"Ich kann dich nicht riechen"   

erstellt am
29. 06. 11

Verlust & Lernen des Geruchssinns
Wien (pr&d) - Neuronale und biochemische Vorgänge, die durch einen Verlust des Riechvermögens betroffen sind, werden jetzt erforscht. Diese Untersuchungen bieten einen Einblick in die Auswirkungen des Geruchsverlustes auf relevante Gehirnbereiche. In einem mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF durchgeführten Projekt werden so Grundlagen einer Erkrankung erarbeitet, die erstaunlich viele Personen betrifft. Insbesondere werden dabei auch die Vorgänge bei Personen untersucht, die das Riechen nach einem Verlust wieder neu erlernen.


Zwar wünschten wir manchmal, es wären weniger, dennoch: 20 Prozent unserer Umwelt erfassen wir mit dem Geruchssinn. Dieser ist nicht nur ausgesprochen hoch entwickelt, sondern vermittelt auch wichtige soziale Funktionen. Das erfahren insbesondere Menschen, die keine Geruchswahrnehmung mehr haben. Diese als Anosmie bezeichnete neuronale Erkrankung führt in der Folge oftmals zu schlechter Ernährung, Depressionen und Einsamkeit. Obwohl bis zu 5 Prozent der Bevölkerung an dem totalen Verlust der Geruchswahrnehmung leiden - und 15 Prozent unter einem teilweisen -, ist wenig über die Auswirkungen dieses Ausfalls auf höhere neuronale Prozesse bekannt. In einem jetzt gestarteten Projekt des Wissenschaftsfonds FWF werden diese nun an der Medizinischen Universität Wien erforscht. Dabei nutzt man ein erst seit Kurzem bekanntes Phänomen: Einigen PatientInnen mit Anosmie gelingt es, durch spezielles Training Teile ihrer Geruchswahrnehmung wiederzuerlangen.

Olefaktorisches Fitnessprogramm
Zu dem speziellen Untersuchungsansatz meint die Projektleiterin Dr. Veronika Schöpf, Abt. für Neuroradiologie und Muskuloskelettale Radiologie der Universitätsklinik für Radiodiagnostik: "In den letzten Jahren wurde bekannt, dass Betroffene durch spezielle Trainingsmethoden einen gewissen Umfang ihrer Geruchswahrnehmung wiedergewinnen können. Wie das Training wirkt, ist dabei genauso wenig bekannt wie die neuronale Verarbeitung chemosensorischer Information bei Betroffenen. Für uns bietet ein Wiedererlangen der Geruchswahrnehmung aber eine Möglichkeit zu erfahren, wie sich Anosmie auf neuronale Vorgänge auswirkt."

Eine Methode, die Dr. Schöpf dabei für ihre Arbeit benutzt, ist die fMRT (funktionelle Magnetresonanztomografie). Diese Art der Magnetresonanztomografie erlaubt die bildgebende Darstellung von physiologischen Aktivitäten im menschlichen Körper. Aufgrund ihres nicht invasiven Wirkprinzips bietet sich die fMRT für Untersuchungen in besonders sensiblen Bereichen wie dem Gehirn an.

In einem Teil des Projekts wird nun untersucht, ob sich das spezielle Riechtraining auch auf die Aktivität einzelner Gehirnregionen wie den olfaktorischen Kortex auswirkt. Ein Vergleich der Aktivitäten vor und nach einem solchen Training soll dazu Auskunft liefern und zusätzlich klären, ob andere Gehirnstrukturen zur Kompensation des Geruchsverlustes aktiviert werden.

Ein weiterer Kompensationsmechanismus könnte im Trigeminus - dem wichtigsten Nerv für die olfaktorische Wahrnehmung - erfolgen. Zur Klärung dieser Hypothese wird das Team um Dr. Schöpf chemosensorische Stimuli entlang des Nervs von Gesunden und Betroffenen mittels fMRT vergleichen. Gleichzeitig werden dabei auch der Verbrauch an Energie und die relativen Konzentrationen von Neurotransmittern gemessen.

Schnüffeln für die Wissenschaft
Aber auch ein ganz besonderer Vorgang des Riechens wird von Dr. Schöpf näher untersucht: das Schnüffeln, auch als "Sniffing" bezeichnet. Dazu Dr. Schöpf: "Wir wissen heute, dass Sniffing mehr ist als nur eine intensive Form des Ansaugens von Luft in die Nasenhöhle. Tatsächlich bewirkt das Schnüffeln eine gesteigerte neuronale Aktivität im olfaktorischen Kortex. Das passiert selbst dann, wenn gar kein Geruchsstoff eingesogen wird. Uns interessiert nun, ob diese Art der neuronalen Aktivierung auch in den Gehirnen von Menschen mit Anosmie möglich ist."

Die Ergebnisse dieses interdisziplinären Projekts von MedizinerInnen, PhysikerInnen und GeruchsforscherInnen werden eine wichtige Grundlage zum Verständnis der Anosmie bieten - und können gleichzeitig auch zur Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten beitragen. Darüber hinaus liefert dieses vom FWF unterstützte Projekt einen grundlegenden Einblick in die neuronalen Vorgänge eines unserer wichtigsten Sinne.
     
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