Verlust & Lernen des Geruchssinns
Wien (pr&d) - Neuronale und biochemische Vorgänge, die durch einen Verlust des Riechvermögens
betroffen sind, werden jetzt erforscht. Diese Untersuchungen bieten einen Einblick in die Auswirkungen des Geruchsverlustes
auf relevante Gehirnbereiche. In einem mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF durchgeführten Projekt
werden so Grundlagen einer Erkrankung erarbeitet, die erstaunlich viele Personen betrifft. Insbesondere werden
dabei auch die Vorgänge bei Personen untersucht, die das Riechen nach einem Verlust wieder neu erlernen.
Zwar wünschten wir manchmal, es wären weniger, dennoch: 20 Prozent unserer Umwelt erfassen wir mit dem
Geruchssinn. Dieser ist nicht nur ausgesprochen hoch entwickelt, sondern vermittelt auch wichtige soziale Funktionen.
Das erfahren insbesondere Menschen, die keine Geruchswahrnehmung mehr haben. Diese als Anosmie bezeichnete neuronale
Erkrankung führt in der Folge oftmals zu schlechter Ernährung, Depressionen und Einsamkeit. Obwohl bis
zu 5 Prozent der Bevölkerung an dem totalen Verlust der Geruchswahrnehmung leiden - und 15 Prozent unter einem
teilweisen -, ist wenig über die Auswirkungen dieses Ausfalls auf höhere neuronale Prozesse bekannt.
In einem jetzt gestarteten Projekt des Wissenschaftsfonds FWF werden diese nun an der Medizinischen Universität
Wien erforscht. Dabei nutzt man ein erst seit Kurzem bekanntes Phänomen: Einigen PatientInnen mit Anosmie
gelingt es, durch spezielles Training Teile ihrer Geruchswahrnehmung wiederzuerlangen.
Olefaktorisches Fitnessprogramm
Zu dem speziellen Untersuchungsansatz meint die Projektleiterin Dr. Veronika Schöpf, Abt. für Neuroradiologie
und Muskuloskelettale Radiologie der Universitätsklinik für Radiodiagnostik: "In den letzten Jahren
wurde bekannt, dass Betroffene durch spezielle Trainingsmethoden einen gewissen Umfang ihrer Geruchswahrnehmung
wiedergewinnen können. Wie das Training wirkt, ist dabei genauso wenig bekannt wie die neuronale Verarbeitung
chemosensorischer Information bei Betroffenen. Für uns bietet ein Wiedererlangen der Geruchswahrnehmung aber
eine Möglichkeit zu erfahren, wie sich Anosmie auf neuronale Vorgänge auswirkt."
Eine Methode, die Dr. Schöpf dabei für ihre Arbeit benutzt, ist die fMRT (funktionelle Magnetresonanztomografie).
Diese Art der Magnetresonanztomografie erlaubt die bildgebende Darstellung von physiologischen Aktivitäten
im menschlichen Körper. Aufgrund ihres nicht invasiven Wirkprinzips bietet sich die fMRT für Untersuchungen
in besonders sensiblen Bereichen wie dem Gehirn an.
In einem Teil des Projekts wird nun untersucht, ob sich das spezielle Riechtraining auch auf die Aktivität
einzelner Gehirnregionen wie den olfaktorischen Kortex auswirkt. Ein Vergleich der Aktivitäten vor und nach
einem solchen Training soll dazu Auskunft liefern und zusätzlich klären, ob andere Gehirnstrukturen zur
Kompensation des Geruchsverlustes aktiviert werden.
Ein weiterer Kompensationsmechanismus könnte im Trigeminus - dem wichtigsten Nerv für die olfaktorische
Wahrnehmung - erfolgen. Zur Klärung dieser Hypothese wird das Team um Dr. Schöpf chemosensorische Stimuli
entlang des Nervs von Gesunden und Betroffenen mittels fMRT vergleichen. Gleichzeitig werden dabei auch der Verbrauch
an Energie und die relativen Konzentrationen von Neurotransmittern gemessen.
Schnüffeln für die Wissenschaft
Aber auch ein ganz besonderer Vorgang des Riechens wird von Dr. Schöpf näher untersucht: das Schnüffeln,
auch als "Sniffing" bezeichnet. Dazu Dr. Schöpf: "Wir wissen heute, dass Sniffing mehr ist
als nur eine intensive Form des Ansaugens von Luft in die Nasenhöhle. Tatsächlich bewirkt das Schnüffeln
eine gesteigerte neuronale Aktivität im olfaktorischen Kortex. Das passiert selbst dann, wenn gar kein Geruchsstoff
eingesogen wird. Uns interessiert nun, ob diese Art der neuronalen Aktivierung auch in den Gehirnen von Menschen
mit Anosmie möglich ist."
Die Ergebnisse dieses interdisziplinären Projekts von MedizinerInnen, PhysikerInnen und GeruchsforscherInnen
werden eine wichtige Grundlage zum Verständnis der Anosmie bieten - und können gleichzeitig auch zur
Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten beitragen. Darüber hinaus liefert dieses vom FWF unterstützte
Projekt einen grundlegenden Einblick in die neuronalen Vorgänge eines unserer wichtigsten Sinne. |