Nationalrat: Bilanz der Tagungsperiode 2010/11   

erstellt am
11. 07. 11

Weniger Gesetzesbeschlüsse als üblich, aber viel Diskussionsstoff
Wien (pk) - Der Nationalrat hat im abgelaufenen Parlamentsjahr weniger Gesetze als üblich beschlossen. Das zeigt die Bilanz der heute zu Ende gehenden Tagungsperiode 2010/11. Trotz eines "Endspurts" in den letzten Sitzungstagen kamen die Abgeordneten mit insgesamt 96 verabschiedeten Gesetzen nicht an die gewohnten Durchschnittswerte heran. Weniger als 100 Beschlüsse werden sonst nur in verkürzten Tagungen nach Wahlen verzeichnet. Allerdings ist unter den 96 Gesetzen auch ein außergewöhnlich großes Gesetzespaket: Mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 wurden gleich 144 Gesetze novelliert und neun neue Gesetze geschaffen. Rund ein Drittel der Beschlüsse erfolgte einstimmig.

Auf die Zahl und die Dauer der Plenarsitzungen hatte die unterdurchschnittliche Zahl an Gesetzesbeschlüssen allerdings keinen Einfluss. Die Abgeordneten verbrachten rund 300 Stunden im Plenum des Nationalrats, nicht nur um Gesetze und Staatsverträge zu beschließen, sondern auch um aktuelle politische Fragen zu diskutieren und die Regierungspolitik kritisch zu hinterfragen. Dazu kommen 181 Ausschuss- und Unterausschusssitzungen. Weiter enorm hoch blieb auch die Zahl der schriftlichen Anfragen an Regierungsmitglieder (2.797), auch wenn die zuletzt erzielten Rekordzahlen nicht ganz erreicht wurden.

Dämpfend auf die "Gesetzesproduktion" dürfte sich nicht zuletzt die im April erfolgte Regierungsumbildung ausgewirkt haben. In Folge des Rücktritts von Vizekanzler und Finanzminister Josef Pröll wurden zahlreiche Ressorts neu besetzt.

Verspätete Vorlage des Budgets sorgte für heftige Diskussionen
Für besondere Aufregung in dieser Tagung sorgte die verspätete Vorlage des Budgets 2011 durch die Regierung. Die Opposition sprach angesichts der Nichteinhaltung verfassungsrechtlich vorgegebener Fristen von einem "Verfassungsbruch" und protestierte unter anderem mit Filibusterreden sowie einer ganzen Serie erzwungener namentlicher Abstimmungen gegen die Vorgangsweise der Koalition. Selbst eine exakt 12 Stunden und 42 Minuten dauernde Rekordrede von Abgeordnetem Werner Kogler im Bugetausschuss und ein stundenlanger Abstimmungsmarathon im Plenum des Nationalrats konnten den Budgetfahrplan jedoch nicht aus den Angeln heben. Letztendlich wurden das Budget und das zugehörige Budgetbegleitgesetz wie geplant noch rechtzeitig vor Weihnachten beschlossen.

Mit dem Budgetbegleitgesetz wurden insgesamt 144 Gesetze geändert und 9 neue Gesetze geschaffen. Zu den Kernpunkten des Gesetzespakets gehörten dabei eine Kürzung der Familienleistungen, die Erhöhung der Mineralölsteuer und der Tabaksteuer, die Einführung einer Banken- und einer Flugticketabgabe, die Neuordnung der Besteuerung von Kapitalerträgen, die Anhebung der Stiftungs-Zwischensteuer sowie verschiedene Maßnahmen zur Kostendämpfung bei den Pensionsausgaben. Im Gegenzug wurde die Pendlerpauschale erhöht, die Kreditvertragsgebühr gestrichen und ein neues Förderpaket für thermische Sanierung geschnürt. Ein Justizpaket hatte unter anderem eine Kürzung des Gerichtspraktikums, die Streichung der verhandlungsfreien Zeit bei allen Zivilgerichten und eine deutliche Anhebung der Gerichtsgebühren zum Inhalt.

