Brüssel (ec.europe) - In einer am 26.05. angenommenen Mitteilung hat die Europäische Kommission
eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, wie Staatsanwälte und Gerichte in der EU wirksamer gegen Betrugsdelikte
in Zusammenhang mit EU-Geldern vorgehen können. Geplant ist auch eine Verschärfung des materiellen Strafrechts,
durch die präzisere Definition von Straftaten wie Veruntreuung oder Amtsmissbrauch und den Ausbau der Kapazitäten
des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und von Eurojust (der EU-Einrichtung für
die Zusammenarbeit der Justizbehören). Darüber hinaus wird die EU die Anwendung gemeinsamer Regeln über
Betrug und andere Straftaten im Zusammenhang mit EU-Geldern durch eine spezialisierte Europäische Staatsanwaltschaft
prüfen. Ermöglicht werden diese Maßnahmen durch den Vertrag von Lissabon, mit dem die Fähigkeit
der EU zur Betrugsbekämpfung durch die Übertragung neuer Gesetzgebungsbefugnisse im Bereich des Strafrechts
gestärkt wurde. Für die Kommission steht der Schutz von Steuergeldern auf der politischen Tagesordnung
weit oben. Die Steuerzahler müssen darauf vertrauen können, dass EU-Gelder nur für Maßnahmen
verwendet werden, die der EU-Gesetzgeber gebilligt hat. Momentan reichen die verfügbaren Instrumente nicht
immer aus, um einen Missbrauch von EU-Gelder aufzudecken oder zu verhindern. Auf der Ebene der Mitgliedstaaten
stehen einem wirksamen Schutz der EU-Mittel vor kriminellen Machenschaften immer noch zahlreiche Hindernisse entgegen.
So werden grenzübergreifende Betrugsermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen durch unterschiedliche
Verfahrensregeln und Strafrechtsbestimmungen erschwert.
Wie Vizepräsidentin Viviane Reding, die für Justiz zuständige EU-Kommissarin, erklärte, „betreffen
allein die im Jahr 2009 festgestellten Verdachtsfälle von Betrug mit EU-Mitteln einen Betrag von 280 Mio.
Euro. Das macht zwar weniger als 0,2 % des EU-Budgets aus, aber in Zeiten knapper Haushalte zählt jeder Cent.
Die EU wird es nicht hinnehmen, dass Steuergelder fehlgeleitet werden. Straftaten gegen den EU-Haushalt sind Straftaten
gegen den europäischen Steuerzahler. Dank des Vertrags von Lissabon verfügen wir über wirksamere
rechtliche Instrumente für die Bekämpfung grenzübergreifender Betrugsdelikte“.
Das für die Betrugsbekämpfung zuständige Kommissionsmitglied Algirdas Šemeta wies darauf hin, dass
„Kriminelle nicht an Grenzen haltmachen. Ganz im Gegenteil: Sie nutzen sie aus, um der Strafverfolgung zu entgehen.
Das ist in der Europäischen Union nicht hinnehmbar. Wir müssen dafür sorgen, dass in Verdachtsfällen
nicht nur das OLAF und die Behörden der Mitgliedstaaten ermitteln, sondern auch die Strafverfolgungsbehörden
tätig werden. Selbst die besten Ermittlungen können das Geld des Steuerzahlers nicht schützen, wenn
sie von den Staatsanwaltschaften und Gerichte der Mitgliedstaaten nicht konsequent aufgegriffen werden".
Neue Instrumente zur Bekämpfung von Straftaten gegen die finanziellen Interessen der EU
Inzwischen verfügt die EU über die erforderlichen rechtlichen Instrumente. Zum Schutz ihrer finanziellen
Interessen kann die EU gemäß den Verträgen Mindestvorschriften im Strafrecht festlegen (Artikel
83 AEUV), neue Ermittlungsbefugnisse für Eurojust, die EU-Behörde für die Justizzusammenarbeit,
annehmen (Artikel 85 AEUV) oder zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der
Union eine Europäische Staatsanwaltschaft einsetzen (Artikel 86 AEUV).
