Grenzüberschreitende Gemeindekooperation, Steuerhoheit der Länder
Wien (pk) - Bundesratspräsident Gottfried Kneifel und der Tiroler Landtagspräsident und
Präsident der Kammer der Regionen im Europarat, Herwig van Staa, nahmen am 16.05. den aktuellen Bericht des
Europarats zum Thema "Föderalismus und der aktuelle Stand der lokalen Selbstverwaltung in Österreich"
zum Anlass für eine gemeinsame Pressekonferenz im Parlament.
Präsident van Staa berichtete den Medienvertretern einleitend vom Lob der Europaratskommission für den
"kooperativen Föderalismus" in Österreich, wobei insbesondere der Konsultationsmechanismus
zwischen Bundesregierung, Ländern und Gemeinden als ein bewährter Transmissionsriemen zwischen verschiedenen
Regierungsebenen hervorgehoben wurde.
Weniger zufriedenstellen sei der Fortgang der Modernisierung des Föderalismus in Österreich beurteilt
worden, führte van Staa weiter aus. Der Europarat empfiehlt Österreich eine generelle Reform des föderalen
Systems und eine Klarstellung der Kompetenzen der verschiedenen Regierungsebenen. Gemeinden und Regionen sollen
finanziell besser ausgestattet werden und mehr Entscheidungsfreiheit bekommen, insbesondere im Hinblick auf Steuereinnahmen
und auf die Möglichkeit, eigene Abkommen mit Bundesbehörden zu treffen.
An die "Zentralisten" richtete Herwig Van Staa den Appell, sich daran zu erinnern, dass die Republik
Österreich von den Bundesländern gebildet wird und es undenkbar sei, den Föderalismus ohne eine
Volksabstimmung abzuschaffen. Es gehe vielmehr um den Ausbau des Föderalismus, wobei Van Staa auf Kompetenzschwächen
des Bundesrates aufmerksam machte und zugleich festhielt, dass der Bundesrat bei der Wahrnehmung österreichischer
Rechte in der Europäischen Union seit dem Lissaboner Vertrag dieselben Kompetenzen wie der Nationalrat hat
"und damit unverzichtbar geworden ist". In diesem Zusammenhang schilderte Van Staa die enge Zusammenarbeit
zwischen dem Bundesrat und den Landtagen sowie die Arbeit der permanenten Kommission aus Mitgliedern des Bundesratspräsidiums
und der Landtage. "Wir werden den Föderalismus weiterentwickeln. Alle Parteien, die zentralistische Tendenzen
verfolgen, sollen ihre Initiativen in eine Verbesserung der kooperativen Gestaltung einbringen und ihre Gedankenspielereien
zur Abschaffung des Föderalismus beenden", formulierte der Landtagspräsident pointiert.
Bundesratspräsident Gottfried Kneifel begrüßte den Bericht des Europarates und erinnerte daran,
dass der Gesetzesantrag zur Umsetzung des Lissabonner Vertrages vom Bundesrat eingebracht wurde. Mit dieser größten
Verfassungsreform der Zweiten Republik wurde die Mitbestimmung der Bundesländer im EU-Rechtssetzungsprozess
festgelegt, erinnerte der Bundesratspräsident.
Die notwendige Weiterentwicklung des Föderalismus werde von der Bevölkerung mitgetragen, teilte der Bundesratspräsident
mit und informierte über jüngste Umfrageergebnisse in seinem Bundesland Oberösterreich: Die Menschen
assoziieren mit dem mit "Föderalismus" "Problemlösungskompetenz", "Hilfsbereitschaft"
und "Zusammengehörigkeit", sprechen sich aber nur zu 20 % für die Zusammenlegung von Gemeinden
aus, nur zu 7 % für die Abschaffung der Landeshauptleute und gar nur 4 % können der Idee etwas abgewinnen,
aus den neun Bundesländern drei Großregionen zu schaffen.
