WKÖ legt mehr als 100 Deregulierungsvorschläge vor - IHS für Pension ab 65 ohne
Ausnahmen - Pensionssystem steuert ohne Reform auf Unfinanzierbarkeit zu
Wien (pwk) - Mit konkreten Reformvorschlägen ließen Wirtschaftskammerpräsident Christoph
Leitl und IHS-Chef Bernhard Felder am zweiten Tag der Alpbacher Reformgespräche (23.08.) aufhorchen: Leitl
legte mehr als 100 Vorschläge für eine Verwaltungsreform und Deregulierungsmaßnahmen vor, die von
der WKÖ in den kommenden Tagen an die Bundesregierung übermittelt werden. Das Konvolut umfasst Einsparungs-
und Vereinfachungsmöglichkeiten von der Bauordnung über das Bildungswesen bis zu Gemeindekooperationen.
Eine Umsetzung peilt Leitl bis zum Finanzausgleich 2014 an.
Felderer sprach sich für ein Auslaufen der vorzeitigen Alterspension, also vor allem der Invaliditätspension,
aus. Keiner solle in Österreich vor 65 in Pension gehen. Ein ähnliches Modell werde bereits in Dänemark
erfolgreich praktiziert: "Auch wenn manche ihren ersten Beruf nicht mehr ausüben können, wird sich
für sie eine andere Aufgabe finden." Denn Jobs gebe es laut Felderer genug. Sollte es keine deutliche
Anhebung des faktischen Pensionsalters von 58 auf 62 oder 63 Jahre geben, werde das Pensionssystem zunehmend unfinanzierbar.
In diesem Fall sei dann auch nicht mehr ausgeschlossen, dass es eine faire Beteiligung der Bestandspensionen geben
werde, etwa was die jährliche Inflationsanpassung betrifft. Schließlich ist das österreichische
Pensionssystem nach Italien das zweitteuerste Pensionssystem Europas, und die Lebenserwartung der Österreicher
steigt weiter an. Inklusive Beamtenpensionen werden jährlich mehr als 14 Prozent des BIP für Pensionszahlungen
aufgewendet.
Leitl attestierte der Regierung eine ordentliche Arbeitsleistung, die großen Problemfelder würden jedoch
mutlos und zaghaft angegangen: "In Wahrheit haben wir ein Nulldefizit seit einem halben Jahrhundert nicht
mehr erreicht." Wenn laut IHS-Studie bis 2011 ein Nulldefizit nicht mit dem bisherigen Politikkurs zu erreichen
ist, so sei dies keinesfalls Finanzministerin Maria Fekter anzulasten, die in der Krise sehr gute Arbeit leiste.
Dieses Ziel müsste die gesamte Bundesregierung verfolgen, auch Länder und Gemeinden. Angesichts der aktuellen
Wirtschafts- und Verschuldungskrise müsse, so Leitl, als Maxime gelten: "Sanieren und Investieren."
Leitl skizzierte als vordringlichste Problembereiche: Österreich hat bereits heute das teuerste Spitalswesen
Europas. Innerhalb der OECD weist Österreich das zweitniedrigste effektive Pensionsantrittsalter auf. Und
von zwei Euro im Schulsystem komme nur einer bei den Schülern an, der andere Euro versande in der Verwaltung.
Als weitere Einsparungsmöglichkeiten hob der WKÖ-Präsident vor allem die Gemeindekooperationen hervor.
Auf Initiative des Bundesrates wurden vor der Sommerpause stärkere Kooperationen der Gemeinden ermöglicht.
Nun liegt es laut Leitl an den Gemeinden, diese Möglichkeiten sinnvoll zu nutzen und die Synergiepotenziale
zu heben. Durch Gemeindeverbände für Angelegenheiten der hoheitlichen oder privatwirtschaftlichen Verwaltung
über Landesgrenzen hinweg könnten mehrere hundert Millionen Euro eingespart werden.
Investieren will Leitl vordringlich in Bildung sowie Forschung und Entwicklung. Im Bereich der Forschung liegt
Österreich in der Gruppe der "Innovation Followers": "Unser Land muss zur Gruppe der Innovations-Leader,
wie Schweden, Dänemark, Finnland und der Schweiz, aufschließen." Ein Beitrag dazu wäre die
Deckelung des Steuervorteils bei der Auftragsforschung von 100.000 Euro auf fünf Millionen Euro. Kosten würde
diese Maßnahme lediglich zehn Millionen Euro jährlich. Doch der Nutzen wäre insbesondere für
forschungsaktive kleine und mittlere Betriebe, die über kein eigenes Forschungspersonal oder eigene Forschungsinfraktruktur
verfügen, groß. Das würde Anreize darstellen, um die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen
und Unternehmen voranzutreiben.
Felderer mahnte ebenso eindringlich Sanierungsmaßnahmen an, denn die Finanzmärkte würden auch Österreich
ganz genau beobachten. Der Blick in die USA würde zeigen, dass "niemand das Triple-A-Ranking gepachtet
hat. Selbst die heiligsten Kühe werden einmal geschlachtet." Bei den Pensionen forderte der IHS-Chef
ein rascheres Reformtempo ein. Die Vorschläge von Sozialminister Rudolf Hundstorfer würden ihm zu wenig
weit gehen. Mit den derzeitigen Konsolidierungsmaßnahmen lasse sich die Staatsschuldenquote nicht unter die
angepeilte Maastricht-Grenze von 60 Prozent drücken, sondern würde nur auf etwa 65 Prozent zurückgehen.
Ab 2015 würde zudem das Wachstum an Geschwindigkeit verlieren, weil die Anzahl der Beschäftigten sinke.
Bezüglich der Verwaltungsreform betonte Felderer: "Eine Fülle von Vorschlägen liegt auf den
Tisch. Wir wissen, was zu tun ist, wir müssen es aber auch tun." Weiteres setzte sich der IHS-Chef für
eine rasche, bundesweite Spitalsreform ein. Auch wenn die Länder in den vergangenen 1,5 Jahren Reformen angegangen
sind, würden diese nicht ausreichen: "Wenn wir so weitermachen, werden wir bei den Spitalskosten bald
Weltmeister sein." |