Industrie fordert Zeitenwende  

erstellt am
30. 08. 11

 Sorger: Starker Staat, fairer Markt und gerechte Gesellschaft
IV-Präsident: Unternehmen sorgen dafür, dass Budget nicht aus dem Ruder läuft - GS Neumayer: brauchen Ehrlichkeit der Politik und mutige Anpassungen
Wien (pdi) - "'Gerechtigkeit' darf nicht bloß als populistische Umverteilungsdevise für den kurzfristigen politischen Erfolg verstanden werden, sondern Leistung muss honoriert werden, und die Zukunft unserer Jugend gesichert sein", betonte der Präsident der Industriellenvereinigung (IV), Dr. Veit Sorger am 30.08. bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit IV-Generalsekretär Mag. Christoph Neumayer zum Auftakt der Alpbacher Wirtschaftsgespräche 2011: "Die Industrie will einen 'starken Staat', der nicht von der Schuldenlast für die Fehler der Vergangenheit erdrückt wird, sondern effizient, schlank und vor allem handlungsfähig ist. Die Industrie will einen 'fairen Markt', der nicht einzelne Branchen oder Regionen benachteiligt - etwa durch einseitige Klimasparziele, die Europas Wirtschaft im internationalen Wettbewerb schaden, oder eine Finanztransaktionssteuer, die Europas Finanzwirtschaft benachteiligt. Die Industrie fordert mehr 'Gerechtigkeit' in der Gesellschaft." Das bedeute aber nicht das ständige Nach-unten-nivellieren und Gleichmacherei, damit alle irgendwann gleich wenig wissen und wenig haben, sondern eine gerechte Verteilung von Leistungen und Transfers sowie Steuerlast und vor allem mehr Investitionen in unsere Zukunft: in Bildung, Ausbildung und Innovationen. "Es geht vor allem um Chancengleichheit!", so der IV-Präsident.

"Die derzeitige Finanzkrise ist keine Krise der 'sozialen Marktwirtschaft' oder 'des Kapitalismus' - es ist eine Krise der Politik und vor allem eine Krise der Keynesianischen Schuldenpolitik", betonte Sorger. Europa und die USA hätten über Jahrzehnte über ihre Verhältnisse gelebt. Selbst gute Jahre seien zu wenig für Reformen und zur Sanierung des Staatshaushaltes genutzt worden. "Ein überschuldeter Staat, der aufgeblähte Strukturen nicht reformiert und stetig mehr Fett ansetzt, ist schwach. Wir wollen aber einen starken, also schlanken Staat, daher müssen wir handeln und die Schulden abbauen", sagte Sorger. Schweden sei hier ein gutes Vorbild: Bis 2015 soll durch Ausgabenkürzungen und Privatisierungen das Verschuldungsniveau Schwedens von aktuell 39,8 Prozent des BIP auf 19 Prozent sinken. Während also heuer die Staatsschuldenquote Österreichs rund doppelt so hoch ist wie jene Schwedens (73,6 Prozent vs. 39,8 Prozent), wird sie 2015 das rund Vierfache (!) betragen (74,4 Prozent vs. 19 Prozent).

Unternehmen zahlen den Aufschwung
"Dass die Staatsfinanzen derzeit nicht stärker aus dem Ruder laufen, verdanken wir in erster Linie den Unternehmen: Je erfolgreicher unsere Unternehmen agieren, desto mehr sprudeln die Staatseinnahmen", sagte Sorger. KöSt, KESt auf Dividenden, Energieabgaben und MöSt sind zwischen Juni 2010 und Juni 2011 deutlich stärker gestiegen als die Lohnsteuer. Auch langfristig gesehen ist das Aufkommen durch Unternehmenssteuern seit 1988 stärker gewachsen als das BIP; das Aufkommen, das durch die KöSt alleine erzielt wird, hat sich seit 1988 mehr als verfünffacht, die Lohnsteuer ist im gleichen Zeitraum nur um das Zweieinhalbfache gestiegen. "Die Unternehmen leisten schon jetzt einen enormen Beitrag zur Staatsfinanzierung und sorgen durch ihre überproportionalen Steuerbeiträge dafür, dass die Staatsfinanzen nicht aus dem Ruder laufen", erklärte Sorger. Die Industrie sei daher klar gegen standortschädliche Steuerideen wie etwa Vermögenssteuern. "Wir möchten stattdessen mehr Gerechtigkeit im Steuersystem: Bei 44 Prozent Abgaben- und 52 Prozent Staatsquote kann dies aber KEINESFALLS höhere Steuern und Abgaben bedeuten. Wenn wir von einer gerechteren Verteilung der Steuerlast reden, dann von einer, die Nettozahler im System entlastet und den Standort und damit Arbeitsplätze sichert", betonte der IV-Präsident.

