Frauenberger: Wien zeigt Homophobie die rote Karte  

erstellt am
12. 05. 11

Wien (rk) - "Homophobie, Transphobie und Gewalt" sind in den Jahren 2011 und 2012 die Schwerpunktthemen der politischen Antidiskriminierungsarbeit in Wien. Die für Antidiskriminierung zuständige Wiener Stadträtin Sandra Frauenberger will gegen homophobe und transphobe Tendenzen in der Bundeshauptstadt vorgehen und der Ausbreitung homophober Gewalt vorbeugen. Dabei sucht Wien den Austausch mit anderen Städten und Regionen Europas. Insbesondere die Erfahrungen der deutschen Bundeshauptstadt Berlin sollen in die Wiener Antidiskriminierungsarbeit einfließen. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Homophobie am 17. Mai skizzierte Frauenberger in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Berliner Experten Claus Nachtwey ihre Pläne. Eine Reihe von Veranstaltungen mit ExpertInnen stehen am Programm. Ziel ist die rechtzeitige Erarbeitung wirkungsvoller Strategien gegen diese Phänomene, die europaweit in einer neuen Qualität zu beobachten sind. Frauenberger: "Wien ist eine Stadt der Offenheit und des gegenseitigen Respekts. Homophoben und transphoben Tendenzen zeigen wir die rote Karte." Den Rahmen bildet das im rot-grünen Koalitionsübereinkommen fixierte "Wiener Paket für Vielfalt und Akzeptanz".

Unter dem in den 1970er-Jahren geprägten Begriff Homophobie versteht man die feindselige und irrationale Ablehnung homosexueller Menschen und ihrer Lebensweisen. Transphobie bezeichnet die Ablehnung von Transgenderpersonen. Die Begriffe Homophobie und Transphobie fassen verschiedene Formen von sozialer Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt zusammen, mit denen Menschen auf Grund ihrer homosexuellen Lebensweise oder ihrer Geschlechtsidentität konfrontiert sind.

Homophobe Gewalt im Steigen
Gewalt gegen Lesben, Schwule und Transgenderpersonen gibt es seit jeher. Derzeit sprechen ExpertInnen aber europaweit von einer neuen Qualität homophober Gewalt. Aus verschiedenen europäischen Städten wird über gewalttätige Übergriffe gegen homosexuelle und transsexuelle Menschen berichtet. Beschimpfungen, Drohungen, aber auch brutale Attacken auf offener Straße verunsichern gleichgeschlechtlich liebende Menschen in ihrem Lebensalltag. Stadtteile mit einer besonders gut ausgeprägten, zielgruppenspezifischen Lokalszene werden mitunter zu neuen Angsträumen. Besonders beunruhigend ist für die Wiener Stadträtin die Tatsache, "dass derartige Meldungen auch aus Städten kommen, die bislang immer als besonders offen gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten galten, wie etwa Berlin oder Amsterdam".

In ost- und südosteuropäischen Städten wiederum kam es in den letzten Jahren zu gewaltsamen Ausschreitungen bei Homosexuellen-Paraden. In Belgrad etwa mussten 2010 rund 1.000 Parade-TeilnehmerInnen von 5.000 PolizistInnen geschützt werden. 6.000 rechtsradikale GegendemonstrantInnen riefen "Tod den Homosexuellen", setzten Müllcontainer in Brand und warfen Steine und Molotowcocktails. Auch bei Paraden in Bratislava und Budapest gab es nach gewaltsamen Übergriffen durch Rechtsradikale eine Reihe von Verletzten. In Warschau, Moskau oder Riga wurden Regenbogenparaden kurzerhand verboten.

Zahlen, Daten, Fakten
Übergriffe gibt es auch in Österreich, die Datenlage ist allerdings dürftig. Bei polizeilichen Anzeigen wird nicht erfasst, ob es sich bei einer Gewalttat um ein rassistisch oder homophob motiviertes "hate crime" handelt. Zudem, so Wolfgang Wilhelm von der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (Wast) hätten "Schwule, Lesben und Transgenderpersonen große Hemmungen, Übergriffe polizeilich anzuzeigen". Dies liege daran, "dass diese Minderheiten gerade in Österreich eine lange und grausame Verfolgungsgeschichte haben". Das sogenannte Totalverbot der Homosexualität bestand in Österreich bis 1971 und auch danach gab es noch homophobe Sonderstrafgesetze, wie das unterschiedliche Mindestalter für sexuelle Kontakte unter schwulen Männern.

