Ansprachen von Rabl-Stadler, Burgstaller, Schmied und Fischer / Joachim
Gauck hielt die Festrede
Salzburg (lk) - Mit einer Festveranstaltung des Landes Salzburg in der Felsenreitschule wurden am
27.07. die 91. Salzburger Festspiele eröffnet. Nach der Begrüßung durch Festspielpräsidentin
Dr. Helga Rabl-Stadler sowie Grußworten von Landeshauptfrau Mag. Gabi Burgstaller und von der Bundesministerin
für Unterricht, Kunst und Kultur, Dr. Claudia Schmied, eröffnete Bundespräsident Dr. Heinz Fischer
die Salzburger Festspiele 2011. Anschließend folgte die Festrede von Dr. Joachim Gauck.
Rabl-Stadler: 35 Tage mit 242 Veranstaltungen
Zu 35 Tagen mit 242 Veranstaltungen in 13 Spielstätten hieß zu Beginn der Eröffnungsveranstaltung
Festspielpräsidentin Dr. Helga Rabl-Stadler alle Gäste willkommen und nahm anschließend auf das
bevorstehende Programm der diesjährigen Festspiele und Festspielredner Joachim Gauck Bezug: "Das Motto
der Festspiele 2011 – das Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken – könnte auch für die Lebensleistung
des Festredners stehen."
Die wunderbare Stimmung bei den Proben gebe berechtigte Hoffnung, dass die künstlerischen Pläne von Intendant
Markus Hinterhäuser und Schauspielchef Thomas Oberender Wirklichkeit werden. Salzburg entwickle auch im Vorfeld
der Festspiele viel künstlerische Strahlkraft, etwa mit Dirigent Marc Minkowksi als "Leit-Stern der Mozartwoche",
mit Christian Thielemann als dem neuen Chef der Osterfestspiele oder mit Cecilia Bartoli als der neuen künstlerischen
Leiterin der Pfingstfestspiele, so Festspielpräsidentin Rabl-Stadler.
Burgstaller: Kultur als wichtige Gegenmacht
"Wir brauchen eine gesellschafts- und kulturpolitische Gegenbewegung zur Diktatur des Ökonomismus sowie
zum Zynismus der Finanzmärkte und ihrer Rating-Agenturen, die mit einem Federstrich über das Wohl ganzer
Nationen und damit von Millionen Lebensrealitäten und Zukunftshoffnungen entscheiden. Vor diesem Hintergrund
wird Kultur eine wichtige Gegenmacht", betonte Landeshauptfrau Burgstaller.
Für die Verwirklichung einer europäischen Einheit brauche es Mut, Tatkraft und Einheit. "So wie
die Kultur ihren Beitrag leistet, ist es die Aufgabe von uns allen, ein mögliches Auseinanderdriften von Europa
zu verhindern." Die Festspiele müssen auch einmal ein Gewitter aushalten können, so Burgstaller
weiter. "Das sei im Rückblick auf ein Jahr mit der einen oder anderen Gewitterwolke über dem Salzburger
Festspielbezirk gesagt. Wir haben in dieser Zeit so manche Lektion gelernt und sehen mit Freude und Neugier einer
erfolgreichen Festspielsaison entgegen."
Landeshauptfrau Burgstaller umschrieb den diesjährigen Festredner, Joachim Gauck, als "spannende Persönlichkeit".
Er habe mit Millionen von Menschen den Aufbruch in die Freiheit erlebt und gestaltet. "Lange Zeit schien der
Kampf der Menschen im Osten Europas für die Befreiung von einer entmenschlichten Ideologie aussichtslos. In
einem glücklichen Augenblick der Menschheitsgeschichte wurde dieser friedliche Kampf für die Freiheit
zum Triumph. Die Selbstbefreiung von 1989 hat in Deutschland eine Stimme: die von Joachim Gauck." Er habe
sich in seinem gesamten Wirken für die Freiheit und Einheit der Menschen, für politische Aufklärung
und für Versöhnung eingesetzt. Vor allem in einer Zeit großer politischer Umbrüche sei es
erfreulich, den "Reisenden Demokratielehrer" Joachim Gauck in Salzburg zu Gast zu haben.
Schmied: Künstlerisches Schaffen nicht als Störung betrachten
"Eine der großen Errungenschaften der aufgeklärten Politik hauptsächlich des 20. Jahrhunderts
ist es, dass künstlerisches Schaffen und intellektuelle Kritik nicht als Störung betrachtet werden, sondern
als Chance für Erkenntnis und Kurskorrektur und damit als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung",
sagte Bundesministerin Dr. Claudia Schmied. "Solch eine Kulturpolitik sieht ihre Aufgabe darin, Rahmenbedingungen
für das künstlerische Schaffen zur Verfügung zu stellen. Kulturpolitik gibt keine Inhalte vor, reguliert
Kunst nicht und ordnet nicht an, sondern sie schafft den Rahmen, in dem sich Kunst entwickeln kann. Österreich
kann für sich in Anspruch nehmen, unter den aufgeklärten Staaten des westlichen Europas eine Vorreiterrolle
eingenommen zu haben."
