Nach ökumenischem Konsens in der Rechtfertigungslehre müsste Luther als rechtgläubig
rehabilitiert werden
Wien(epd Ö) - Protestanten hätten keinen Grund, "aus dem Dynamit des reformatorischen
Erbes ein ökumenisches Paniermehl zu machen". Das schreibt der Ordinarius für Systematische Theologie
an der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Vorstand des Instituts für Ethik und Recht der Medizin
an der Universität Wien, Ulrich H.J. Körtner in der Tageszeitung "Die Presse" (11.05.). In
einem Gastkommentar reagiert Körtner auf die Forderung des Vorsitzenden der Ökumenekommission der deutschen
Bischofskonferenz, Bischof Ludwig Müller, im Vorfeld des Reformationsjubiläums 2017, die evangelische
Kirche möge sich von den Aussagen Martin Luthers distanzieren, der den Papst als "Antichristen"
bezeichnet hat.
Dass Luthers Aussagen im historischen Kontext zu verstehen seien und nicht auf das heutige Papsttum übertragen
werden dürften, stehe heute in jeder Gemeindeausgabe der lutherischen Bekenntnisschriften. Körtner wertet
die Äußerung Müllers als "durchsichtiges Ablenkungsmanöver der in letzter Zeit arg gebeutelten
katholischen Kirche". Der evangelische Theologe erinnert daran, dass die Römisch-katholische Kirche die
Verurteilung Luthers als Ketzer bis heute nicht zurückgenommen habe: "Und das, obwohl man sich doch heute
angeblich in der Rechtfertigungslehre, dem Herzstück reformatorischer Theologie, mit den Protestanten einig
ist". Mit dieser Lehre, so Körtner, sei der Gedanke vom Priestertum aller Gläubigen verbunden, "der
notwendigerweise zum Bruch mit dem hierarchischen Prinzip in der Kirche und der Unterscheidung von Klerikern und
Laien führt". Daran halte aber die Römisch-katholische Kirche "eisern" fest. Gäbe
es einen Konsens in der Rechtfertigungslehre, entfiele die Trennung von Protestanten und Katholiken beim Abendmahl,
und Luther müsste als "rechtgläubiger Theologe rehabilitiert werden". Doch davon, so Körtner,
"ist in der katholischen Amtskirche natürlich nicht im Entferntesten die Rede".
Der Papstkult einschließlich Heiligenverehrung und Reliquienkult, wie man ihn jüngst bei der Seligsprechung
Johannes Pauls II. beobachten konnte, berge aus evangelischer Sicht die Gefahr, "die biblische Botschaft von
der freien Gnade Gottes zu verdunkeln". Körtner wörtlich: "Das Papsttum bleibt ein großes
Hindernis auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft." |