Im Hinblick darauf, dass der Bericht des "Österreich Konvents" aus dem Jahr 2006 bis heute weder
vom Nationalrat noch vom Bundesrat behandelt worden sei, kündigte der Präsident des Bundesrates an, diesen
Bericht im Bundesrat zu verhandeln und einen Punkt dieses Berichts zu realisieren, nämlich die Möglichkeit
für Gemeinden, über Landesgrenzen hinweg zu kooperieren. Kneifel kündigte dazu einen Gesetzesantrag
des Bundesrats an.
Weiters plädierte Kneifel für eine Entflechtung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern und sprach
sich konkret dafür aus, die Mitsprache des Bundes bei der Bestellung von Landesamtsdirektoren aufzuheben und
im Gegenzug dazu die Mitsprache der Länder bei der Gerichtssprengelorganisation aufzugeben. Generell hielt
es der Bundesratspräsident für möglich und wünschenswert, Kompetenzen zwischen Bund und Ländern
abzutauschen.
Zudem nannte es Gottfried Kneifel nicht "gottgegeben", dass Bundeseinrichtungen ihren Sitz ausschließlich
in Wien haben. Warum soll die BIG ihren Sitz nicht in Graz, Salzburg, Linz oder Innsbruck haben können, sagte
Kneifel und verwies darauf, dass jeder Schweizer Kanton eine Bundeseinrichtung aufweise und auch deutsche Bundesländer
Zentralstellen beheimaten.
Von der künftigen Landeshauptleutekonferenz erwarte er sich Forderungen nach zusätzlichen Kompetenzen
für den Bundesrat, sagte der Präsident der Länderkammer. In Fragen, die die Länder zentral
berühren, etwa beim Finanzausgleich oder bei 15a-Verträgen zwischen Bund und Ländern, sollte der
Bundesrat laut Kneifel nicht nur ein aufschiebendes, sondern ein aufhebendes Veto haben,
Als ein Beispiel für die konkrete Vertretung von Länderinteressen durch den Bundesrat erinnerte der Präsident
der Länderkammer an die letzte Plenarsitzung, in der der Bundesrat erfolgreich auf eine Zusage von Seiten
der Bundesregierung gedrängt hat, die Kosten der zusätzlichen 50 Planstellen, die für die Umsetzung
der jüngsten Fremdenrechtsgesetz-Novelle bei den Unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern
eingerichtet werden müssen, zu übernehmen.
Die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts braucht neue Strukturen, daher ist der Bundesrat zu Reformen in einem dynamischen
Prozess bereit, teilte der Bundesratspräsident mit und äußerte sich positiv zu dem Vorschlag,
den Ländern Steuerhoheit einzuräumen. "Wir fürchten uns nicht", sagte Kneifel und hielt
Zuschläge zu bestehenden Steuern oder auch eigene Abgaben der Länder für möglich. Von der Regierungsklausur
am 30. Mai erwartet sich Bundesratspräsident Kneifel Beschlüsse der Bundesregierung zum Bildungssystem.
In dieselbe Kerbe hieb in der Diskussion mit den Journalisten auch Landtagspräsident Herwig Van Staa. Man
sollte den Ländern die Freiheit geben, Steuerhoheit - ohne jede steuerliche Belastung der Bürger - einzuführen,
wenn sie das wollen. Überall dort, wo die Länder ausschließlich zuständig sind, sollen sie
auch für die Finanzierung zuständig sein. Er erwarte sich an dieser Stelle keine Widerstände von
Seiten der Bundesländer. Eine Lanze brach Van Staa auch für die grenzüberschreitende Kooperation
von Gemeinden, aber auch zur Einrichtung von Bildungsdirektionen im Sinne des Vorschlages der Unterrichtsministerin.
Zum Schluss forderten Bundesratspräsident Gottfried Kneifel und Landtagspräsident Herwig Van Staa nachdrücklich
dazu auf, das Misstrauen zwischen Bund und Ländern abzubauen. Das Vertrauen sei das wichtigste Kapital in
der Politik, hielt Kneifel fest, während Van Staa an dieser Stelle den Grundsatz der Wahrhaftigkeit in der
Politik einmahnte und ein Zitat von Ingeborg Bachmann abwandelte: "Die Wahrheit ist dem Bürger zumutbar".
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