Festveranstaltung zu 200 Jahre ABGB im Hohen Haus
Wien (pk) - Zu einem Geburtstag der besonderen Art lud Nationalratspräsidentin Barbara Prammer
am 24.05. ins Parlament. Das "Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch", auch heute noch zentrale Richtschnur
der heimischen Rechtspflege, wurde vor 200 Jahren erlassen. Aus diesem Grund fanden sich heute zahlreiche PolitikerInnen,
WissenschaftlerInnen und JuristInnen im Hohen Haus ein, um dem Anlass mit einer eigenen Veranstaltung gerecht zu
werden.
Für den Festvortrag konnte em. Univ.-Prof. Rudolf Welser gewonnen werden, die Eröffnung erfolgte durch
den Vorstand des Instituts für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien und ehemaligen
Dritten Nationalratspräsidenten Wilhelm Brauneder.
Prammer nannte in ihrer Begrüßungsansprache die heutige Veranstaltung den Auftakt einer groß angelegten
Würdigung des ABGB, wobei das Parlament wohl der geeignete Ort sei, die Schaffung eines solchen Gesetzeswerkes
entsprechend zu begehen. Im Herbst werde es eine weitere Veranstaltung zum Thema geben, kündigte die Präsidentin
an, bei welcher sich dann Studierende mit der Thematik auseinandersetzen würden. Heute allerdings würde
das ABGB aus der Sicht der Wissenschaft beleuchtet, die sich auch morgen am Juridicum im Rahmen eines Symposions
noch mit dem ABGB beschäftigen werde.
Nachdem die Präsidentin von ihren persönlichen Erfahrungen mit dem ABGB berichtet hatte, meinte sie,
man sei stolz darauf, die zweitälteste Privatrechtskodifikation der Welt zu haben. Es mag das ABGB für
den normalen Menschen ein Buch mit sieben Siegeln sein, dennoch betreffe es alle. Daran würden auch diverse
Erneuerungen nichts ändern – so stehe im Herbst eine Neufassung des Schadensersatzrechts an -, denn in seiner
Gesamtheit werde das ABGB auch weiterhin seine Wirkung entfalten.
Über die "Strahlkraft" eines alten Gesetzeswerkes
Der ehemalige Dritte Präsident des Nationalrats Wilhelm Brauneder meinte, es sei überaus selten, dass
ein Gesetzeswerk 200 Jahre alt werde. Lediglich der Code Napoleon habe es 2004 zu einem solchen Jubiläum gebracht.
Der 200. Geburtstag des ABGB sei umso bemerkenswerter, als sich der staatliche Geltungsbereich dieses Codex mehrmals
grundlegend gewandelt habe. Ursprünglich für das Kaisertum Österreich erlassen, galt es ein halbes
Jahrhundert für die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie, wenngleich es im ungarischen Reichsteil
formal nicht in Kraft war.
Nach dem staatlichen Zusammenbruch des Habsburgerreiches zeigte sich jedoch seine Vorbildwirkung, denn gleich mehrere
Nachfolgestaaten, etwa die Tschechoslowakei, Polen und Jugoslawien, übernahmen den Gesetzestext des ABGB in
ihren Rechtsbestand. Das ABGB überstand somit den Übergang von der Monarchie zur Republik und ging auch
aus dem temporären Ende Österreichs letztlich unbeschadet hervor. In diesem Lichte könne man ermessen,
welche Strahlkraft diesem Gesetzbuch innewohne, sodass es nur würdig und recht sei, seinem Zustandekommen
vor 200 Jahren hier im Hohen Haus zu gedenken, meinte Brauneder, der abschließend der Präsidentin dafür
dankte, diese Gedenkveranstaltung im Parlament abhalten zu können, und ihr einen Reprint der Druckfassung
des ABGB von 1811 überreichte.
Ein Gesetz für alle Fälle – von der Wiege bis zum Grabe
In seinem Festvortrag erklärte der emeritierte Universitätsprofessor Rudolf Welser, ungefähr 60
Jahre lang seien für dieses Gesamtwerk des bürgerlichen Rechts Vorarbeiten geleistet worden, in deren
Verlauf die Kodifikation klarer, verständlicher und abgerundeter, ja sogar kürzer geworden war. Die Arbeit
wurde von den besten Juristen aus allen Teilen der Monarchie geleistet, als eigentliche Verfasser gelten aber Karl
Anton von Martini und Franz von Zeiller.
Damals hätte wohl noch niemand vorhergesehen, dass dieses Gesetz auch 200 Jahre später noch umfassende
Geltung besitzen würde. Das ABGB sei ein Gesetz, mit dem man schon bei der Geburt Bekanntschaft mache, nach
welchem man sich verlobe, verheirate und scheiden lasse, ein Gesetz, nach dessen Vorschriften man sein Haus, sein
Grundstück, seinen Acker gekauft habe, nach dem man seine täglichen Geschäfte mache, sein Brot verdiene,
seine Wohnung miete, seine Jause kaufe, sich Geld ausleihe, im Gasthaus zahle und zuletzt sein Hab und Gut weitervererbe.
