Wann beginnt das menschliche Leben: Theologie und Biologie im Dialog
Wien (pk) - "Wie kann die Würde jedes einzelnen Menschen in jeder Situation seines Lebens
geschützt werden?" – Dieser Frage stellten sich die Teilnehmer der Veranstaltung "Schutz der Menschenwürde
in Österreich" am 20.09. im Parlament. Eingeladen hatte der Zweite Präsident des Nationalrats, Fritz
Neugebauer, gemeinsam mit dem Präsidenten des Katholischen Laienrates Österreichs, Wolfgang Rank. Der
Moraltheologe Matthias Beck (Universität Wien) und der Vorstand des Instituts für medizinische Genetik
an der Medizinischen Universität Wien, Markus Hengstschläger, hielten die Vorträge. VfGh-Vizepräsidentin
Brigitte Bierlein moderierte die Diskussion.
Hintergrund der bereits zweiten Veranstaltung dieser Art im Hohen Haus (siehe PK-Meldung Nr. 271 vom 20.4.2010)
war die Diskussion über Ethik und Forschung, die derzeit auf europäischer Ebene geführt wird. Der
rechtliche Schutz der Menschenwürde braucht – so der einhellige Tenor der Teilnehmer - eine breite und fundierte
philosophische Auseinandersetzung über die Grundlagen der Menschenwürde und ethische Erwägungen
über den Beginn und das Ende des Lebens.
Präsident Neugebauer begrüßte ein prominentes Publikum mit zahlreichen Mandataren und sprach von
einem ebenso aktuellen wie polarisierenden Thema, über das die im April des Vorjahres gestartete Diskussion
im Parlament, aber nicht nur in Ausschüssen und im Plenum, sondern in einer breiteren Öffentlichkeit
fortgesetzt werden soll.
Der Präsident des Laienrates, Wolfgang Rank, zitierte einleitend einen Philosophen, der darauf aufmerksam
gemacht hat, dass der Begriff "Menschenwürde" in unterschiedlichen Kontexten eine enorme Klangfülle
entfalte und begründete damit die Notwendigkeit, die juristische und politische Diskussion über Gefahren
für die Achtung der Menschenwürde und deren Schutz philosophisch und theologisch zu untermauern. Neue
wissenschaftliche Möglichkeiten, Rank nannte beispielhaft das Klonen von Menschen und noch darüber hinausgehende
Möglichkeiten. Für die Zukunft schlug Rank vor, in diese Veranstaltungsreihe auch den Schutz der Menschenwürde
in der Erziehung, für ältere Menschen, im Strafvollzug oder für MigrantInnen einzubeziehen.
Der Moraltheologe Matthias Beck (Universität Wien) bekannte sich nachdrücklich dazu, Geisteswissenschaften
und Naturwissenschaften in die Diskussion über die Menschenwürde und ihren Schutz komplementär einzubeziehen.
Dies sei auch deshalb notwendig, weil Naturwissenschafler und Geisteswissenschaftler unterschiedliche Terminologien
verwenden, die gemeinsame Diskussionen erschwerten. Beck gab in seinem Vortrag einen Überblick über die
Entwicklung der "Menschenwürde", der erst seit dem Judentum und Christentum als eine gleiche und
unveräußerliche Eigenschaft jedes einzelnen Menschen gilt. Immanuel Kant habe dann die Autonomie des
einzelnen Menschen postuliert, zugleich aber für jede Ethik den Grundsätze festgehalten, dass sie für
alle Menschen universalisierbar sein müsse. Die unveräußerliche Würde jedes einzelnen Mensch
resultiere aus seiner Einzigartigkeit und Unersetzbarkeit, was Beck am Beispiel des Verlustes von Eltern, Geschwister
und Partner erläuterte. Jeder Mensch verdiene Achtung um seiner selbst willen, was jede Verzweckung eines
Menschen oder der Menschheit insgesamt ausschließe. Beck problematisierte den Handel mit menschlichen Organen
und bekannte sich nachdrücklich zu dem von der EU übernommenen Satz aus dem deutschen Grundgesetz: "Die
Würde des Menschen ist unantastbar", ein Satz, der in Deutschland auch mit Stimmeneinhelligkeit nicht
verändert werden darf. Beck wies Versuche mancher Wissenschafter, Föten die Menschenwürde abzusprechen
und hielt fest, dass Embryonen Menschenwürde zukommt. In Österreich sei der Beginn des Lebens gesetzlich
nicht definiert, klagte der Wissenschafter, problematisierte die Pränataldiagnostik und erteilte aus philosophisch-theologischer
Sicht auch der Euthanasie eine Absage.
Der Vorstand des Instituts für medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien, Markus Hengstschläger,
betonte die Komplexität der Thematik und bekundete vorweg, dass er sich als Biologe außerstande sehe,
die Frage, wann das menschliche Leben beginne, zu beantworten. Ebenso vorweg stellte der Genetiker fest, dass die
Unveräußerlichkeit der Menschenwürde in seiner Wissenschaft ausdiskutiert sei. Offen sei aber die
wichtige Frage, wann der Mensch beginne, ein Mensch zu sein, und wann er aufhöre es zu sein. Diese Frage sei
noch schwieriger geworden, seit die In-Vitro-Fertilisation vor dreißig Jahren die Bedingungen für die
Forschung völlig verändert habe und embryonale Stammzellenforschung sowie Präimplantationsdiagnostik
möglich sind. Menschenwürde komme immer nur Menschen zu, gerade die Frage aber, ab wann ein Mensch ein
Mensch sei auch unter Genetikern umstritten, sagte Hengstschläger und informierte im Detail über die
verschiedenen Stadien, die eine befruchtete Eizelle bis zum Embryo durchläuft. Eine Mehrheit der Biologen
neige allerdings der im angelsächsischen Raum verbreiteten Auffassung zu und datieren den Beginn des embryonalen
Stadiums mit der Entstehung des Nervensystems, also mit dem "Tag 14" nach der Verschmelzung von Samen-
und Eizelle. |