Probleme und Perspektiven der politischen Bildung in Österreich
Wien (pk) - Die Teilnahme an einer demokratischen Gesellschaftsordnung muss erlernt werden. Wie kann
man Jugendliche und Erwachsene zur Mitwirkung an den politischen Entscheidungsprozessen befähigen? Was braucht
es, um das demokratiepolitische Bewusstsein von Jugendlichen zu stärken, und was bedeutet demokratiepolitische
Bildung angesichts der heutigen Medienlandschaft? Diesen und vielen weiteren Fragen widmete sich am 20.05. eine
Enquete, zu der Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gemeinsam mit dem Dr.-Karl-Renner-Institut und der
Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft geladen hatte. An der Veranstaltung "Demokratie
lernen – Herausforderungen für die politische Bildung in Österreich", die wegen des großen
Zuspruchs vom Palais Epstein in den Budgetsaal des Hohen Hauses verlegt wurde, nahmen zahlreiche Interessierte
aus den Bereichen Schule, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung teil.
Prammer: Demokratie muss auch gelebt werden
Barbara Prammer begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und verlieh ihrer Hoffnung Ausdruck, dass
Enqueten wie diese den Dialog von Politik und Zivilgesellschaft fördern. Ihr Anliegen sei es, Veranstaltungen
mit dem Themenschwerpunkt Demokratie und politische Bildung ins Hohe Haus zu bringen. Das heutige Thema sei ihr
deshalb so wichtig, weil Demokratie gelernt werden müsse. Ohne Demokratinnen und Demokraten, die Demokratie
auch leben, bleibe diese ein abstraktes Prinzip, sagte Prammer. Dazu brauche sie aber auch Vorbilder. Sie verwies
dabei auf die Demokratiewerkstatt, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, Kindern und Jugendlichen die Prinzipien
der Partizipation und der demokratischen Auseinandersetzung anschaulich zu machen.
Rosenberg: Politische Bildung ist nicht nur Aufgabe der Schule
In ihren einleitende Worten betonte Barbara Rosenberg, die für die beiden Co-Veranstalter sprach, dass die
Enquete das Ziel verfolge, den Blick auf die Gesamtheit der politischen Bildung zu richten. Es gehe daher nicht
nur um die Schule, sondern auch um die Frage des Angebots der Erwachsenenbildung für jedes Lebensalter. Die
Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre habe das Thema Politische Bildung wieder stärker in den Vordergrund gerückt
und eine Neukonzeption bewirkt. Sie erhoffe sich aber, dass dieser Impuls sich fortsetzt und sich auch Länder
und Gemeinden in Zukunft stärker an Projekten der Politischen Bildung beteiligen werden.
Filzmaier: Jugendliche über Sachthemen ansprechen
Das einleitende Referat "Politische Bildung und Demokratie in Österreich: Trends, Problembereiche, Perspektiven"
des Politikwissenschaftlers Peter Filzmaier setzte sich kritisch mit der Wahrnehmung des Faches "Politische
Bildung" in Österreich auseinander. Filzmaier definierte fünf Problembereiche, in denen er dieses
Fach vor besonderen Herausforderungen stehen sah. Die erste Gefahr sei, dass politische Bildung sich in einer "akademischen
Inzestdebatte" erschöpfe, die wichtige Zielgruppen, wie etwa die Gruppe der Zwanzig- bis Dreißigjährigen,
nicht mehr erreiche. Zweitens müsse man sich der Realität der Massenmedien stellen. Auch wenn man deren
Tendenz zur Simplifizierung kritisiere, dürfe man sie deshalb nicht einfach ignorieren. Drittens sei es eine
Tatsache, dass das Thema Politik im Interesse der meisten Menschen erst weit unten auf der Liste rangiere. Viertens
laufe politische Bildung, die sich nur als Politikkritik verstehe, bei aller Wichtigkeit dieser Kritik auch Gefahr,
das negative Bild der Politik nur zu verstärken. Fünftens hätten die VermittlerInnen von politischer
Bildung oft mit internen Widersprüchen ihrer Tätigkeit zu kämpfen, wenn etwa ihr subjektiver politischer
Standpunkt ihrem Objektivitätsanspruch im Weg stehe.