Darüber hinaus beschlossen die Abgeordneten in der vergangenen Tagungsperiode unter anderem die Einrichtung eines Pflegefonds, die Neuregelung des Zugangs für Ausländer zum österreichischen Arbeitsmarkt ("Rot-Weiß-Rot-Card"), mehrere Gesetzespakete gegen Lohndumping, Sozialbetrug und Steuerhinterziehung, ein neues Fremdenrecht, eine Verlängerung des Finanzausgleichs, eine Ausweitung der Ökostrom-Förderung, die Einführung einer Transparenzdatenbank, eine neue Kronzeugenregelung, die Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung, eine neu gestaltete Studieneingangsphase, die Öffnung des Polizeidienstes für Zivildiener, Maßnahmen zur Eindämmung von Missbrauch bei der Briefwahl, transparente Operationswartelisten, den Ausbau der Nachmittagsbetreuung an Schulen, ein Gesetz für mehr Einkommenstransparenz zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen und die Einrichtung eines Fonds zur Sanierung jüdischer Friedhöfe. Außerdem wurden eine Reihe von Bildungsvorlagen verabschiedet, die Wettbewerbsregeln für die E-Wirtschaft adaptiert und der mit den slowenischen Volksgruppenvertretern ausverhandelte Kompromiss zur Lösung des Kärntner Ortstafelkonflikts verfassungsrechtlich abgesichert.

Als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise nahm der Nationalrat unter anderem Änderungen im Finanzsicherheiten-Gesetz vor, verabschiedete ein neues Investmentfondsgesetz und novellierte die Bestimmungen über erlaubte Bonuszahlungen für Bankmanager. Überdies wurde eine eigene Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von schwerer Wirtschaftskriminalität und Korruption eingerichtet. Ausgeweitet wurden auch die Prüfbefugnisse des Rechnungshofs: er darf nunmehr finanziell angeschlagenen Gemeinden verstärkt auf die Finger schauen. Ein neuer innerösterreichischer Stabilitätspakt soll für eine umfassende Haushaltsdisziplizin der Länder und des Bundes sorgen.

Einige Gesetzesvorhaben der Regierung liegen allerdings nach wie vor auf Eis, weil die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit bislang nicht erzielt werden konnte. Das betrifft nicht nur die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie, sondern etwa auch ein neues Gaswirtschaftsgesetz.

Euro-Rettungsschirm und Griechenland-Hilfe heftig umstritten
Besonders intensiv diskutierte der Nationalrat im vergangenen Parlamentsjahr über den Rettungsschirm für den Euro und die Griechenland-Hilfe, die von FPÖ und BZÖ wiederholt in Frage gestellt wurden. Auch die Staatsanwaltschaft geriet in Zusammenhang mit verschiedenen Ermittlungen immer wieder in das Visier der Abgeordneten. Höchst kontroversielle Themen waren außerdem die Abschaffung der Wehrpflicht, die Abschiebung gut in Österreich integrierter ausländischer Familien, der Skandal um die "Hypo Alpe Adria", die vollständige Öffnung des österreichischen Arbeitsmarkts für acht osteuropäische EU-Staaten, Spekulationsverluste und andere Missstände bei den ÖBB und – in Folge der Atomkatastrophe in Japan – die österreichische Anti-Atom-Politik. Die Opposition machte darüber hinaus in regelmäßigen Abständen gegen den "Reformstillstand" in Österreich mobil.

In Folge der "Causa Strasser" rückte in den letzten Wochen das Thema Korruption in den Fokus der Aufmerksamkeit und führte unter anderem zu Diskussionen über Lobbyingagenturen, versteckte Politikerinteressen und Parteienfinanzierung. Um Pauschalverdächtigungen entgegenzuwirken und das beschädigte Image der PolitikerInnen wieder zu heben, haben die Abgeordneten ein umfassendes "Transparenzpaket" in Aussicht genommen. Unter anderem geht es um mehr Transparenz bei Parteispenden und Regierungsinseraten, die Einrichtung eines Lobbyistenregisters, die Verschärfung der Antikorruptionsbestimmungen für Abgeordnete und die Offenlegung von Zusatzeinkünften der MandatarInnen. Neu geregelt werden soll auch die Immunität von Abgeordneten.

Auf der europäischen Agenda standen neben dem dauerhaften Schutzschirm für den Euro und der Griechenland-Hilfe auch das geplante "Six-Pack" zur besseren Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU-Länder und zur Hebung der Haushaltsdisziplin, "Stresstests" zur Prüfung der Sicherheit von Kernkraftwerken, die geplante Reform des EU-Budgets, die EU-Wachstumstrategie Europa 2020 und die Forcierung der Gemeinsamen Außenpolitik.

