Gießen (idw) - Tumoren bestehen nicht nur aus gewöhnlichen Krebszellen, sondern auch aus wenigen,
aber gefährlichen Krebsstammzellen. Diese sind dafür verantwortlich, dass der Krebs manchmal viele Jahre
nach der Behandlung zurückkehren kann. Denn herkömmliche Therapien können gegen die Krebsstammzellen
nur wenig ausrichten. Jetzt haben Gießener Wissenschaftler eine Möglichkeit entdeckt, solche Zellen
bei Hirntumoren gezielt anzugreifen: Sie identifizierten einen Eiweiß-Komplex, der die Aktivität der
Krebsstammzellen des Glioblastoms steuert. Damit zeigen die Forscher einen wichtigen Ansatzpunkt für neue
Therapiemöglichkeiten gegen Krebs auf. Die Deutsche Krebshilfe hat das Projekt mit 390.000 Euro gefördert.
Seit einigen Jahren sind Tumorstammzellen in den Blickpunkt der Krebsforscher gerückt. Denn sie sind ein entscheidender
Gegner im Kampf gegen Krebs. Im Unterschied zu normalen Krebszellen überleben sie den Angriff durch Medikamente
und Strahlen oft unbeschädigt. Der Grund: Sie haben sich in Tumorregionen angesiedelt, die kaum von den herkömmlichen
Behandlungsmethoden erreicht werden können. Zudem befinden sich Krebsstammzellen meist in einer Art Ruhezustand
– Krebsmedikamente greifen jedoch nur aktive, sich teilende Zellen an.
Selbst wenn der Tumor zerstört wird, verharren die Krebsstammzellen Monate oder gar Jahre in diesem Schlafzustand.
Aus bisher unbekannten Gründen erwachen sie irgendwann wieder, teilen sich und wachsen erneut zu einem aggressiven
Tumor heran. In vielen Fällen kann die Krebserkrankung dann kaum mehr erfolgreich behandelt werden.
Die Wissenschaftler um Professor Dr. Till Acker, Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums
Gießen, haben eine wichtige Überlebensstrategie der Stammzellen entdeckt: Sobald der Tumor keinen Sauerstoff
mehr erhält, werden die Stammzellen des Glioblastoms aktiv: „Dies ist ein Schutzmechanismus – Sauerstoffmangel
schaltet ein Überlebensprogramm ein, das dem Tumor erlaubt, aggressiver zu wachsen und sich vor therapeutischen
Eingriffen zu schützen. Die Aktivierung von Krebsstammzellen ist ein wichtiger Teil dieses Programms“, erläutert
Acker.
Die Reaktion der Krebszellen auf Sauerstoffmangel wird durch ein komplexes Netzwerk zellulärer Vorgänge
gesteuert. Eine bedeutende Rolle spielt dabei der Eiweiß-Komplex mit dem wissenschaftlichen Namen HIF-2.
Dieser fungiert als eine Art Schaltzentrale, die Informationen über die sauerstoffarme Tumor-Umgebung an die
Krebsstammzellen weiterleitet und diese aus ihrem Ruhezustand aufweckt. „Dieser bisher unbekannte Schlüsselmechanismus
stellt möglicherweise ein entscheidendes therapeutisches Ziel zur Blockade von Krebsstammzellen dar“, erklärt
Acker. „Denn schaltet man HIF-2 aus, können die Stammzellen keine neuen Krebszellen bilden.“ Zukünftig
könnte damit die Effektivität von Therapien gesteigert und Rückfälle verhindert werden.
Gerd Nettekoven, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krebshilfe unterstreicht: „Die Erforschung von Krebsstammzellen
eröffnet Möglichkeiten, neue Strategien gegen Krebs zu entwickeln. Daher fördert die Deutsche Krebshilfe
– neben dem Forschungsprojekt der Arbeitsgruppe von Professor Acker – in einem nationalen wissenschaftlichen Verbundprojekt
bundesweit mehrere Forschungsvorhaben mit dem Ziel, diese Zellen in verschiedenen Krebsarten nachzuweisen und gezielt
zu zerstören.“
Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten die Wissenschaftler kürzlich in dem renommierten britischen
Fachmagazin „Brain“.
Hintergrund-Information: Krebsforschung
Die Fortschritte in der Krebsforschung haben dazu beigetragen, neue wirkungsvollere Therapien gegen Krebs zu entwickeln
und bestehende Behandlungsansätze weiter zu optimieren. So konnten die Überlebenschancen und die Lebensqualität
krebskranker Menschen in den vergangenen Jahren stetig verbessert werden. Diese Erfolge sind im Wesentlichen auch
der Deutschen Krebshilfe zu verdanken, denn die gemeinnützige Organisation ist der bedeutendste private Förderer
der Krebsforschung in Deutschland. 2010 investierte die Deutsche Krebshilfe über 35 Millionen Euro in die
onkologische Forschung. Bei der Forschungsförderung gilt es, im Sinne einer optimalen Patientenversorgung
vielversprechende Ergebnisse aus der Forschung schnell und effizient in die klinische Prüfung und Anwendung
zu bringen.
Publikation: „A hypoxic niche regulates glioblastoma stem cells through hypoxia inducible factor 2?”, erschienen
in „Brain” (133(4): 983-995 doi:10.1093/brain/awq042) |