Diesem Befund stellte Filzmaier die Bereiche gegenüber, in denen er Chancen für die weitere Entwicklung
der politischen Bildung erkennen konnte. Die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre habe einen Innovationsschub ausgelöst.
Das Konzept der politischen Bildung könnte auch dadurch erweitert werden, dass Länder, Gemeinden, Sozialpartner,
Wirtschaft und NGOs ohne Berührungsängste Initiativen entwickeln. Eine weitere Chance liege in einer
Professionalisierung der Vermittlung von politischer Bildung, was aber an die längerfristige Planbarkeit und
damit an entsprechende Mittel geknüpft sei. Ebenso sah Filzmaier ein Potential für politische Bildungsarbeit
bei Jugendlichen. Man müsse diese aber über Sachthemen ansprechen und ihre Sprache sprechen. Und schließlich
eröffne auch die Thematisierung neuer gesellschaftlicher Konfliktlinien, wie etwa der Gegensatz von ländlichen
Regionen und urbanen Gebieten, der Generationenkonflikt, die Debatte um "privat" versus "öffentlich"
der politischen Bildung Chancen, den gesellschaftlichen Diskurs mitzugestalten.
Gefahr, dass nur Interessierte erreicht werden
Abgeschlossen wurde die Enquete mit einer Podiumsdiskussion, die auch dem Publikum Gelegenheit gab, ihre Anliegen
in Fragen an die ExpertInnen der politischen Bildung zu formulieren. Unter der Moderation des Politikwissenschaftlers
Günther Sandner diskutierten Petra Mayrhofer (Demokratiezentrum Wien), Thomas Krüger (Präsident
der deutschen Bundeszentrale für Politische Bildung in Bonn), Kurt Nekula als Vertreter des BMUKK und Robert
Etlinger (Direktor des Realgymnasiums GRG 3 in Wien).
Das Podium ortete als eines der größten Probleme der politischen Bildung, dass sie in Gefahr sei, selbstreferentiell
zu werden und in einem geschlossenen System nur mehr jene zu erreichen, die das Interesse an politischen Fragestellungen
bereits von vornherein mitbringen. Eine Auseinanderentwicklung der Lebenswelten – der Generationen, von Mehrheitsgesellschaft
und "Ausländern", von höher gebildeten und bildungsfernen Schichten – führe zum Ausschluss
ganzer Gruppen vom Wissen über das politische System und zu mangelnder Partizipation. Politische Bildung könne
sich daher nicht nur auf die Schule beschränken, sie müsse auch intensiv die Jugendarbeit außerhalb
der Schule und die Lebenswelt der jungen Erwachsenen erreichen.
Petra Mayrhofer stellte dazu aus ihrer Erfahrung fest, dass Jugendliche anhand von Themen, die sie unmittelbar
betreffen, sehr wohl für politische Themen zu interessieren sind und auch Partizipation wünschen, dazu
aber auch das entsprechende Wissen benötigten. In den letzten Jahren sei im Bereich der politischen Bildung
an den Schulen ein Neubeginn festzustellen gewesen, betonte Kurt Nekula. Von der Vermittlung eines reinen Faktenwissens
und einer "Institutionenkunde" habe sich der Schwerpunkt nun auf den Kompetenzerwerb verlagert. Um dieses
Konzept aber auch umsetzen zu können, brauche man die entsprechende Aus- und Fortbildung der LehrerInnen.
Das setze auch die entsprechenden Ressourcen voraus, wie Robert Etlinger unterstrich, der über durchaus positive
Erfahrungen im Schulbereich sprach. Allerdings könne er nur für die AHS sprechen, leider sei kein Vertreter
einer Polytechnischen Schule am Podium, schränkte er ein. "Politische Bildung ist eine Investition in
die Zukunft der Demokratie", formulierte Thomas Krüger und erntete dafür die Zustimmung des Publikums.
Er berichtete von Versuchen, die man in Deutschland unternehme, um an jene bildungsfernen Schichten, die vor allem
Bildmedien konsumieren, Inhalte der politischen Bildung heranzutragen, etwa durch innovative Fernsehformate und
Computerspiele. |