Doktorandin der Uni Graz entschlüsselt 200 Jahre alte Frauenkochbücher
Graz (universität) - Kochen bewegt sich heute zwischen Lifestyle-Instrument und Kunstform. Vor
einigen hundert Jahren jedoch hatte das Wirken und Werken am Herd kaum einen Stellenwert, Kochbücher wurden
als wertlose Gebrauchsliteratur verachtet. Dabei können Rezeptsammlungen viel über ihr Zielpublikum oder
die politischen und sozialen Umstände ihrer Entstehungszeit verraten. Mag. Helga Müllneritsch, Doktorandin
am Institut für Germanistik der Uni Graz, hat drei „Frauenkochbücher“ aus dem 18./19. Jahrhundert, also
Handschriften, denen mehr oder weniger eindeutig Frauen als Verfasserinnen oder Besitzerinnen zugeordnet werden
können, auf ihre kultur- und literatursoziologischen Besonderheiten hin untersucht. Ein Fazit dabei ist: Mit
Schöpflöffel und Schneidmesser mussten KöchInnen unabhängig vom Nachschlagewerk umgehen können.
„Damals wie heute waren die ‚Stars‘ in der Küche Männer“, so Müllneritsch. Erst um das Jahr 1850
erlangte die weibliche Kochkunst mehr Aufmerksamkeit. Zuvor war das Wissen um schmackhafte Zubereitungen Bestandteil
des Haushalts und somit selbstverständlich, wie ein Detail der Frauenkochbücher aus Graz, Linz und Salzburg
verrät: „Alle Niederschriften kommen fast ohne Maß- und Gewichtsangaben aus“, berichtet die Germanistin,
„es wurde offensichtlich angenommen, dass die Besitzerin sowieso kochen kann.“ Auch weisen die Bücher keine
Gebrauchsspuren, wie etwa Fettflecken oder ähnliches, auf. Daraus lässt sich schließen, dass sie
nicht in der Küche aufbewahrt wurden: „Tatsächlich sind die Rezepte, die schriftlich festgehalten wurden,
etwas Besonderes – die Haute Cuisine unserer Tage“, vergleicht Müllneritsch. So findet sich in einem Kochbuch
etwa eine Anleitung zur Zubereitung eines „Rost Pfiffs“ – gemeint war aber wohl das Roast Beef, dessen englische
Bezeichnung hierzulande unbekannt war.
Die gehobene Küche war generell jedoch weniger ausgefallen, sondern den Jahreszeiten streng angepasst, hauptsächlich
um Kosten zu sparen. Was heute als umweltbewusst und nachhaltig gilt, war im 18. Jahrhundert ein Zwang: „Man war
von den Zutaten her extrem eingeschränkt und konnte sich in gewissen Zeiträumen kaum abwechslungsreich
ernähren“, weiß Müllneritsch. Lebensmittel wie Kartoffeln oder Kürbis kamen sogar nie auf
den Tisch: Sie galten als Schweinefutter. Auch Mais, Zucchini, Tomaten und Auberginen werden im Grazer Frauenkochbuch
– möglicherweise aus ähnlichen Gründen – nicht erwähnt. Andere Rezepte, wie etwa das „Apfelwandl“
– „Wandl“ bezeichnete die damals schon fürs Backen verwendete Kastenform –, tauchen dafür in unterschiedlichsten
Variationen auf. Allgemein war die Küche vor 200 Jahren einerseits schwer verdaulich, andererseits hielten
bereits erste kreative Geschmackskombinationen, hauptsächlich in Richtung Süßsauer, Einzug. Mehr
als 200 Seiten hat Müllneritsch bereits aus der Kurrentschrift transkribiert, weitere 400 sind in Arbeit.
Nun will die Germanistin die sprachlichen Besonderheiten der Handschriften untersuchen und ihre Ursprünge
aufstöbern: „Besonders spannend werden dabei Quervergleiche aller drei Kochbücher sowie zeitlich entsprechender
Kochbuchdrucke sein. So kann nicht nur festgestellt werden, wer wo abgeschrieben hat, sondern auch wo Neuschöpfungen
passiert sind.“ Daraus sollen sich idealerweise auch persönliche Hinweise auf die Köchinnen und/oder
Besitzerinnen ableiten lassen.
Obgleich handgeschriebene „Frauenkochbücher“ in relativ großer Zahl überliefert sind, zeigen sich
diese Texte bislang weder für die Sprachgeschichte noch für die Sozialgeschichte des Lesens und Schreibens
ausreichend ediert und ausgewertet. Ein Grund dafür liegt in der Tatsache, dass sich die Handschriften oft
in Privatbesitz befinden. Die Ausnahmen darunter stellen vor allem die Koch- und Hausbücher der Frauen aus
dem Umfeld berühmter Männer, etwa Johann Wolfgang von Goethes Großmutter, Anna Lindheimerin, dar.
Helga Müllneritsch wurde 2011 für ihre Arbeit „Zum Gebrauche aller Kochlustigen…“ mit dem Preis des Theodor-Körner-Fonds
ausgezeichnet. Dieser fördert junge österreichische WissenschafterInnen und KünstlerInnen bei der
Fertigstellung ihrer vielversprechenden Arbeiten. |