Berlin (idw) - Neurowissenschaftlern der Charité - Universitätsmedizin
Berlin ist es erstmals gelungen, die bewusste Kontrolle von Berührungsempfindungen im menschlichen Arbeitsgedächtnis
zu dokumentieren. Dabei konnte gezeigt werden, dass der Mensch mehrere Berührungsempfindungen gleichzeitig
erinnern und abrufen kann, wenn er seine Konzentration auf diese Berührungen ausgerichtet hatte. "Eine
neue Berührung löscht die Erinnerung an eine vorangegangene Berührung im Arbeitsgedächtnis
nicht aus, sondern neue und alte Berührungserinnerungen bleiben unabhängig voneinander erhalten, wenn
der Mensch die Berührungen aufmerksam registriert hatte", so die Studienleiter, deren Arbeit nun in der
aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift PNAS* publiziert wurde.
Die Wissenschaftler der Abteilung für Neurologie und dem Bernstein Center for Computational Neuroscience an
der Charité gingen der Frage nach, in welcher Form Berührungsempfindungen im menschlichen Arbeitsgedächtnis
abrufbar sind. Das Arbeitsgedächtnis ist Teil des menschlichen Erinnerungsvermögens. Es ist beispielsweise
zuständig für die vorübergehende Speicherung von Informationen, welche wichtig sind, um die uns
gegenwärtig umgebende Umwelt zu verstehen. Im vorliegenden Versuch wurde den Probandinnen und Probanden über
taktile (d.h. den Tastsinn ansprechende) Stimulationsgeräte, wie sie für das Lesen von Blindenschrift
verwendet werden, Vibrationen mit zwei unterschiedlichen Frequenzen auf den Zeigefinger übertragen. Erst danach
wurde ihnen mitgeteilt, welche der beiden Frequenzen sie mit einer folgenden Testfrequenz vergleichen sollten.
Zum einen zeigte sich in frühen Gehirnregionen des "Fühlzentrums", also dort, wo die Informationen
der Tastsinnesorgane zuerst hingeleitet und verarbeitet werden, eine systematische Veränderung der Hirnaktivität,
wenn die Probanden sich an eine Berührung erinnerten. Diese veränderte Aktivität, die in den sogenannten
Alpha-Wellen der Gehirnschwingungen zu sehen war, war in diesen frühen Hirnregionen jedoch noch unspezifisch
in Bezug zur gestellten Aufgabe.
Die Erinnerung an unterschiedliche Berührungen, also die Differenzierung zwischen den beiden Frequenzen mit
denen die Probanden stimuliert wurden, findet dann in den höheren Gehirnregionen, im sogenannten Frontallappen,
statt. Hier konnten die Forscher Hirnschwingungen (Oszillationen) einer bestimmten Wellenlänge, die sogenannten
Beta-Schwingungen, identifizieren, die systematisch durch die Erinnerung an die beiden unterschiedlichen Frequenzen
der Vibration moduliert wurden. Von besonderem Interesse war dabei die Tatsache, dass die frontale Beta-Aktivität
nicht auf die zuletzt präsentierte Frequenz beschränkt bleiben muss. Die Probandinnen und Probanden konnten
auch eine vorhergehende Frequenz abbilden, wenn sie aufgefordert wurden, sich daran zu erinnern. Diese Ergebnisse
weisen auf die Existenz einer quantitativen taktilen Gedächtnisrepräsentation im menschlichen Frontallappen
hin. Diese Gedächtnisrepräsentation kann bewusst angesteuert werden; sie unterliegt so der aktiven Kontrolle
des Einzelnen über seinen gegenwärtigen Gedächtnisinhalt.
*Spitzer B, Blankenburg F: Stimulus-dependent EEG activity reflects internal updating of tactile working memory
in humans. Proc Natl Acad Sci U S A. 2011 May 2. [Epub ahead of print] |