In der von der WASt miterstellten "Schoolmates"-Studie aus dem Jahr 2006 gaben 37 Prozent der befragten LehrerInnen und SchülerInnen an, in der Schule immer oder oft Schimpfworte über Schwule zu hören. 25 Prozent der für schwul gehaltenen Schüler und 9 Prozent der für lesbisch gehaltenen Schülerinnen werden außerdem zumindest manchmal physisch oder verbal belästigt oder gar bedroht. In 38 Prozent dieser Fälle greift selten oder nie jemand hilfreich ein. Schwule und lesbische SchülerInnen sind den Übergriffen demnach oft völlig hilflos ausgesetzt.

Die Studie "München unterm Regenbogen" (2004) zeigt, dass 80 Prozent der befragten Lesben und Schwulen eigene Erfahrungen mit Ausgrenzung, Benachteiligung und Gewalt haben. 60 Prozent haben Beschimpfungen erlebt, knapp 40 Prozent erlebten psychischen Druck, Bedrohungen oder Einschüchterungen und knapp 20 Prozent wurden Opfer von Gewalthandlungen.

In einer Befragung von schwulen und bisexuellen Männern des Berliner Anti-Gewaltprojekts "Maneo" (2008) berichteten 43 Prozent von Gewalterfahrungen, 9 Prozent wurden tätlich angegriffen oder erlitten Körperverletzungen.

Stadträtin Sandra Frauenberger: "Wir beobachten diese internationalen Entwicklungen in Wien sehr aufmerksam und wollen aus den Erfahrungen anderer Städte, in denen die Probleme bereits massiver auftreten, lernen. In Wien sollen alle ihre Lebens- und Liebesmodelle frei wählen können. Homophobie und Transphobie haben in dieser Stadt keinen Platz. Wichtig sei es, "in dieser Diskussion nicht eine Minderheit gegen die andere auszuspielen". Homophobe Gewalttäter gebe es auch, aber nicht nur unter migrantischen Jugendlichen aus patriarchalen Strukturen. "Homophobie kennt kein Alter und keine Herkunft", so Frauenberger.

Besonders krassen Homosexuellen-Hass gibt es im rechtsradikalen Milieu. Auf der mittlerweile wieder geschlossenen Internet-Seite alpen-donau.info aus dem Dunstkreis Gottfried Küssels war bis vor kurzem etwa folgendes zu lesen: "Die Homosexuellen übertragen Krankheiten wie AIDS und sind insgesamt volksschädlich und moralisch zerstörerisch. Die Gesetzgebung muß verstärkt gegen solche Abartigen vorgehen. Minusmenschen und Asoziale haben kein Recht auf Menschenwürde. Sie müßten sterilisiert werden, denn das ungeborene Kind hat ein Recht auf einen gesunden Geist in einem gesunden Körper."

Was steht am Wiener Programm?
Gegen Homophobie einzutreten ist ein zentraler Arbeitsschwerpunkt der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (WASt). So fand bereits 2009 die Fachkonferenz "Bullying in der Schule. 'Anders'-Sein als Risiko?" und 2010 die Fachkonferenz "Tabu zum Quadrat. Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen" statt, die jeweils einen besonders relevanten Teilaspekt des Phänomens beleuchteten. "Gewalt braucht immer einen Nährboden und hat viele Ursachen. Diese gilt es aufzuspüren und differenziert zu beschreiben. Unser Ziel ist es, rechtzeitig sinnvolle und für Wien maßgeschneiderte Präventionsstrategien auszuarbeiten und umzusetzen", betont Angela Schwarz von der WASt.

Die Veranstaltungsreihe "Queere Stadtgespräche" wird sich über einen Zeitraum von zwei Jahren ganz gezielt verschiedenen Aspekten homophober Gewalt widmen. Eine Auftaktveranstaltung mit ExpertInnen von Polizei und Opferschutz sowie mit AktivistInnen der Lesben-, Schwulen- und Transgender-Community hat bereits im April stattgefunden.

Im Rahmen der zweiten Veranstaltung am Abend des 11.05. werden die Berliner Initiative "Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt" und der "Aktionsplan gegen Homophobie" des Landes Nordrhein-Westfalen vorgestellt und mit lokalen AktivistInnen und ExpertInnen diskutiert.

Im Herbst 2011 steht ein Queeres Stadtgespräch über soziale Rahmenbedingungen, homophober und transphober Gewalt am Programm. Außerdem werden Opfererfahrungen und Langzeitauswirkungen von Gewalt behandelt. In einer weiteren Veranstaltung werden potenziellen Opfern konkrete Präventions- und Schutzmöglichkeiten nahe gebracht. Und schließlich wird es 2012 ein Queeres Stadtgespräch zu der bis dahin abgeschlossenen "Berliner Studie zum Verhältnis der Lesben- und Schwulen-Community zu anderen gesellschaftlichen Teilgruppen" geben. Diese Studie soll auch als Grundlage für datenbasierte Präventions- und Gewaltschutzarbeit dienen.