In der Mitteilung der Kommission sind mehrere Bereiche aufgelistet, in denen das Strafrecht zum Schutz der finanziellen
Interessen der EU weiter verbessert werden könnte:
- Stärkung der straf- und verwaltungsrechtlichen Verfahren: Durch die Ausweitung des Informationsaustauschs
unter den verschiedenen Akteuren wie Polizei-, Zoll-, Steuer-, Justiz- und sonstigen zuständigen Behörden
soll Richtern und Staatsanwälten in der gesamten EU die Betrugsbekämpfung leichter gemacht werden. So
wird die Kommission einen neuen Vorschlag über die gegenseitige Amtshilfe zum Schutz der finanziellen Interessen
der EU ausarbeiten.
- Verschärfung des materiellen Strafrechts: Die Definition zentraler Straftatbestände wie Veruntreuung
und Machtmissbrauch schwankt erheblich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Hier sollte durch Initiativen zum strafrechtlichen
Schutz der finanziellen Interessen der EU Abhilfe geschaffen werden.
- Verstärkter institutioneller Rahmen auf europäischer Ebene: Sowohl das OLAF, das derzeit reformiert
wird, als auch Eurojust müssen gestärkt werden, um wirksamer ermitteln zu können.
- Darüber hinaus wird die EU die Anwendung gemeinsamer Regeln über Betrug und andere Straftaten gegen
die finanziellen Interessen der EU durch eine spezialisierte Europäische Staatsanwaltschaft prüfen.
Unzureichende rechtliche Maßnahmen
Die Vielzahl unterschiedlicher nationaler Rechtsordnungen in Europa macht den Schutz der finanziellen Interessen
der EU zu einer besonderen Herausforderung. Betrug und Korruption in Zusammenhang mit EU-Mitteln können auf
nationaler Ebene viele Formen annehmen. Kriminelle können rechtswidrig an EU-Gelder gelangen, die für
Landwirtschafts-, Forschungs-, Bildungs- oder Infrastrukturprojekte bestimmt waren, oder versuchen, Amtsträger
durch Bestechung zu beeinflussen.
Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten entscheiden gemäß ihren innerstaatlichen
Vorschriften, wie sie zum Schutz der EU-Finanzen eingreifen - und ob sie es überhaupt tun. Die Verurteilungsquote
in Fällen, in denen es um gegen den EU-Haushalt gerichtete Straftaten geht, schwankt von Mitgliedstaat zu
Mitgliedstaat beträchtlich und liegt zwischen 14 und 80 %.
Bereits jetzt gehen die einzelstaatlichen Ermittlungsbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte gemeinsam
mit OLAF und Eurojust gegen entsprechende Straftaten vor, stoßen dabei aber auf schwerwiegende rechtliche
und praktische Hindernisse.
Dazu zählen die Beschränkung ihrer Zuständigkeit auf innerstaatliche Fälle, rechtliche Probleme
bei der Verwertung von Beweismaterial aus dem Ausland und ungleiche Vorschriften für die Bekämpfung von
Betrugs- und verwandten Delikten. Das führt dazu, dass nationale Behörden Ermittlungen einstellen und
Fälle gar nicht erst vor Gericht gelangen, obwohl das OLAF bereits ermittelt und den Fall als ausreichend
schwerwiegend eingestuft hatte.
Als Beispiel verweist die Kommission auf einen Fall, in dem mehrere Mitgliedstaaten und Drittländer betroffen
waren. Dort ging um eine groß angelegte Umgehung von Zollabgaben mit einem Schadensvolumen von über
1,5 Mio. Euro. Keine der nationalen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten hat Strafverfolgungsmaßnahmen
eingeleitet.
Seit dem Jahr 2000 sind 93 der insgesamt 647 OLAF-Fälle von den nationalen Strafverfolgungsbehörden ohne
Angabe konkreter Gründe zurückgewiesen worden. Außerdem wurden 178 Fälle aus Ermessensgründen
nicht weiterverfolgt.
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