metropolit Michael Staikos (orthodoxe Kirchen Österreich) sprach für 400.000 orthodoxe Christen in Österreich, für die eine Integration in ihre neue Heimat ohne Religion und Kirche nicht möglich sei. Für die Mehrheit der Orthodoxen in Österreich sei der Religionsunterricht ein wichtiger Faktor bei der Identitätsbildung der jungen Menschen. Ein Ethikunterricht ohne Kirche sei für ihn nicht denkbar, sagte der Metropolit.

Jütte: Ethikunterricht darf nicht an Kostenfrage scheitern
Heidi Jütte (Familienbund) betonte die Notwendigkeit, soziale und persönliche Kompetenzen der Kinder zu entwickeln, erst in der Familie und dann auch in der Schule. Da der Ethikunterricht dazu beitrage, soll der Schulversuch Ethikunterricht in den Regelunterricht übernommen werden. Dieses Ziel dürfe nicht an Kostengründen scheitern. Je pluralistischer die Gesellschaft werde, desto wichtiger werde die Werterziehung, von der letztlich auch das Funktionieren der Demokratie und die Zukunft der Gesellschaft abhängen.

Chorbischof Emanuel Aydin (Syrisch-orthodoxe Kirche in Österreich) sprach die Befürchtung aus, ein verpflichtender Ethikunterricht könnte eines Tages den Religionsunterricht ersetzen. Die Kinder brauchten aber die Unterstützung ihrer Werteentwicklung durch die Religionen. Das gelte ganz besonders für MigrantInnen. Die Kirchen geben ihnen Lebensmittelpunkt und Sicherheit in der ihnen zunächst noch fremden neuen Heimat. Die religiösen Gemeinden bemühten sich um die Integration ihrer Mitglieder in die österreichische Gesellschaft im Zeichen der Nächstenliebe und des Respekts gegenüber allen Menschen. Daher soll der Religionsunterricht auch in Zukunft eine wichtige Rolle an den Schulen haben, schloss Aydin.

Abgeordnete Daniela Musiol (G) bekannte sich nachdrücklich zur Trennung von Kirche und Staat. Den laizistischen Staat ernst zu nehmen, könne nur heißen, den Ethikunterricht in den Schulen einzuführen und den SchülerInnen Gelegenheiten zu geben, sich mit den Grundwerten auseinanderzusetzen. Die Grünen wollen einen verpflichtenden Ethikunterricht, der Auseinandersetzung mit Weltanschauungen und Religionen bietet. Das ist etwas anderes als Religionsunterricht. Daher bedauerte die Rednerin, dass der Finanzrahmen die Einführung eines flächendeckenden Ethikunterrichts nicht zulässt.

Anas Schakfeh (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich) sah sich in der Frage des Ethikunterrichts einig mit den anderen Kirchen und Glaubensgemeinschaften in Österreich einig: Ein Schulfach Ethik soll den Religionsunterricht nicht ersetzen. Ein zusätzlicher Ethikunterricht würde aber Mehrkosten verursachen und möglicherweise dazu führen, dass auf den Religionsunterricht, der nur noch für jene da sei, die sich nicht abmelden, schließlich aus Ersparnisgründen verzichtet werden könnte. Anas Schakfeh wandte sich entschieden gegen die Abschaffung des Religionsunterrichts. Ein Ethik- und Religionenunterricht könne einen Religionsunterricht nicht ersetzen, weil er die Orientierung nicht bieten könne, die eine Religion den Heranwachsenden bietet.

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (G) wandte sich dagegen, SchülerInnen, die sich vom Religionsunterricht abmelden, zum Besuch des Ethikunterrichts zu verpflichten. Sie plädierte vielmehr für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle einzuführen, die Teilnahme dürfe nicht davon abhängen, ob ein Schüler Religionsunterricht habe oder nicht.

Walter Hessler (Neuapostolische Kirche in Österreich) sah als Verantwortung der Schulen und als Aufgabe des Ethikunterrichts an, den jungen Menschen Grundlagen und Hilfestellungen für sittliche Entscheidungen anzubieten. Daher sei der Ethikunterricht für alle SchülerInnen einzuführen, die keinen Religionsunterricht besuchen und andererseits der Religionsunterricht für jene SchülerInnen aufrechtzuerhalten, die einer Religionsgemeinschaft angehören.

Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (V) begrüßte die heutige Ethikdebatte im Parlament und wünschte sich deren Fortsetzung. Junge Menschen suchten Orientierung und den Sinn des Lebens. Es gehe in der Ethik aber nicht nur um Menschenrechte, sondern auch um Menschenwürde, daher widersprach der Abgeordnete Konrad Paul Liessmann, der meinte, Ethik sei nur vernunftbezogen, und trat seinerseits dafür ein, den Ethikunterricht in der Sekundarstufe generell einzuführen - aber nicht in Konkurrenz zum Religionsunterricht.

