Spitzenposition für Deutschland, Österreich und die Niederlande - Ergebnis einer Tagung
der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bei der OECD
Wien (wifo) - Die Beschäftigungssituation entwickelte sich in der Wirtschaftskrise 2008/09 international
sehr unterschiedlich, teilweise parallel zur Tiefe der Krise, aber auch mit deutlichem Einfluss der Ausgangssituation
und der Wirtschaftspolitik in der Krise. Generell reagierte der Arbeitsmarkt in der Krise weniger heftig als aufgrund
des Rückganges der Wirtschaftsleistung zu befürchten war. Die Beschäftigung steigt in den meisten
Ländern, die Arbeitslosenquote geht zurück, liegt jedoch mit Ausnahme von Deutschland über dem Vorkrisenniveau.
Die Arbeitslosigkeit der jüngeren Bevölkerungsgruppe steigt überdurchschnittlich, die der älteren
unterdurchschnittlich.
Das jährliche Treffen der Wirtschaftsforschungsinstitute in Paris beschäftigte sich mit der Reaktion
des Arbeitsmarktes in der Wirtschaftskrise und der Entwicklung in der derzeitigen Erholungsphase. Neben den europäischen
Spitzeninstituten nahmen Vertreter aus den USA, aus Brasilien, Mexiko, Neuseeland, Australien, Japan und Kanada
teil. Das WIFO präsentierte auf der Konferenz eine Analyse der nach Ländern unterschiedlichen Reaktion
des Arbeitsmarktes in der Krise. Ein dafür neu entwickelter Indikator der Arbeitsmarktentwicklung erfasst
Trends von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit sowie der Erwerbsquote. Die Analyse umfasst 29 Industrieländer
einschließlich Mexikos und der Türkei für die Krisenjahre 2008/2010.
Nach diesem Indikator gehört Österreich gemeinsam mit Polen, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden
zu den Top-5-Ländern (und zwar auf Rang 4). Die Arbeitslosenquote stieg 2009 um nur 1 Prozentpunkt auf 4,8%
und geht seit 2010 wieder zurück. Die Beschäftigung übertrifft bereits wieder das Vorkrisenniveau,
ebenso die Erwerbsquote. Die gute Position Polens und der Schweiz ist nicht überraschend: Polen verzeichnete
als einziges EU-Land auch in der Wirtschaftskrise einen Anstieg, die Schweiz einen nur geringen Rückgang der
Wirtschaftsleistung. Besonders auffallend ist die gute Entwicklung in Deutschland, da hier der Produktionsrückgang
überdurchschnittlich war; auch in den Niederlanden und in Österreich reagierte der Arbeitsmarkt schwächer,
als der Produktionsrückgang erwarten hätte lassen.
Die schärfste Arbeitsmarktreaktion zeigt der Indikator für Irland, Island, Spanien, Portugal und für
die USA (diese liegen in Bezug auf die Dynamik des Arbeitsmarktes an 26. Stelle unter 29 Ländern, obwohl der
Rückgang der Wirtschaftsleistung unterdurchschnittlich war). Während die Entwicklung in Irland und Island
mit dem Krisenverlauf übereinstimmt, war der Einbruch der Wirtschaftsleistung in Spanien und Portugal im Krisenjahr
selbst relativ gering, allerdings stockt die Erholung wegen der notwendigen Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte. In den USA fiel die Arbeitsmarktreaktion wesentlich heftiger aus als jene der Wirtschaftsleistung: Die
Arbeitslosenquote beträgt auch 2011 nach der jüngsten WIFO-Prognose noch 9%, nachdem sie vor der Krise
unter 5% gelegen war. Die Beschäftigung wächst in den USA in der Erholungsphase viel schwächer als
in früheren Erholungsphasen. Stärker als die Wirtschaftsleistung reagierte der Arbeitsmarkt auf die Krise
auch in Australien und Korea.
Die Unterschiede der Arbeitsmarktreaktion werden in hohem Maß durch die Bedingungen vor dem Eintritt der
Rezession erklärt. In Ländern mit besserer Außenhandelsposition vor der Krise fiel die Reaktion
des Arbeitsmarktes milder aus, in Ländern mit überdurchschnittlichem Kreditwachstum ungünstiger.
Budgetsaldo oder Höhe der Staatsschuld liefern keinen Erklärungsbeitrag, ebenso nicht die Landesgröße,
das Pro-Kopf-Einkommen oder der Industrieanteil am BIP. Von den länderspezifischen Charakteristika des Arbeitsmarktes
hatten einerseits Regulierungen, andererseits auch Elemente der Flexibilität wie Teilzeitbeschäftigung,
Ausgaben für Training und Weiterbildung positiven Einfluss auf die Entwicklung. Besonders wichtig war auch
die Dynamik des Arbeitsmarktes vor der Krise: In jenen Ländern, in denen die Arbeitslosigkeit 2007 gesunken
war, wurde versucht, verstärkt Beschäftigung zu halten, vermutlich weil die Unternehmen den dauerhaften
Verlust von qualifizierten Arbeitskräften vermeiden wollten.
Der Vergleich der Arbeitsmarktentwicklung relativ zur Wirtschaftsdynamik deutet auf den Erfolg von angepassten
Doppelstrategien hin. Stark negative Reaktionen des Arbeitsmarktes auf die Wirtschaftskrise blieben aus, wenn einerseits
eine angemessene Regulierung der Märkte vorlag und andererseits in der Krise eine maßgeschneiderte Anpassungsstrategie
die unmittelbare Krisenwirkung abfederte. Beispiele dafür waren z. B. Kurzarbeitsregelungen und Arbeitszeitkonten,
oft auf betrieblicher Ebene verhandelt, aber mit staatlicher Unterstützung kombiniert.
Die Befürchtung, dass die Abfederung der Arbeitsmarktreaktion auf die Wirtschaftskrise ("Arbeitskräftehortung")
den Wiederanstieg der Beschäftigung verlangsamen würde, erwies sich nicht als zutreffend: In den Ländern
mit der relativ zur Produktion besten Arbeitsmarktentwicklung nahm die Beschäftigung 2011 stärker zu
und die Arbeitslosigkeit deutlicher ab, während die Erholung in den Ländern mit der stärksten Reaktion
des Arbeitsmarktes auch in der Erholung von Beschäftigung und Produktion zurückbleibt. Dies könnte
darauf zurückgehen, dass die Abfederung der Arbeitsmarktreaktion durch die Wirtschaftspolitik die Unsicherheit
von Unternehmen und privaten Haushalten verringerte, sodass diese rascher auf Erholungssignale reagieren. |