Neben der Wahrung der Freiheit der Kunst und ihrer Unterstützung, auch in finanzieller Hinsicht, gelte es
heute, eine breite kritische Öffentlichkeit als Rezipienten der Kunst zu gewinnen. "Denn erst über
die gesellschaftliche Wahrnehmung kann Kunst ihre volle gesellschaftliche Wirkung entfalten. Förderung von
Kunst und Förderung einer kritischen Öffentlichkeit gehören zusammen. Hier verbindet sich Kulturpolitik
mit Bildungspolitik. Demokratische Gesellschaften brauchen die emotionale Reife der Bürgerinnen und Bürger.
Bildung, Kunst und Kultur unterstützen uns auf unserem Weg zur Bildung unserer Persönlichkeit und unserer
persönlichen Identität. Sie fordern uns, verlangen unsere Stellungnahme und formen unsere Prinzipien
und Haltungen." Produktionen zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen seien mittlerweile
selbstverständlicher Bestandteil des Festspielprogramms.
Fischer: Kultur stützt europäisches Bewusstsein
"Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Europa bewiesen, dass es lernfähig ist", betonte Bundespräsident
Dr. Heinz Fischer in seiner Eröffnungsansprache. "Zumindest im demokratischen Teil Europas war die Nachkriegsgeschichte
eine Erfolgsgeschichte – nicht nur der materielle Wiederaufbau, sondern besonders ideelle Werte: das Bekenntnis
zur Freiheit, zur Festigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ein neues Verständnis von der Notwendigkeit
friedlicher Problemlösungen sowie die Bereitschaft zur europäischen Zusammenarbeit und zur Solidarität
über Staatsgrenzen hinweg. Österreich hat zu diesen Entwicklungen wesentlich beigetragen und steht im
heutigen Europa an prominent guter Stelle." Lorbeeren aus der Vergangenheit und sogar aktuelle Lorbeeren seien
kein Ruhekissen für die Zukunft. Positives und Wertvolles müsse immer wieder neu erarbeitet und gefestigt
werden.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen haben sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs grundsätzlich verändert,
ebenso die Dimensionen der Politik und die Dimensionen unserer Zivilisation, so Fischer weiter. "Wir dürfen
nicht zulassen, dass unsere österreichische Identität gegen unsere europäische Identität ausgespielt
wird. Natürlich stellt uns Europa auch vor Herausforderungen und ist nicht frei von Problemen. Aber es ist
auf jeden Fall und dauerhaft eine große Chance." Die europäische Kultur sei hervorragend geeignet,
dieses europäische Bewusstsein zu stützen. Immerhin seien heuer Künstlerinnen und Künstler,
Regisseure und Dirigenten aus fast 30 Nationen am Programm der Salzburger Festspiele beteiligt. Bundespräsident
Fischer ging auch auf die aktuellen tragischen Ereignisse in Norwegen ein und warnte vor einem "Rückzug
gegenüber einer gefährlichen Mischung aus Nationalismus, Extremismus und Gewaltbereitschaft".
Gauck: Kunst führt auf die Spur des Überlebens zurück
Für Festredner Dr. Joachim Gauck ist das heutige Europa "das nicht vollkommene, aber lernfähige
System aus Freiheit, den Menschen- und Bürgerrechten, der Herrschaft des Rechts und einer so neuen wie erstaunlichen
Friedenswilligkeit". Nicht nur in der dunklen Vergangenheit, sondern im heutigen Europa brauche es Menschen,
die im Sinne des heurigen Festspiel-Mottos mit aufgeweckten Sinnen und erwecktem Verstand reagieren. "Nicht
Angst oder Angststrategien werden Europa retten, sondern ermächtigtes Handeln von Menschen, die sich für
zuständig erklären – ganz normale Menschen und die Künstler, die wir bewundern."
Deshalb gehören Mozart und das Salzburg der Künste und Künstler in das Zentrum Europas, so Gauck
weiter. "Weil hier Menschen lernen und leben, dass nicht die Mängel und Defizite, die Neurosen und Probleme
das Wesen unserer Gesellschaft ausmachen, sondern die Freude an der Freiheit und der Verantwortung." In Salzburg
und bei den Festspielen gebe es "Menschen, die Fantasie, Energie und Geld aufbringen, um ins Bewusstsein zu
bringen, was uns auf die Spur des Überlebens zurückruft".
In der Festrede ging der ehemalige DDR-Bürger Joachim Gauck auch ausführlich auf die Zeit des Kommunismus
in den ehemaligen Ostblock-Ländern ein. Es sei "nicht selbstverständlich, dass freie Menschen in
Freiheit und ohne Zensur, ohne den Nachweis des Wohlverhaltens durch die beteiligten Künstler einander in
einem Festival begegnen, wo die Freiheit der Kunst und der Künstler einfach gelebt wird". Der Blick in
die Vergangenheit mache das Motto der diesjährigen Festspiele verständlich: Denn "das Ohr aufgeweckt,
die Augen, das menschliche Denken" haben uns "in den politischen Einöden des eingemauerten Ostens
jene Künstler, die sich nicht an die Macht verkauften", so Gauck. |