Aufklärung in der schulischen und außerschulischen Jugendarbeit
ExpertInnen sind sich einig: Unerlässlich im Kampf gegen Homophobie ist gezielte Aufklärungs- und Präventionsarbeit im Rahmen der schulischen und außerschulischen Jugendarbeit. Hier wird auch Frauenberger einen Hebel ansetzen. Allen Wiener Schulen werden ab dieser Woche drei Handbücher übermittelt: "Bullying im Klassenzimmer", "Bullying in der Schule" und "Bullying bekämpfen". Diese Publikationen wurden von der WASt im Rahmen des EU Projektes "Schoolmates" erarbeitet. Die Handbücher zeigen SchülerInnen wie LehrerInnen Wege auf, dieses Phänomen zu erkennen, zu bekämpfen und sinnvolle Präventionsstrategien zu implementieren.

Sexuelle Orientierung in die LehrerInnenausbildung
Geht es nach den Wünschen der Wiener Antidiskriminierung sollte Wissen über sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten auch in der LehrerInnenaus- und -weiterbildung nachhaltig verankert werden. In der Stadt selbst ist die gezielte Schulung von MitarbeiterInnen längst fix implementiert. Die WASt unterrichtet etwa städtische Lehrlinge, KrankenpflegeschülerInnen sowie Führungskräfte und MitarbeiterInnen des Krankenanstaltenverbundes regelmäßig im richtigen Umgang mit Diskriminierung, Homosexualität und Transsexualität.

Kleinprojektetopf vergibt Förderungen für Projekte
Vereine mit Ideen für Projekte gegen homophobe Gewalt können um eine Förderung aus dem städtischen "Queeren Kleinprojektetopf" ansuchen. Die Einreichfrist läuft noch bis Ende Mai, Infos gibt es unter http://www.queer.wien.at.

Wien sucht den Austausch mit Berlin
Wien möchte außerdem die Erfahrungen anderer Städte für die eigene Strategie gegen homophobie und homophobe Gewalt nutzen. Insbesondere Berlin hat hier ein sehr engagiertes Programm."Berlin ist eine weltoffene Stadt der vielfältigen Kulturen, Lebensweisen und Lebensentwürfe. Doch die erschütternden Überfälle auf Lesben und Schwule in den letzten Jahren zeigen leider auch, dass die Akzeptanz der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt nicht von allen Menschen in dieser Stadt getragen wird", erklärt Claus Nachtwey von der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung.

Der Berliner Senat unterstützt seit 1990 Anti-Gewaltprojekte wie z.B. das Überfalltelefon Maneo, wohin sich Opfer homophober Gewalt wenden können. Maneo registriert ca. 300 Beratungsfälle pro Jahr. Die Dunkelziffer der antihomosexuellen Gewalttaten ist wesentlich höher. Die Berliner Polizei hat seit fast 20 Jahren AnsprechpartnerInnen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in ihrem Landeskriminalamt. Dadurch wird Vertrauen zwischen der Polizei und der Community geschaffen.

Im April 2009 beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus die Initiative "Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt". Claus Nachtwey: "Aufgrund seiner gesamtgesellschaftlichen Dimension ist dieses Aktionsprogramm derzeit einmalig in Europa."

Im Rahmen der Initiative wurden über 60 Maßnahmen in verschiedenen Handlungsfeldern entwickelt. Die Hauptziele der Initiative sind:

  • Bildung und Aufklärung stärken,
  • Diskriminierung, Gewalt und vorurteilsmotivierte Kriminalität bekämpfen,
  • Den Wandel der Verwaltung vorantreiben,
  • die Erkenntnisgrundlagen durch wissenschaftlichen Studien verbessern,
  • den Dialog zwischen den gesellschaftlichen Teilgruppen fördern
  • der rechtlichen Gleichstellung bundesweit zum Durchbruch verhelfen


So wurden zum Beispiel Schlüsselpersonen, pädagogische Fachkräfte und Verwaltungspersonal im Umgang mit sexueller Vielfalt geschult und sogenannte Dialog-Tische mit Religionsgemeinschaften, MigrantInnenorganisationen, VertreterIinnen von Sportverbänden und Musikszenen ins Leben gerufen.Unter dem Titel "Berlin liebt! Respekt macht's möglich" wirbt zudem seit März eine mehrsprachige Kampagne mit interaktiven Elementen für die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Hauptstadt.

Unter der Schirmherrschaft des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit wurde das "Bündnis gegen Homophobie" ins Leben gerufen. ErstunterzeichnerInnen sind relevante gesellschaftliche Organisationen, Institutionen und Unternehmen, die ein klares Zeichen gegen Diskriminierung, Homosexuellenfeindlichkeit und Gewalt setzen.

     
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