Kastner für gemeinsamen Ethikunterricht aller SchülerInnen
Andreas Kastner (Bundesarbeiterkammer) bekannte sich zur Vorbereitung der jungen Menschen auf eine aktive Teilnahme an der Gesellschaft und auf die Auseinandersetzung mit Werten und Traditionen. Eine Trennung der jungen Menschen nach den verschiedenen Religionen sei dabei wenig sinnvoll. Daher sollen alle jungen Menschen gemeinsam in ihren Schulklassen an einem allgemeinen Ethikunterricht teilnehmen, der von Lehrern geboten wird, die speziell dafür ausgebildet werden.

Bundesrätin Monika Mühlwerth (F) unterstrich die Wahlfreiheit der Eltern bzw. der SchülerInnen in der Oberstufe und meinte, die Werteorientierung sei in allen Fächern relevant, auch in den naturwissenschaftlichen Fächern. Für die erste Werteentwicklung der Kinder sind die Eltern zuständig, sagte die Rednerin und zeigte sich skeptisch gegenüber staatlichen Vorgaben in der Werteerziehung. Für die Verbindlichkeit der Werte sei nicht das Fach Ethik, sondern das Vorbild der Erwachsenen wesentlich.

Elisabeth Pietsch (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage) unterstrich den Beitrag der Mormonen in Österreich zur Wertevermittlung in Österreich. Einen verpflichtenden Ethikunterricht von zwei Stunden pro Monat wünschte sich die Rednerin für alle SchülerInnen von der ersten Schulstufe an. Das müsste der Gesellschaft die Vermittlung ihrer konsensualen Werte und die Integration aller Gruppen wert sein. Vertreter aller Religionen und Weltanschauungen sollten an der Ausgestaltung des Ethikunterrichts mitwirken, sagte Pietsch.

Abgeordnete Rosa Lohfeyer (S) wies auf die positiven Erfahrungen mit dem Schulversuch "Ethikunterricht" hin und unterstrich die Möglichkeit, im Ethikunterricht die Integration der verschiedenen Religionen und Kulturen zu unterstützen. Auch könnte der Ethikunterricht dazu beitragen, gewalttätigen Formen der Konfliktaustragung und rassistischen Auffassungen den Boden zu entziehen. Daher sollte ein flächendeckender verpflichtender Ethikunterricht eingeführt und dafür auch ein eigenes Lehramtsstudium installiert werden.

Gerhard Weissgrab (Buddhistische Religionsgemeinschaft) sah die Zukunft in einem Ethikunterricht und einem Religionsunterricht ohne jede Konkurrenz zueinander. Es gehe um die möglichst frühe Förderung von Einsicht und des Wissens auf allen Gebieten und um die Unterstützung der Selbstverantwortung junger Menschen.

Bundesrat Stefan Schennach (S) sah die Aufgabe der Schule neben der Vermittlung von Wissen in der Vermittlung der Grundlagen des Zusammenlebens und der sozialen Integration. Dafür brauche man einen flächendeckenden Ethikunterricht, der mehr zu sein habe als ein Unterricht für jene, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Es geht um die Vermittlung der Grundrechte in einer sich rasch und stark wandelnden Gesellschaft. Die Religionsgemeinschaften brauchten davor keine Angst zu haben, sagte der Redner und hielt fest, dass eine Erziehung der Grundwerte nicht an Budgetfragen scheitern dürfe.

Iris Schwarzenbacher (Aktion kritischer Schüler) mahnte die weltanschauliche Neutralität des Staates ein und verlangte einen geschützten Raum für die Werteentwicklung der SchülerInnen. Der Religionsunterricht könne dies nicht gewährleisten, er widerspreche dem demokratischen Gebot der Trennung von Kirche und Staat. Der Ethikunterricht solle laut der Schülervertreterin an die Stelle des Religionsunterrichts treten. Er dürfe nicht "Religion durch die Hintertür" bieten und hänge hinsichtlich seiner Qualität von der Ausbildung der dafür zuständigen Lehrer ab. Auch Schwarzenbacher forderte ein Lehramtsstudium Ethik.

Quin: Pflichtgegenstand "Ethik" für alle würde 160 Mio. € kosten
Eckehard Quin (GÖD) rechnete vor, dass die Einführung eines flächendeckenden Ethikunterrichts im Vollausbau als alternativer Pflichtgegenstand 16 Mio. bis 17 Mio. € kosten würde. Für einen neuen Pflichtgegenstand aller SchülerInnen wären 160 Mio. € aufzutreiben. Er glaube nicht, dass das Hohe Haus dreistellige Millionenbeträge in einen flächendeckenden Ethikunterricht investieren werde. Religionslehrer will Quin, der für die Einführung des Ethikunterrichts in der Sekundarstufe II plädierte, nicht vom Ethikunterricht ausschließen.

