München (idw) - Ein neuer Biomarker könnte laut einer aktuellen Studie eine prognostische Aussage
über den Verlauf der Volkskrankheit rheumatoide Arthritis (RA) erlauben. Die Ergebnisse der Studie wurden
kürzlich in der Zeitschrift Annals of the Rheumatic Diseases veröffentlicht. Kern dieser Arbeit ist die
Analyse des Zellhormons Interleukin-22 (IL-22) als prognostischer Marker für die Entwicklung von Knochenerosionen
und damit einer strukturellen Gelenkzerstörung bei Patienten mit RA.
Grundlage und Motivation für dieses Projekt war zunächst die Beobachtung, dass es zu Beginn der Erkrankung
aus bisher unbekannten Gründen zu einer gesteigerten immunologischen Aktivität mit verstärkter Sekretion
bestimmter CD4 T-Zell-Zytokine kommt. Diese gesteigerte immunologische Aktivität resultiert in einer von CD4
T-Zellen mediierten Entzündungsreaktion, welche persistiert und in der Folge bei zwei Drittel der Patienten
bereits nach kurzer Dauer zu Erosionen an den Gelenken führt. Die Folgen sind für Patienten wegen zunehmender
Behinderung fatal und überdies für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft durch direkte und in-direkte
Kosten erhebliche ökonomische Belastungen (geschätzt 20 Mrd. €/Jahr in Deutschland)
Die Identifizierung von Molekülen, die an der Entwicklung von Entzündung und Gelenkerosionen/-destruktionen
beteiligt sind, stellt daher eine der größten Herausforderungen der modernen rheumatologischen Forschung
dar. Von besonderem Interesse sind solche Biomarker, welche eine prognostische Aussage darüber erlauben, ob
der jeweilige Patient im Verlauf der Erkrankung Gelenkerosionen/-destruktionen entwickeln wird; denn das primäre
Ziel moderner Therapien ist es letztlich, Gelenkdestruktionen durch konsequente Therapie zu vermeiden.
In der vorliegenden Studie konnte erstmals nachgewiesen werden, dass bei einigen Patienten mit RA erhöhte
Serumspiegel des pro-inflammatorischen Zytokins IL-22 vorliegen. Diese erhöhten IL-22 Serumspiegel korrelieren
interessanterweise hoch signifikant mit der frühen Entstehung von Gelenkerosionen.
IL-22 ist ein Zytokin, das in erster Linie von CD4 T-Zellen produziert wird. Der Rezeptor für IL-22 wird in
verschiedenen Geweben des Gelenkes exprimiert. In früheren Studien konnte bereits gezeigt werden, dass IL-22
synoviale Fibroblasten aktiviert, welche wiederum knorpeldestruierende Proteinasen sezernieren und auf diesem Weg
zur Zerstörung des Knorpels beitragen können. Darüber hinaus fördert IL-22 die Entstehung von
Osteoklasten, die maßgeblich an der Entstehung von Knochenerosionen beteiligt sind. Ergebnisse dieser in
vitro-Studien konnten bereits als Hinweise für eine pathophysiologische Funktion von IL-22 bei der Entstehung
von Gelenkerosionen angesehen werden.
In der jetzt publizierten Studie, die an der Rheumaeinheit der LMU (Leiter: Prof. Dr. Hendrik Schulze-Koops) durchgeführt
wurde, konnte die Bedeutung von IL-22 bei der Entstehung von Gelenkerosionen anhand einer homogenen, klinisch gut
definierten Kohorte von RA-Patienten untersucht werden. Um eine unverfälschte Analyse hinsichtlich der IL-22
Produktion zu Beginn der Erkrankung gewährleisten zu können, wurden nur Patienten mit einer mittleren
Symptomdauer von < 3 Monaten in die Studie eingeschlossen, die zudem noch keinerlei immunmodulierende Therapie
erhalten haben durften. Ungefähr die Hälfte der RA-Patienten (49%) wies zu Beginn der Erkrankung deutlich
über der Norm liegende IL-22-Werte im Serum auf, während die andere Hälfte Werte im Bereich der
Norm aufwiesen.
Interessanterweise konnten bei 33% der Patienten aus der Gruppe mit erhöhten IL-22-Werten bereits zu diesem
frühen Zeitpunkt der Erkrankung Gelenkerosionen nachgewiesen werden, während dies nur bei einem Patienten
(4%) aus der Gruppe mit niedrigen IL-22-Werten der Fall war. Alle Patienten wurden daraufhin in einen Zeitraum
von 2 Jahren regelmäßig bezüglich der Entstehung von weiteren Gelenkerosionen untersucht. Dabei
zeigte sich, dass bei einem weiteren Viertel der Patienten mit erhöhten IL-22-Werten neue Gelenkerosionen
auftraten. Im Gegensatz dazu entwickelte keiner der Patienten mit normalen IL-22-Werten eine Knochendestruktion.
Die Vorhersagekraft von IL-22 war unabhängig von anderen Parametern, die mit einer aggressiveren RA assoziiert
sind. Die Messung des IL-22-Serumspiegels ermöglicht demnach eine Voraussage über das Risiko einer frühen
Gelenkzerstörung. Zudem deuten die Ergebnisse auf eine Rolle von IL-22 in der Pathogenese Gelenkzerstörung
bei der RA hin.
Literatur:
Leipe J., Schramm MA, Grunke M., Baeuerle M., Dechant C., Nigg A.P., Witt M.N., Vielhauer V., Reindl C.S., Schulze-Koops
H., Skapenko A: Interleukin 22 serum levels are associated with radiographic progression in rheumatoid arthritis.
Ann Rheum Dis. 2011 Aug;70(8):1453-7. Epub 2011 May 18. |