Wien (medienservicestelle) - Die Zuwanderung aus den EU-Mitgliedstaaten hat den Mangel an qualifizierten
Arbeitskräften bisher weitgehend abdecken können. Zu diesem Schluss kommt die Studie „Deckung des Arbeitskräftebedarfs
durch Migration in Österreich“ des Europäischen Migrationsnetzwerkes (EMN). Dass es überhaupt diesen
Mangel gibt, sieht die Forscherin und Studienautorin Gudrun Biffl in den Unzulänglichkeiten des österreichischen
Bildungssystems begründet.
Basis der Untersuchung waren die Daten der jährlichen Arbeitskräfteerhebungen der Statistik Austria.
Einer der Trends, die zwischen 2005 und 2010 beobachtet werden konnten: Das durchschnittliche Qualifikationsniveau
der EU-Bürger ist gesunken, während jenes der Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten (Drittstaatsangehörige)
gestiegen ist.
Zuwanderer aus EU-15 am besten ausgebildet
„Durch die zunehmende Migration aus der EU hat sich deren Struktur verändert. Es sind mehr gering
qualifizierte Arbeitskräfte nach Österreich gekommen“, erklärt Biffl, die an der Donau-Uni Krems
das Department für Migration und Globalisierung leitet, in einem Gespräch mit der Medien-Servicestelle.
“Wir stellen fest, dass das Sozialsystem unter anderem auch schlecht qualifizierte ‘Hartz-IV-Flüchtlinge’
aus Deutschland anzieht.“
Nichtsdestotrotz sind die Zuwanderer aus den „alten“ EU-Staaten (EU-15) im Durchschnitt am besten ausgebildet und
machten 2009 rund 6,0 Prozent aller mittel- und hochqualifizierten Erwerbstätigen hierzulande aus (2004: 4,4
Prozent).
“Rot-Weiß-Rot-Karte” bringt Verbesserungen, löst aber nicht alle Probleme
Die Ergebnisse sind laut Studie ein Indiz dafür, dass es seit 2003 gelungen sei, die Zuwanderung hochqualifizierter
Drittstaatsangehöriger zu fördern. „Aber es wurde auch der Zuzug unqualifizierter Drittstaatsangehöriger
reduziert, indem zum Beispiel Sozialhilfe-Empfänger seit 2006 keine Familienmitglieder mehr nachholen können“,
ergänzt Biffl.
Allerdings nennt sie auch Faktoren, die die Zuwanderung von Hochqualifizierten bisher behindert haben. So haben
Drittstaatsangehörige derzeit keinen Zugang zum öffentlichen Sektor, der traditionell viele Akademiker
aufnimmt. In der Privatwirtschaft wiederum waren die Einstiegsgehälter bisher oft zu gering, um die nötige
Einkommensschwelle für eine Niederlassungsbewilligung zu erreichen.
Zumindest in diesem zweiten Punkt bringe die seit 1. Juli geltende „Rot-Weiß-Rot-Karte“ eine Verbesserung.
Denn das neue Punktesystem hat Kriterien wie Qualifikation, Sprachkenntnisse und Alter in den Vordergrund gerückt
und soll u.a. Hochqualifizierten den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern (siehe dazu auch “Österreich bekommt
neues Zuwanderungssystem”).
Was sich laut Studie nicht so bald ändern wird: Der österreichische Arbeitsmarkt ist von internen Karriereleitern
geprägt, was Neueinsteiger benachteiligt (Insider-Outsider-Problematik). Es sei für viele junge, gut
qualifizierte Menschen wenig reizvoll nach Österreich zu kommen, um dann wieder „von unten“ und mit weniger
Gehalt neu anzufangen. Diese Struktur „könnte die Anstrengungen der Zuwanderungspolitik (…) behindern“, wird
in der Studie gewarnt.
Zu wenig Erwachsenenbildung, zu viele Schul-Drop-Outs
Dass es überhaupt einen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften gibt, sei in erster Linie ein
hausgemachtes Problem: „Das Bildungssystem produziert nicht rasch genug, und die Erwachsenenbildung, die so wichtig
wäre, liegt im Argen. Außer dem Arbeitsmarktservice kümmert sich niemand darum“, kritisiert Biffl.
Die Wissenschafterin erinnert an den eklatanten Mangel an Pflegekräften in Österreich. Sie macht dafür
das regional fragmentierte Ausbildungswesen im Bereich der Gesundheitsvorsorge verantwortlich. Da es nicht Teil
des höheren Bildungsweges ist und nicht mit Matura abschließt, bleiben Gehalt, sozialer Status und Aufstiegschancen
in diesen Berufen auf geringem Niveau. Gleichzeitig schließen viele Jugendliche überhaupt keine Berufsausbildung
ab. Biffl: „Die hohen Drop-Out-Raten, die wir in Österreich haben, muss man sich einmal leisten können.“ |