Innsbruck (universität) - Ein neues Konzept zur Erzeugung exotischer, sogenannter topologischer Quantenzustände
in Vielteilchensystemen schlagen Theoretiker der Universität Innsbruck in der Fachzeitschrift Nature Physics
vor. Sie verbinden Ideen aus der Quantenoptik mit Konzepten der Festkörperphysik und liefern damit einen neuen
Ansatz für den Bau eines störungsunempfindlichen Quantencomputers.
Vor drei Jahren hat ein Team um Sebastian Diehl und Peter Zoller einen ganz neuen Weg zur Herstellung von Quantenzuständen
in Vielteilchensystemen präsentiert. Sie bedienten sich dazu eines physikalisches Phänomens, das normalerweise
den Grad der Unordnung in einem System dramatisch erhöht: Dissipation. In der klassischen Physik beschreibt
Dissipation beispielsweise die Bildung von Wärmeenergie durch Reibung, sie bringt also Unordnung in ein System.
Überraschender Weise lässt sich in der Quantenwelt damit auch Ordnung herstellen und ein perfekt reiner
Vielteilchenzustand erzeugen. Im Frühjahr haben Experimentalphysiker um Rainer Blatt im Labor in Innsbruck
gezeigt, dass sich mit diesem Ansatz bestimmte Quanteneffekte gezielt erzeugen und verstärken lassen. Nun
machen die Theoretiker des Instituts für Theoretische Physik der Universität Innsbruck und des Instituts
für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften einen
neuen Vorschlag, wie Dissipation vielversprechend eingesetzt werden könnte. Sie schlagen dabei eine Brücke
von der Quantenoptik zur Festkörperphysik.
Gegenüber Störungen unempfindlich
In der Festkörperphysik gewinnt in jüngster Zeit ein neues Paradigma für die Beschreibung
von Ordnung in Vielteilchensystemen zunehmend an Bedeutung: die topologische Ordnung. Beispiele für topologische
Phänomene sind der in den 1980er-Jahren nachgewiesene Quanten-Hall-Effekt sowie topologische Isolatoren, die
sich im Inneren als elektrischer Isolator verhalten während sie gleichzeitig auf ihrer Oberfläche die
Bewegung von Ladungen erlauben. Die Innsbrucker Theoretiker um Sebastian Diehl und Peter Zoller schlagen nun vor,
mit einer dissipativen Dynamik in einem Quantensystem sogenannte Majorana-Fermionen zu erzeugen. Dieses nach dem
italienischen Physiker Ettore Majorana benannte topologische Phänomen beschreibt Teilchen, die gleichzeitig
ihre eigenen Antiteilchen sind. „Wir zeigen nun einen neuen Weg auf, wie solche Majorana-Fermionen in einem Quantensystem
gezielt erzeugt werden können“,erklärt Sebastian Diehl, „und nutzen dazu eine dissipative Dynamik, die
das System gerichtet in diesen Zustand treibt und bei jeder Störung wieder dahin zurückzwingt.“ Durch
diesen Ansatz verbinden Diehl und sein Team die Vorteile der Dissipation mit jenen der topologischen Ordnung, denn
beide Ansätze zeichnen sich durch hohe Robustheit gegenüber kleinen Störungen aus. Ihr Vorschlag,
in einem atomaren Quantendraht Majorana-Fermionen mittels Dissipation zu erzeugen, ist deshalb für die experimentelle
Umsetzung von besonderem Interesse und könnte beim Bau eines zukünftigen Quantencomputers zum Einsatz
kommen, bei denen die elementaren Recheneinheiten aus den Majorana-Fermionen bestehen. In den Quantendrähten
sind einzelne Atome nebeneinander aufgereiht und werden von einem mit Laserlicht erzeugten optischen Gitter daran
gehindert, aus der Reihe zu tanzen. Die Majorana-Fermionen werden an den beiden Enden der atomaren Kette erzeugt.
Checkliste abgearbeitet
START-Preisträger Sebastian Diehl und sein Team verbinden in diesem Konzept das Wissen der Festkörperphysik
mit jenem der Quantentheorie. „Wir arbeiten hier an der Schnittstelle zwischen diesen beiden Disziplinen, was aufregende
neue Möglichkeiten schafft“, sagt Diehl. Dazu war es notwendig, zweifelsfrei nachzuweisen, dass sich das Konzept
der topologische Ordnung überhaupt auf den dissipativen Kontext übertragen lässt. „Wir haben die
vollständige topologische Checkliste abgearbeitet und gezeigt, dass deren Voraussetzungen auch in einem System
mit dissipativer Dynamik gelten.“ Den mathematischen Nachweis haben die Physiker nun in der Fachzeitschrift Nature
Physics veröffentlicht.
Publikation: Topology by Dissipation in Atomic Quantum Wires. S. Diehl, E. Rico, M. A. Baranov, P. Zoller. Nature
Physics. 2. Oktober 2011 DOI: 10.1038/nphys2106 |