IMAS-Umfrage: Mehr als die Hälfte der Österreicher hält Steuerniveau für Besserverdiener für zu hoch oder gerade richtig
"Es ist Zeit, deutlich zu machen, worum es wirklich geht, wenn wir über 'Gerechtigkeit' diskutieren: Um Transparenz, um Fairness gegenüber Leistung und den jüngeren Generationen, um die Zukunft. Das erwartet sich auch die Bevölkerung", betonte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer in Alpbach. "Anders, als von manchen vielleicht erwartet, sieht die Bevölkerung die Lage sehr realistisch, wie die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IMAS zeigen, das im August im Auftrag der Industriellenvereinigung die österreichische Bevölkerung zu ihrer Sicht der 'Gerechtigkeit' von Umverteilung, Steuern, aber auch zu ihrer Einschätzung der wirtschaftlichen Lage und zur 'Staatsschulden-Krise' befragt hat.":

- Drei Viertel der Bevölkerung fordern mehr Reformen und eine umfassende Modernisierung des Staates ein. - Die Mehrheit der Befragten, insgesamt 56 Prozent, sieht auch keinen Spielraum mehr für weitere Steuerhöhungen. - Gerade einmal 15 Prozent halten das Ausmaß der Sozialleistungen für zu niedrig - aber 17 Prozent für zu hoch und 64 Prozent für gerade richtig.

"Auch der Versuch, einen Keil in die Bevölkerung zu treiben und die Neiddebatte anzuheizen, gelingt nicht: Auf die Frage, ob die Kluft zwischen Arm und Reich zu groß ist, antworten 58 Prozent, dass diese nicht größer als in anderen Staaten Westeuropas ist. Nur eine Minderheit von 28 Prozent empfindet, dass diese in unserem Land größer ist als in anderen Staaten", so Neumayer. Aus Sicht der Industrie lasse sich aus diesem Ergebnis ein eindeutiger Arbeitsauftrag für die politischen Verantwortungsträger ableiten, die notwendigen Reformschritte zu setzen. "In den folgenden Bereichen sind mit Blick auf zukunftsfitte Strukturen mittelfristig strukturell mehr als 7 Mrd. Euro an Einsparungs- bzw. Effizienzsteigerungspotenzialen zu erzielen", erklärte Neumayer:

