Europäische Kommission hilft Unternehmen, weitere 600 Millionen Euro an Außenständen
grenzüberschreitend einzutreiben
Brüssel (ec.europa) - Ein kleines italienisches Käseunternehmen beliefert einen Tiefkühlpizzahersteller
in Frankreich mit Mozzarella. Als das französische Unternehmen in Zahlungsverzug gerät, stellt die italienische
Firma ihre Lieferungen ein, bleibt aber auf unbeglichenen Rechnungen in Höhe von Tausenden von Euro sitzen.
Wie kann das italienische Unternehmen die Schulden eintreiben? Diese Frage ist momentan nicht leicht zu beantworten.
Betrüger können problemlos Geld von einem Mitgliedstaat in einen anderen verschieben und Guthaben auf
verschiedenen Konten in mehreren Ländern deponieren. Problematisch wird es auch, wenn über das Internet
erworbene Waren nie eintreffen oder ein im Ausland lebender Elternteil keine Unterhaltszahlungen leistet. Ob und
inwieweit Banken angehalten werden können, Geld von Kundenkonten an Gläubiger auszuzahlen, ist derzeit
im innerstaatlichen Recht geregelt. Die aktuelle Rechtslage in den 27 Mitgliedstaaten ist kompliziert und hat langwierige
und kostenaufwändige Verfahren zur Folge. Rund eine Million kleinerer Unternehmen haben Schwierigkeiten, im
Ausland Schulden einzutreiben. So werden Forderungen in Höhe von bis zu 600 Millionen Euro jährlich unnötigerweise
abgeschrieben, weil sich die Unternehmen nicht auf kostspielige, undurchsichtige Rechtsstreitigkeiten in anderen
Ländern einlassen wollen. Um Bürgern und Unternehmen die grenzüberschreitende Eintreibung von Forderungen
zu erleichtern, legt die Europäische Kommission heute einen Vorschlag für einen Beschluss zur vorläufigen
Kontenpfändung vor, der EU-weit zur Anwendung gelangen soll.
„Wir müssen dafür sorgen, dass Forderungen im Ausland genauso einfach eingetrieben werden können
wie im Inland“, erklärte dazu die EU-Justizkommissarin Viviane Reding. „Aufgrund uneinbringlicher Forderungen
gehen Unternehmen ca. 2,6 % ihres Jahresumsatzes verloren. Das ist eine Schwachstelle unseres Binnenmarktes, bei
der dringend Abhilfe geboten ist! Die Unternehmen brauchen eine einfache Lösung – einen Beschluss zur vorläufigen
Kontenpfändung, der europaweit wirksam ist –, damit Gelder gesperrt werden können, bis ein Gericht über
die entsprechenden Forderungen entschieden hat. Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage ist rasches Handeln
vonnöten. Jeder Euro zählt, vor allem für kleinere Unternehmen.“
99 % der Unternehmen in der EU sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Rund eine Million von ihnen sehen sich
Schwierigkeiten bei der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen gegenüber. Die entsprechenden
Verfahren sind kompliziert und verursachen enorme Kosten für Unternehmen, die in der EU grenzüberschreitend
Handel betreiben wollen. Problematisch sind dabei nicht nur die unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften,
sondern auch etwaige zusätzliche Anwalts- und Übersetzungskosten, die den Unternehmen entstehen. Ähnlichen
Schwierigkeiten sehen sich Privatpersonen gegenüber, die ihr Geld von unseriösen Geschäftsleuten
in einem anderen EU-Land zurückbekommen oder ein unterhaltssäumiges Elternteil im Ausland zur Rechenschaft
ziehen wollen.
Ziel des vorgelegten Legislativvorschlags ist es, die grenzüberschreitende Eintreibung von Forderungen zu
erleichtern und Gläubigern in dieser Hinsicht mehr Sicherheit zu bieten und somit das Vertrauen in den Handel
im EU-Binnenmarkt zu stärken. Der Vorschlag ist Teil der Kommissionsagenda „Justiz für Wachstum“, die
darauf abstellt, das Potenzial des gemeinsamen Rechtsraums der EU zugunsten von Handel und Wachstum auszuschöpfen.
Hintergrund
Mit der Verordnung wird ein Europäischer Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung eingeführt,
der Gläubigern ermöglichen soll, den geschuldeten Betrag auf einem Schuldnerkonto sperren zu lassen.
Der Beschluss kann in Verfahren zur Eintreibung von Forderungen von maßgeblicher Bedeutung sein, da er verhindert,
dass Schuldner vor Erwirkung und Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache Geld von ihrem
Konto abheben oder ihr Vermögen beiseite schaffen können. Damit erhöhen sich die Chancen auf eine
erfolgreiche Eintreibung von Forderungen im Ausland.
Der neue Europäische Beschluss wird Gläubiger in die Lage versetzen, in allen EU-Mitgliedstaaten unter
denselben Bedingungen Bankguthaben vorläufig pfänden zu lassen. Wichtig ist dabei auch, dass die nationalen
Systeme zur vorläufigen Pfändung von Guthaben unverändert bestehen bleiben. Der Kommissionsvorschlag
sieht lediglich vor, dass parallel dazu ein europäisches Verfahren eingeführt wird, auf das Gläubiger
zurückgreifen können, um Forderungen in anderen EU-Ländern einzutreiben. Bei dem neuen Verfahren
handelt es sich um eine einstweilige Sicherungsmaßnahme. Um das Geld tatsächlich zu erlangen, muss der
Gläubiger nach dem innerstaatlichen Recht oder mit einem der vereinfachten europäischen Verfahren (wie
dem europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen) eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung
in der Hauptsache erwirken.
Der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung wird Gläubigern als Alternative zu
den im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Instrumenten zur Verfügung stehen. Er wird auf die Sicherung von
Konten ausgerichtet sein, also lediglich die Sperrung von Schuldnerkonten bewirken, nicht aber die Auszahlung von
Geld an Gläubiger gestatten. Er wird nur in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug zur Anwendung
gelangen und ohne vorherige Anhörung des Schuldners erlassen. Das heißt, er wird erlassen, ohne dass
der Schuldner davon weiß; somit bleibt der „Überraschungseffekt“ erhalten. Der Rechtsakt enthält
einheitliche Zuständigkeitsvorschriften und regelt folgende Aspekte: Bedingungen und Verfahren für den
Erlass des Beschlusses, Offenlegungsbeschluss in Bezug auf Bankkonten, Vollstreckung durch nationale Gerichte und
Behörden, Rechtsbehelfe des Schuldners und sonstige Elemente des Schuldnerschutzes.
Der Verordnungsvorschlag wird nun an das Europäische Parlament und den Rat der EU weitergeleitet; seine Annahme
erfolgt im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit. |