Von der Wiege bis zum Grabe lebten und leben die Leute – auch wenn sie es bei weitem nicht wussten oder wissen
– nach dem ABGB, nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch. Das Gesetz sei "allgemein", weil
es für alle gleichermaßen gilt. Dass es bürgerlich heiße, deute nicht auf Bourgeoisie, auf
einen besonderen Bürgerstand, sondern auf das römische Zivilrecht, das Recht der cives Romani hin. Eine
Bevorzugung der Bürger im Sinne der französischen Revolution liege darin nicht, im Gegenteil: die vielzitierten
Paragraphen, welche die grundlegenden Rechte einzelnen Personen zuordnen, beginnen mit "Jeder" oder "Jeder
Mensch".
Genauso wenig wie die jahrhundertelange Geltung des Gesetzes sei vorherzusehen gewesen, welche verschiedene Zeiten
es während seiner Geltung, die sich auf große Teile Europas erstreckte, erleben und überleben sollte:
Die Kriege des Kaisertums und der Monarchie im 19. Jahrhundert, die vielfältigen Nationalitätenkonflikte
im Vielvölkerstaat, zwei Weltkriege, den Zusammenbruch der Doppelmonarchie, das zweimalige Entstehen der Republik,
eine Vielzahl von Staatsverfassungen, nicht nur in Österreich, sondern auch in den Nachfolgestaaten. Revolutionen
und gesellschaftliche Umwälzungen, auch solche von großer historischer Bedeutung wie jene von 1848,
1918, 1934 und 1938 ließen das ABGB unberührt.
Eine Kodifikation, die sich unter solchen Umständen bis zum heutigen Tag ihre Lebenskraft erhalten habe und
die noch heute eine der besten Zivilrechtsordnungen darstelle, verdient es, so Welser, nach 200 Jahren gewürdigt,
ja gefeiert zu werden: als rechtswissenschaftliche Glanzleistung, aber auch als lebendige kulturelle Erscheinung.
Welser meinte sodann, die Anerkennung, die wir unserem Gesetzbuch entgegenbringen, habe nie bedeutet, dass es unberührt
bleiben, versteinern, zum Denkmal werden sollte. Im Gegenteil: das ABGB habe nur deshalb überlebt und sich
bewährt, weil es immer wieder novelliert und den Entwicklungen und Notwendigkeiten verschiedener Zeiten angepasst
wurde. Bis heute ist dies 83 mal geschehen. Daneben müsse noch auf eine andere Erscheinung hingewiesen werden:
Manche große Rechtsgebiete hätten sich als Ganzes überhaupt vom ABGB emanzipiert und seien "selbständig"
geworden. Dies gelte vor allem für das Arbeitsrecht.
Gerade in letzter Zeit würden Stimmen laut, die für eine Art "Generalüberholung" des ABGB
einträten. Eine Kodifikation, die sich 200 Jahre bewährt habe, tiefgreifend zu reformieren, sei allerdings
keine leichte Aufgabe. Nur eine der Fragen, die sich dabei stelle, sei jene, für welche Änderungen wirklich
ein Bedarf besteht. Genügten theoretische Anliegen, etwa die Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher
Strömungen, oder sollte auch in der Praxis eine gewisse Unzufriedenheit mit dem bisherigen oder ein Gefühl
der Lückenhaftigkeit bestehen? Es müsse vermieden werden, dass es zu einer sogenannten "Professorenreform"
kommt, für die über den Kreis der Gelehrten hinaus kein Bedarf wahrgenommen wurde, mahnte Welser.
Was immer man neu machen wolle: Das große Werk des ABGB verdiene jedenfalls Respekt. Schon vor 25 Jahren
sei aus Anlass des 175-Jahr-Jubiläums des ABGB verlangt worden, dass man bei jeder Reform dem Geist des ABGB
treu bleiben und bei der Anpassung des Gesetzes an neue Verhältnisse äußerst behutsam vorgehen
solle. Vor jeder Neuerung um der Neuerung willen, vor selbstgefälliger und überheblicher Besserwisserei
könne nicht dringend genug gewarnt werden. Dasselbe gelte für die Gefahr, dass sich aus Theorie und Dogmatik
kommende Reformatoren auf Kosten bewährter Konstruktionen selbst ein Denkmal setzen.
Das ABGB habe jedenfalls seine Lebenskraft bewiesen, hielt Welser abschließend fest. Es brauche weder vom
Inhalt noch von der Form her den Vergleich mit jüngeren Gesetzen zu scheuen. Natürlich seien aber Reformen,
Anpassungen an die heutigen sozialen Gegebenheiten, an den internationalen Handel und an sonstige Umstände,
vor allem aber an die europäische Rechtsentwicklung notwendig: "Haben wir keine Angst vor Reformen, auch
nicht vor einer Generalüberholung, aber machen wir sie so, dass Wesen und Wert des ABGB erhalten bleiben,
so dass wir es auch nach der Reform noch als Ganzes, als unsere Kodifikation, wiedererkennen. Möge die künftige
Reform ebenso gelingen wie das heute zweihundert Jahre alte ABGB gelungen ist", so Welsers Resümee. |