  1. Leistungsfähige Verwaltung: Laut IHS führt eine schnell reagierende und effizienter aufgestellte Verwaltung bei Bund, Land und Gemeinden zu einer Einsparung von einer halben Milliarde Euro - ohne Leistungskürzungen! Dazu kommen Effizienzreserven von etwa 523 Mio. Euro, die durch verstärkte Zusammenarbeit kleinerer Gemeindestrukturen zu erzielen sind.
  2. Bestmögliche Gesundheitsversorgung: Die Grundherausforderung bei Krankenanstalten ist die duale Finanzierung aufgrund von stationären und ambulanten Sektoren, die unnötige Mehrkosten und Qualitätsmängel verursachen. Einsparungspotenzial: 2,35 Mrd. Euro pro Jahr.
  3. Zukunftsfähiger Bildungsbereich: Eine Verschlankung der Schulverwaltung und die Erhöhung der Autonomie der Schulen sind notwendig, um die Qualität der Ausbildung nachhaltig zu verbessern. Realistisches Einsparungspotenzial bis zu 1 Mrd. Euro.
  4. Faires Pensionssystem: Der größte Einsparungsbedarf liegt bei den Pensionen, 1979 standen 43 Arbeitsjahren 34 Nichtarbeitsjahre gegenüber. Heute ist es umgekehrt - 35 Arbeitsjahre stehen 48 Nichtarbeitsjahren gegenüber. Das Heranführen des faktischen Antrittsalters an das gesetzliche muss Haupt-Ziel sein. Alleine eine Erhöhung des tatsächlichen Antrittsalters um ein Jahr würde Einsparungen von jährlich 1,2 Mrd. Euro bringen.
  5. Flurbereinigung bei Förderungen: Mit 15,5 Mrd. Euro oder 5,5 Prozent des BIP belaufen sich Subventionen in Österreich auf einen mit Abstand höchsten Wert der EU. Eine Kürzung von 15 Prozent von Förderungen, die nicht den Bereichen Forschung, Bildung (inklusive Aus- und Weiterbildung) sowie Gesundheit zugeordnet sind, ergäbe ein kurzfristiges Einsparungspotenzial von 1,3 Mrd. Euro pro Jahr. Es darf nicht länger sein, dass der Staat in Permanenz von viel zu vielen Seiten angezapft wird und hier ein intransparentes weiteres "Umverteilungs-Paralleluniversum" existiert.

"Wer Mut, Verantwortungsbewusstsein und Ehrlichkeit zeigt, kann mit unserer Unterstützung rechnen!", betonte Neumayer abschließend.


 

Achitz: Zu einem starken Staat müssen alle einen fairen Beitrag leisten
ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen zahlen zwei Drittel des Steueraufkommens, Industrie wurde jahrelang entlastet
Wien (ögb) - "Ein starker Staat gibt soziale Sicherheit, und zu einem starken Staat müssen alle einen fairen Beitrag leisten. Derzeit tragen aber die ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen die große Steuerlast, während die Wirtschaft in den vergangenen Jahren konsequent entlastet worden ist", sagt Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, anlässlich der Forderungen von IV-Präsident Veit Sorger. Der ÖGB fordert einen Systemwechsel: Entlastung der Arbeit, Besteuerung der großen Vermögen. "Die von der IV geforderten Sparpakete machen den Staat aber nicht stark", so Achitz.

Der ÖGB fordert, dass der starke Staat wieder solidarischer finanziert wird. "Eine Vermögenssteuer hat es zum Beispiel schon einmal gegeben, doch sie wurde 1994 ersatzlos abgeschafft", erinnert Achitz, "im Oktober 2000 wurde die Börsenumsatzsteuer abgeschafft, 2005 die Körperschaftssteuer von 34 auf 25 Prozent gesenkt." Außerdem wurde die Gewerbesteuer abgeschafft, die Einführung von Stiftungen hat den Reichen weitere Steuern erspart. Das alles beschert dem Staat Jahr für Jahr ein Minus in Höhe von mehreren Milliarden Euro. "Dazu kommt noch die Gruppenbesteuerung, die nicht nur zu Steuerausfällen, sondern auch zu Arbeitsplatzvernichtung führt", sagt Achitz.

Auch wenn das Aufkommen aus bestimmten Steuerarten in den von der IV dargestellten Zeiträumen gestiegen sein sollte: "Die Hauptlast tragen immer noch die ArbeitnehmerInnen und die KonsumentInnen. Sie zahlen zwei Drittel des gesamten Steueraufkommens", sagt Achitz. Das Lohnsteueraufkommen sei in den vergangenen Jahren deutlich schneller gestiegen als die Löhne selbst.

"Ein starker Staat kostet Geld, steht aber langfristig besser da. Das sieht man zum Beispiel daran, dass Österreich die Wirtschaftskrise besser überstanden hat als andere Länder. Unter anderem Dank der Kurzarbeit, die viele LeistungsträgerInnen vor der Arbeitslosigkeit bewahrt hat. Und die Industrie hat davon am meisten profitiert, weil sie die gut ausgebildeten Fachkräfte behalten konnte - als ArbeitnehmerInnen und als AbnehmerInnen ihrer Produkte", schließt Achitz.
 
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