Im Zuge der im April erfolgten Regierungsumbildung kam es zu einem größeren Sesselrücken. So holte der neue Vizekanzler Michael Spindelegger Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle neu ins Regierungsteam. Das Finanzressort wurde von Maria Fekter, bis dahin Innenministerin, übernommen, die vormalige Wissenschaftsministerin Beatrix Karl löste Claudia Bandion-Ortner an der Spitze des Justizministeriums ab. Mit Reinhold Lopatka und der erst fünf Monate zuvor angelobten Verena Remler mussten auch zwei StaatssekretärInnen aus der Regierung ausscheiden: sie wurden durch die mit neuen Aufgaben betrauten Staatssekretäre Sebastian Kurz (Integration) und Wolfgang Waldner (Außenministerium) ersetzt.

96 Gesetzesbeschlüsse in 39 Sitzungen
Insgesamt traten die Abgeordneten in der Tagung 2010/11 zu 39 Plenarsitzungen mit einer Gesamtdauer von mehr als 298 Stunden zusammen. Dabei verabschiedeten sie 96 Gesetze und genehmigten 33 Staatsverträge sowie 3 neue Vereinbarungen mit den Bundesländern. 28 Berichte der Regierung, des Rechnungshofs und der Volksanwaltschaft wurden zur Kenntnis genommen. 32,3 % der Gesetzesbeschlüsse erfolgten einstimmig. Die längste, im Rahmen der Budgetberatungen abgehaltene, Plenarsitzung dauerte 18 Stunden und 17 Minuten, wobei es sich formal um zwei direkt aufeinanderfolgende Sitzungen handelte.

9 Dringliche Anfragen, 9 Aktuelle Stunden, 8 Misstrauensanträge
Im Rahmen der Plenarsitzungen hielten die Abgeordneten weiters 9 Aktuelle Stunden, 3 Aktuelle Europastunden und 5 Fragestunden mit 36 Fragen und 147 Zusatzfragen ab. Dazu kommen 12 Erklärungen von Regierungsmitgliedern. 15 Gesetzesanträge, darunter das Budget 2011 und das Bundesfinanzrahmengesetz 2012-2015, wurden in Erste Lesung genommen. In mehr als 70 Entschließungen erhielt die Regierung Arbeitsaufträge vom Nationalrat.

Auf Verlangen der Opposition nahm der Nationalrat darüber hinaus 9 Dringliche Anfragen (je 3 F, G und B) und 3 Dringliche Anträge (3 G) in Verhandlung. Weiters hielt er 17 Kurze Debatten (6 F, 4 G, 5 B, 1 BG, 1 FBG) zu schriftlichen Anfragebeantwortungen der Regierung, Fristsetzungsanträgen und Anträgen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ab. Die Oppositionsparteien konnten sich mit ihren Forderungen, die Ermittlungen gegen die Tierschutzszene, Unregelmäßigkeiten im Fall Kampusch sowie die vermutete Verwicklung von Ex-Finanzminister Karlheinz Grasser in die Buwog-Affäre genauer unter die Lupe zu nehmen, aber nicht durchsetzen, auch wenn sie im Fall Grasser insgesamt fünf Anläufe zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses unternahmen.

Auch alle acht Misstrauensanträge der Opposition scheiterten. Sie waren gegen Finanzminister Josef Pröll (2), Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, Verteidigungsminister Norbert Darabos (3) und Finanzministerin Maria Fekter bzw. in einem Fall gegen die gesamte Bundesregierung gerichtet. Vorgeworfen wurde den Regierungsmitgliedern die verspätete Budgetvorlage, ein fehlendes Konzept zur Krisenbewältigung, Missstände in der Justiz, die Vorgangsweise rund um die vorgeschlagene Abschaffung der Wehrpflicht, die Zustimmung zur Griechenland-Hilfe und generell Reformunfähigkeit.

Von den drei Sondersitzungen des Nationalrats in dieser Tagung fanden zwei auf gemeinsames Verlangen der Opposition und eine auf Verlangen der FPÖ statt. Dabei wurden die Verwaltungsreform, die Abschaffung der Wehrpflicht und die Atomkatastrophe in Japan thematisiert.