Horst Schachtner (GÖD) sprach als Religionslehrer und Leiter einer Berufsschule und sah die Bedeutung des Religionsunterrichts in der Entwicklung eines Standpunktes, der junge Menschen befähige, an ethischen Dialogen teilzunehmen. Der Religionsunterricht sei notwendig, der Ethikunterricht eine Alternative für SchülerInnen, die am Religionsunterricht nicht teilnehmen.

Isabella Zins (GÖD) zeigte sich besorgt, dass trotz aller schönen Worte über einen verpflichtenden Ethikunterricht dessen Einführung "am schnöden Mammon" scheitern könnte. Es sei nicht realistisch, diesen Gegenstand für alle SchülerInnen einzuführen. Er soll allen SchülerInnen als Alternative zum Religionsunterricht angeboten werden, "damit die Alternative zum Religionsunterricht nicht Kaffeehaus heißt", schloss die Rednerin pointiert.

Vertreter der Parlamentsfraktionen beziehen Stellung
Abgeordneter Elmar Mayer (S) meinte es sei in der Diskussion gut gelungen, Einblick zu gewinnen, was die Schulen brauchen. Der Ethikunterricht stehe außer Streit, offen sei nur die Frage, wie er organisiert und finanziert werden soll. Dabei wies der Redner auf nicht abgerufene Mittel für den Religionsunterricht hin, die derzeit noch für andere Zwecke ausgegeben werden. Wir wollen einen Ethikunterricht, der selbstständig vom Staat mit speziell ausgebildeten Lehrern nach einem einheitlichen Lehrplan angeboten wird. Bei diesem Ziel sah Mayer die Politik gefordert.

Auch Abgeordnete Silvia Fuhrmann (V) sah die Enquete positiv und hielt die Vermittlung ethischer, religiöser und sozialer Werte in einer pluralistischen Gesellschaft für wichtig. Alle SchülerInnen sollen Zugang zur Wertevermittlung haben, auch jene, die sich vom Religionsunterricht abmelden. Sie brauchen einen alternativen Ethikunterricht, wie er sich in Schulversuchen bereits bewährt hat. Ausländerfeindliche Stereotype könnten abgebaut und die Integrationsbereitschaft gestärkt werden. Es geht um persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Orientierung der jungen Menschen und um die Vorbereitung auf schwierige Situationen in ihrem Leben. Fuhrmann plädierte für eine gute Zusatzausbildung der Lehrer in Pädagogischen Hochschulen und für die Einführung eines Ethikunterrichts auf der Sekundarstufe II für SchülerInnen, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, als Pflichtgegenstand.

Für Abgeordneten Andreas Karlsböck (F) stehen Religionsunterricht und Ethikunterricht in Konkurrenz zueinander, wenn sie als Alternative eingeführt werden. Es sollte möglich sein, auch in beiden Fächern unterrichtet zu werden. Die Frage, ob Religionsunterricht oder Ethikunterricht angeboten wird, könnten auch die Schulpartner im Rahmen der Schulautonomie entscheiden, schlug der Redner vor. Die Religionen sind jedenfalls Teil des kulturellen Erbes und daher soll der Religionsunterricht so lange Teil des öffentlichen Unterrichts bleiben, solange dies die Kirchen wollen, hielt Karlsböck fest und erteilte allen Versuchen, den Religionsunterricht sukzessive abzuschaffen, eine Absage. Ethische Ansprüche müssen laut Andreas Karlsböck ohnehin alle LehrerInnen in allen Unterrichtsgegenständen erfüllen.

Abgeordneter Harald Walser (G) hielt einen erfolgreichen Ethik- und Religionenunterricht nur für möglich, wenn dies mit allen SchülerInnen möglich ist. Der Schuldirektor registrierte eine Krise des Religionsunterrichts, der sich schon lange selbst in Richtung eines allgemeinen Ethikunterrichts entwickle. Dieser Tendenz sollte der Staat Rechnung tragen und einen allgemeinen Ethikunterricht entwickeln. Es brauche die ganze Palette an Meinungen und Überzeugungen sowie den Dialog zwischen den SchülerInnen und mit den LehrerInnen, um Kindern die Werthaltung zu vermitteln, die von der Gesellschaft eingefordert werde. Dafür sehe das Bundesfinanzrahmengesetz bedauerlicherweise kein Geld vor.

Abgeordneter Stefan Petzner (B) wandte sich gegen einen Ethikunterricht und verwies auf Erfahrungen in kommunistischen Diktaturen, wo staatlich verordneter Weltanschauungsunterricht als politischer Gesinnungsunterricht missbraucht wurde. Man müsse sehr genau darauf achten, wie ein Ethik-Lehrplan aussieht und wie die Werte heißen, die dort vermittelt werden sollen. Eigentlich gehe es darum, die jungen Menschen "das Werten" zu lehren und nicht, bestimmte politische Werte zu vermitteln. Das BZÖ nimmt an der Diskussion über den Ethikunterricht interessiert, aber sehr kritisch teil, sagte Stefan Petzner.
 
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