RUB-Forscher in Nature: Transport einzelner Elektronen geglückt Auf dem Weg zum komplexen
Quantenbit und dem Computer von morgen
Bochum (rub) - Ein entscheidender Schritt zu erheblich leistungsfähigeren Computern ist Physikern
der RUB zusammen mit Forschern aus Grenoble und Tokyo gelungen: Aus dem Schwarm an Elektronen in elektrischen Leitern
und Halbleitern konnten sie mit Hilfe einer Schallwelle ein einzelnes Elektron herauspicken und transportieren.
Wie ein Fisch auf einer Welle "surft" das Elektron von einem Quantenpunkt zum nächsten. Ein einzelnes
Elektron auf diese Weise zu manipulieren erlaubt es in Zukunft, statt klassischer Bits ("0"- und "1"-Zustände)
auch die wesentlich komplexeren Quantenbits zu kombinieren. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in
der internationalen Top-Zeitschrift "Nature".
Halbleiterphysik: Der Traum eines Anglers
Elektronen sind in elektrischen Leitern (Metallen) und Halbleitern wie Silizium (Si) oder Galliumarsenid (GaAs)
frei beweglich wie Fische im Wasser. Allerdings können sie nicht von selbst "schwimmen", sondern
bewegen sich durch elektrische Spannungen (Felder). In einem Metall kommen sie als gewaltiger Fischschwarm vor,
der das gesamte Wasservolumen ausfüllt. In Halbleitern sind diese Schwärme weniger dicht, die Abstände
zwischen den Fischen sind viel größer. Der Schwarm lässt sich durch äußere elektrische
Spannungen zu einer dünnen Schicht nahe der Oberfläche zusammenziehen. Dieser "Traum eines Anglers"
geht für Halbleiterphysiker jetzt in Erfüllung, möglich macht das die neue Methode, die das internationale
Forscherteam entwickelt hat: Die Elektronen"fische" liegen alle in einer Ebene und sind von der Oberfläche
aus gut einzeln zugreifbar.
Einen aus der Masse fischen
"Allerdings gibt es keine ‚dicken' Fische, denn alle Elektronen sind genau gleich groß und sogar
prinzipiell identisch", erläutert Prof. Dr. Andreas Wieck, Physiker an der RUB. Das Verfahren der Forscher
aus Deutschland, Frankreich und Japan ermöglicht es dennoch, aus dem Schwarm einzelne Elektronen "herauszufischen",
über eine bestimmte Strecke zu bewegen und sie dann am Zielpunkt wieder nachzuweisen. Die Strecke betrug im
Experiment vier Mikrometer (?m) - das ist zwanzigmal länger als ein hochintegrierter Transistor. Der gezielte
Transport einzelner Elektronen trotz der Masse des Schwarms gelingt, indem zuerst zwischen den Spitzen von vier
Elektroden ein kleiner Schwarm zu einem nulldimensionalen Objekt, einem "Quantenpunkt", eingepfercht
wird. Dann senden die Wissenschaftler durch eine ineinandergreifende Doppelkamm-Elektrode, an die sie Radiofrequenz
anlegen, eine Welle durch den Halbleiterkristall - der ist vergleichbar mit dem Wasser für die Fische. Das
Verfahren funktioniert umgekehrt wie der Spannungsblitz in einem "Piezo"-Feuerzeug: Dort wird ein Kristall
deformiert, um eine Spannung zu erzeugen; hier deformieren die Forscher den Kristall durch das Anlegen der Spannung,
was bei regelmäßiger Wiederholung zu einer Welle führt.
Der Fisch surft auf der Welle
Diese Welle fegt in einer vorgefertigten Probe beispielsweise von links nach rechts mit Schallgeschwindigkeit
durch den Mini-Schwarm im Quantenpunkt - im Kristall mit drei Kilometern pro Sekunde. In ihrer Höhe wird sie
so eingestellt, dass sie nur genau einen "Fisch" daraus mitnimmt, der dann auf der Welle im eindimensionalen
Kanal "surft". 4?m rechts davon entfernt befindet sich ein weiterer Quantenpunkt, in dem der "Fisch"
ankommt. Durch die Wiederholung von Wellenpaketen und Messungen konnten die Forscher eine gute Statistik aufbauen,
um die Sicherheit des Verfahrens zu messen. Ein einzelnes Elektron mit der Welle herauszupicken, funktionierte
in den ersten Experimenten mit einer Wahrscheinlichkeit von 96 Prozent; es wiederzufinden mit 92 Prozent.
Der Clou: Die Ausrichtung der Fische Die Elektronen"fische" sind zwar nicht unterscheidbar, können
aber ausgerichtet werden, weil sie wie kleine Kreisel eine Drehrichtung ("Spin") haben. Das ist so, als
ob man einen Fisch zum Beispiel mit "Kopf nach oben" ausrichtet, ihn von der Welle mitreißen lässt
und ihn im Ziel-Quantenpunkt auch mit "Kopf nach oben" wiederfindet. Dadurch, dass die Überlebenszeit
dieser Spin-Orientierung länger ist als die Surf-Zeit auf der Welle, geschieht das mit hoher Sicherheit. Auch
die Quantenbits der Zukunft bestehen aus solchen spin-polarisierten Elektronen. Ihre Forschungsergebnisse erzielten
die Wissenschaftler mit Proben, die am Lehrstuhl für Angewandte Festkörperphysik der Ruhr-Universität
Bochum durch so genannte Molekularstrahl-Epitaxie hergestellt, in Tokyo strukturiert und schließlich in Grenoble
vermessen wurden. Nicht nur die Proben, sondern auch die Konzepte kommen aus Bochum: Prof. Wieck hat bereits vor
21 Jahren die Vision eines Elektronen-Richtkopplers publiziert, den die Forschergruppe jetzt realisiert hat. Dazu
erscheint in Kürze eine weitere Veröffentlichung.
Titelaufnahme
Sylvain Hermelin, Shintaro Takada, Michihisa Yamamoto, Seigo Tarucha, Andreas D. Wieck, Laurent Saminadayar,
Christopher Bäuerle and Tristan Meunier: Electrons surfing on a sound wave as a platform for quantum optics
with flying electrons. DOI: 10.1038/nature10416 |