141 Ausschusssitzungen, 40 Unterausschusssitzungen, 2 Enqueten
Zu den Plenarsitzungen kommen 141 Ausschusssitzungen, 40 Sitzungen von Unterausschüssen und 2 Enqueten. Dabei nahmen die Abgeordneten 57 weitere Berichte der Bundesregierung zur Kenntnis, die nicht mehr ins Plenum kamen.

Besonders häufig tagten in den vergangenen Monaten die für EU-Angelegenheiten zuständigen Ausschüsse des Nationalrats. Seit der Vertrag von Lissabon den nationalen Parlamenten mehr Mitspracherechte bei der EU-Gesetzgebung einräumt, befassen sich die Abgeordneten verstärkt mit aktuellen EU-Vorhaben. Um Bedenken gegen einzelne Initiativen der EU-Kommission zu äußern oder den österreischischen Regierungsmitgliedern Verhandlungsaufträge mit auf den Weg zu geben, griffen sie wiederholt zu den Instrumenten der Stellungnahme und der Mitteilung oder fassten Ausschussfestellungen. Hochrangiger Gast bei der letzten Sitzung des EU-Hauptausschusses war der Präsident des Europäischen Parlaments Jerzy Buzek.

Auch bei einer der beiden Enqueten des Nationalrats ging es um ein EU-Thema: die geplante Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Die zweite Enquete widmete sich der Frage der Einführung des Ethikunterrichts.

Intensive Diskussionen über verschiedene Aspekte der Bildungspolitik wurden in den Unterausschüssen des Wissenschaftsausschusses und des Unterrichtsausschusses geführt.

Vorläufig gescheitert sind die Verhandlungen über eine Untersuchungsausschuss-Reform im Geschäftsordnungskomitee. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hat die Beratungen ausgesetzt, nachdem sich die Fraktionen in wesentlichen Fragen, etwa was den Streitbeilegungsmechanismus bei strittigen Verfahrensfragen betrifft, nicht einigen konnten. Damit bleibt weiter unklar, wann die bereits im Jahr 2009 erfolgte Zusage von SPÖ und ÖVP, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als parlamentarisches Minderheitsrecht zu verankern, umgesetzt wird.

Die Präsidialkonferenz trat in der Tagung 2010/11 zu 16 Sitzungen zusammen.
Mehr als verdoppelt hat sich die Zahl der in der Tagungsperiode eingebrachten Petitionen. Grund dafür sind nicht zuletzt eine Reihe von Gemeinde-Resolutionen, in denen in Anlehnung an eine Initiative der Umweltschutzorganisation Global 2000 ein "weltweiter Atomausstieg" gefordert wird. 20 der zwischen September und Anfang Juli vorgelegten 69 Petitionen haben dieses Anliegen zum Inhalt. Zu den 69 Petitionen kommen weitere 13 Bürgerinitiativen.

Mehr als 2.800 schriftliche Anfragen
Weiter enorm hoch ist die Zahl der schriftlichen Anfragen. Allein bis zum Ende der letzten Sitzung des Nationalrats vergangenen Freitag wurden insgesamt 2.797 Anfragen an Regierungsmitglieder eingebracht. Dazu kommen 14 weitere Anfragen an Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und drei Anfragen an Rechnungshofpräsident Josef Moser.

Die mit Abstand meisten Anfragen gehen dabei wieder auf das Konto der FPÖ (1.404), gefolgt von den Grünen (569) und dem BZÖ (378). Von Seiten der SPÖ wurden 363 Anfragen gestellt, von der ÖVP 62. Dazu kommen 11 Anfragen von Abgeordneten ohne Fraktion und 27 gemeinsame Anfragen.

An die Spitze der AnfragestellerInnen ist wieder SPÖ-Abgeordneter Johann Maier mit exakt 192 schriftlichen Anfragen zurückgekehrt. Ihm folgen die FPÖ-Abgeordneten Harald Vilimsky (176) und Rupert Doppler (157).

Besonderes Interesse zeigten die MandatarInnen neben dem Innenministerium (456 Anfragen) für das Justizministerium (356), das Finanzministerium (258) und das Gesundheitsministerium (246). Immerhin noch 54 Anfragen wurden an das am Ende der Liste rangierende Frauenressort gestellt.

Darüber hinaus war das Hohe Haus auch im abgelaufenen Parlamentsjahr wieder Ort zahlreicher Veranstaltungen und internationaler Kontakte.
     
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